"Queer Eye" auf Netflix:Klischees sind egal

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Expertenblick: die Umstyling-Fachmänner Karamo Brown (Mitte) und Jonathan Van Ness (rechts) bei der Arbeit.

(Foto: Netflix)
  • Mit Queer Eye legt Netflix das Reality-Format Queer Eye for the Straight Guy von vor 15 Jahren neu auf.
  • Statt um Toleranz geht es in der modernisierten Serie um Selbstverständlichkeit - nicht nur schwulen Männern gegenüber.
  • Derart hemmungsloses, unterhaltsames Wohlfühlfernsehen trifft einen Nerv.

Von Patrick Heidmann

Der Trend zum Aufwärmen von Altbekanntem, der schon eine ganze Weile vor Roseanne oder Will & Grace nicht zuletzt von Netflix mit Neuauflagen von Full House oder den Gilmore Girls ausgelöst wurde, beschränkt sich längst nicht nur auf Fiktionales. Und so hat der Streamingdienst nun, kein halbes Jahr nach dem Debüt der ersten Staffel, weitere Folgen von Queer Eye an den Start gebracht, einem Remake des Reality-Formats Queer Eye for the Straight Guy, das vor 15 Jahren in den USA für Aufsehen sorgte.

Damals hatte es durchaus etwas Erzieherisches, bisweilen Konfrontatives, Folge für Folge eine Gruppe schwuler Männer damit zu beauftragen, einen Hetero auf Vordermann zu bringen. Nicht nur mit neuen Klamotten, flotterem Haarschnitt und schickerem Mobiliar, sondern auch mit der sich im Idealfall auch aufs Publikum übertragenden Erkenntnis, dass Berührungsängste wohl doch unnötig sind.

Dass selbst in Zeiten von Trump, der gerade als erster US-Präsident seit langem den Pride-Monat Juni mit keiner offiziellen Zeile würdigt, diese Botschaft im Jahr 2018 wohl ein bisschen zu wenig wäre, hat man auch bei Netflix erkannt. Statt um Toleranz geht es in der modernisierten Serie um Selbstverständlichkeit - und vor allem nicht mehr nur um heterosexuelle Männer als Zielperson. Der Zusatz "for the Straight Guy" fällt weg, weil sich die fünf Protagonisten nun auch mal einem anderen Schwulen, eine Frau oder einen Transgender-Mann widmen.

Die neuen Fab Five, so ihre Gruppenbezeichnung, das sind Jonathan - Hairstylist mit gepflegtem Langhaar und fröhlicher Exaltiertheit -, der für Design zuständige Bobby, Vertreter des konservativen Bible Belt, Afroamerikaner Karamo (Kulturexperte), der pakistanisch-stämmige Brite Tan (Mode-Experte) und Antoni aus Kanada (Essens-Experte).

Man könnte das Treiben der Fünf einigermaßen fragwürdig finden. Wie in Umstyling-Shows üblich, wird vollkommen unhinterfragt der Zwang zur Optimierung propagiert. Wie sehr der Mensch hier modifizierbare Ware ist, verdeutlichen gut gemeinte Ratschläge wie der, man müsse versuchen, ein wenig "kommerziell attraktiver" auszusehen. Auch vorm Fortschreiben ewig alter Vorurteile sind die Fab Five nicht gefeit, etwa wenn sie ihr Gegenüber mit den Worten beruhigen, es keineswegs wie einen Schwulen anziehen zu wollen.

Die Umstyling-Show ist hemmungslos unterhaltsames Wohlfühlfernsehen

Dennoch ist die Sendung unübersehbar erfolgreich. Gerade weil Queer Eye nicht auf den Kopf, sondern das Herz zielt. Die harten Themen gesellschaftlicher Realität, zumal in den Bundesstaaten Georgia und Missouri, wo die beiden ersten Staffeln gedreht wurden, werden durch persönlich-emotionale Momente präsentiert, zu denen auch die charmanten Protagonisten mit eigenen Erzählungen beitragen.

Derart hemmungsloses, unterhaltsames Wohlfühlfernsehen trifft als Kontrastprogramm zu omnipräsentem Zynismus und Antiheldentum einen Nerv. Wenn einer ihrer "Klienten" am Ende einer Episode tatsächlich wieder seiner Ex-Frau näherkommt oder, wie nun in der ersten der neuen Folgen, im Örtchen Gay eine gläubige Mutter ihren schwulen Sohn mit ihrer Kirchengemeinde aussöhnt, bleibt kein Auge trocken.

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