Jazz:Es ist vollbracht

Kamasi Washington

Kamasi Washington.

(Foto: J3collection/dpa)

Hymnisch und spirituell, kämpferisch und hippiehaft, futuristisch und retrofuturistisch: Das große neue Album des gefeierten amerikanischen Jazz-Saxofonisten Kamasi Washington.

Von Jan Kedves

Ein schwarzer Jazz-Saxofonist auf den Titelblättern von Pop-Zeitschriften, wann gab es das zuletzt? Kamasi Washington heißt der Mann, der es schafft, Jazz im Jahr 2018 so relevant erscheinen zu lassen, dass Redaktionen, die sonst am liebsten alte weiße Rockhelden feiern, alle Bedenken über Bord werfen. Sprich, sie zählen den Bandleader aus Inglewood, Los Angeles, längst wie selbstverständlich zu den Protagonisten der zeitgenössischen Popmusik. Was schön und folgerichtig ist, denn: Der Jazz ging dem Pop ja voraus, er bedingte ihn mit, er ist in seine DNA eingewoben.

Abgesehen davon ist Kamasi Washington, 37, natürlich in den vergangenen drei Jahren sehr bekannt geworden, weil er dem aktuellen Pop seine eigene DNA eingewoben hat, als er 2015 mit dem ebenfalls aus Los Angeles stammenden Rapper Kendrick Lamar zusammenarbeitete, an einigen Songs für dessen Meisterwerk "To Pimp A Butterfly". Jetzt hat er ein neues eigenes Album veröffentlicht, "Heaven & Earth". Es erscheint - auch das ist ein Zeichen der neuen, maßgeblich durch ihn ausgelösten Welle des Jazz - auf dem britischen Label Young Turks. Auf dem sind hippe Pop-Acts wie The xx, Sampha oder FKA Twigs zu Hause. Man muss aufpassen, den Titel des Albums nicht gleich reflexhaft mit "Himmel und Hölle" zu übersetzen. In Letzterer scheint man ja im Jahr 2018 fast zu leben, wobei man auf diesen Gedanken hier vielleicht auch nur kommt, weil Washington das Album sehr unheilvoll beginnen lässt: mit einem düster marschierenden Akkord, der recht deutlich auf die Fanfaren des Darth-Vader-Themas aus "Star Wars" anspielt. Der Sound des Bösen. Er liefert hier nur die Grundlage für den Widerstand gegen das Böse. Bald schiebt sich nämlich ein derbe groovendes, latinisiertes Funk-Schlagzeug darunter, und dann setzen die kämpferischen, die brüderlichen und schwesterlichen Chöre ein: "Our time as victims is over / We will no longer ask for justice / Instead we will take our retribiution". Sprich: Es geht hier sehr um die gute Sache, darum, gemeinsam die Faust zu recken, Widerstand zu leisten. Das klingt ein bisschen nach den Siebzigern, vielleicht sogar ein bisschen nach "Hair". Das ist aber gar nicht schlimm.

Nach dieser Eröffnung weiß man im Grunde schon alles über dieses Doppelalbum, nämlich dass es in jeder Sekunde genauso toll hymnisch, hippiehaft, kämpferisch, spirituell, futuristisch und gleichzeitig retrofuturistisch klingen wird. Trotzdem ist es kein langweilig vorhersehbares Album. Sondern es ist im Grunde wie bei einer sich erfüllenden erfreulichen Prophezeiung: Die ist ja, während man sie erlebt, auch immer noch toll.

Doch, man muss wirklich so dick auftragen. Denn "Heaven & Earth" ist ein gigantisch gutes Album. Ein Doppelalbum, fast zweieinhalb Stunden lang, keine Sekunde zu viel. Acht Stücke pro Teil, perfekte Symmetrie. "Die Erde, das ist, wie ich das Leben erfahren habe. Der Himmel, das ist, wie ich mir das Leben vorstelle", erklärt Washington in Interviews zu dem Album, was genügend Interpretationsspielraum lässt. Um genau den geht es. Denn es wäre zu simpel, die widerständigen Gesten des Albums allein auf die Trump-Regierung zu beziehen, als direkten Protest. "Zwischen meiner Realität und meiner Imagination ist ein Raum - das bin ich", sagt Washington.

Man könnte es so deuten: Washington will gen Himmel und macht sich - mit seiner grandiosen Band Next Step und den Mitgliedern des Jazz-Kollektivs West Coast Get Down - startklar. Deswegen zeigt die Fotografie auf dem Cover wohl auch Washington, wie er in einer metallisch glänzenden Variante des westafrikanischen langen Dashiki-Hemds auf einer spiegelglatten Wasseroberfläche steht. Der Salt Lake in Utah? Da steht er auf dem Wasser, Himmel und Erde verbinden sich in der Spiegelung. Der schwarze Jesus, ein afrofuturistischer Raumfahrer, was macht das für einen Unterschied. Fertig zum Hochbeamen jedenfalls. Würde Washington jetzt wirklich hochfliegen, würde das in der Spiegelung aussehen, als führe er in den Boden (oder eben in die Hölle). Das Schönste an alldem ist: Die gesamte Dualität drückt sich auch schon allein in der Musik aus.

Denn natürlich sind narrative Elemente - wie Lyrics oder eine hübsche Covergestaltung - hilfreich für diejenigen, die dem Jazz noch nicht seit Jahrzehnten folgen, die vielleicht nicht den Unterschied zwischen John Coltrane und Sun Ra, zwischen Bebop und Hardbop erklären könnten. Vielleicht sind sie noch nicht geübt darin, aus einem Saxofon- oder Trompeten-Solo schon ein fesselndes Zwiegespräch, einen inneren Monolog herauszuhören. Bei Kamasi Washington geht es, klar, auch darum: um die maximale Freiheit des einzelnen Instruments bei gleichzeitiger fester Eingebundenheit in die Gruppe. Um gegenseitigen Respekt der Musiker, die nach vorne ins Solo und wieder in den Hintergrund treten. Um das Aufbäumen gegen Harmonik und Rhythmik, um deren Ausbeulung von innen.

Sensationell ist zum Beispiel, wie auf dem zweiten Teil des Albums, in "The Psalmnist", nach einem rasend-kieksenden Saxofon-Solo erst mal alles ins Stolpern gerät. Klavier und Schlagzeug scheinen schwer angeschlagen zu sein, bis deutlich wird, dass das Klavier längst die rhythmische Führung übernommen hat, während das Schlagzeug sich komplett ausklinkt. Kreuzfeuer, 40 Sekunden lang, völlig irre. Aus so einem harten Geballer kommt man gemeinsam nur heil heraus, wenn alle genau aufeinander achten, sich gegenseitig an den Lippen und Ohren hängen. Hier ist das Ensemble von einem Moment auf den nächsten wieder beisammen.

Große Kunst. Washington lässt sich und seinen Mitspielern dafür fast alle Zeit der Welt. Durchschnittslänge der Stücke: acht Minuten. Eine völlig andere Zeiterfahrung als im aktuellen Pop, in dem Washington rezipiert wird und in dem die Songs immer kürzer werden. Dreieinhalb Minuten, der Standard galt einmal. Vor allem im Rap, insbesondere in dessen gerade dominantester Version, dem Trap aus den Südstaaten, dauern die Stücke nur noch zweieinhalb Minuten, höchstens. Maximale Kompression. Danach kommt das nächste Stück, die nächste Idee.

Kamasi Washington spielt seine Ideen aus und durch, er kehrt zu ihnen zurück, zelebriert sie und bricht mit ihnen auch ins Hymnische aus. Dass darin eine Utopie liegt, ein Versprechen, wird am Schluss, in "Will You Sing", noch einmal mit Worten ausbuchstabiert: "With our song one day we'll change the world", so singen sie gemeinsam. Wir sind stark. Und am Ende steht dann der Akkord, mit dem "Earth", Album Nummer eins, schon begann. Sprich, wenn man seinen Player auf Repeat stellt, geht das Album nahtlos über in die Darth-Vader-Fanfare - mit dem Unterschied, dass man jetzt ja schon weiß, wie der Kampf ausgehen wird.

Kamasi Washington kann sich also im Video zur Single "Street Fighter Mas" ganz entspannt in seinen Campingstuhl am Pool zurücklehnen, seine Füße baumeln im Wasser. Es ist vollbracht. Der Jazz ist gerettet, das Böse gebannt - auf jeden Fall für die nächsten zweieinhalb Stunden.

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