Kohleausstieg:Für Kumpel und Klima

Farbiger Protest gegen  Kohlekommission

Ausmalen als Protest gegen Kohle: Greenpeace-Aktivisten haben den Großen Stern an Berlins Siegessäule mit abbaubarer Farbe in eine Sonne verwandelt.

(Foto: Greenpeace/dpa)

Nirgends in Europa wird so viel Strom aus klimaschädlicher Braunkohle erzeugt wie in Deutschland. Nun soll ein Gremium festlegen, wie ein Ende des Abbaus aussehen könnte - und die Zeit danach.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Schlachtordnung ist klar am Dienstag, auch auf den Gehwegen vor dem Bundeswirtschaftsministerium. Vor dem Haupteingang stehen die Umweltschützer und reimen: "Hopp, hopp, hopp - Kohle stopp!". Am Nebeneingang verteilen die Freunde der Braunkohle Pralinen. "Hände weg von der Lausitz", steht auf Transparenten. Drinnen im Ministerium tagt derweil zum ersten Mal die Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung". Irgendwie soll sie beides schaffen: Die Kohle stoppen, ohne dabei groß Hand an die Braunkohle-Reviere zu legen. Wie soll das gehen?

Wozu genau braucht es die Kommission?

Die Koalition will den Ausstieg möglichst sozialverträglich gestalten. Anders als die Grünen, die gern rasch 20 Kohlekraftwerke stilllegen wollen, soll das Gremium sich vor allem mit der Zeit nach der Braunkohle befassen. Schon deshalb ist die "Schaffung einer konkreten Perspektive für neue, zukunftssichere Arbeitsplätze" nötig. Vor allem in der strukturschwachen Lausitz wird das nicht einfach. Die Bundesregierung sucht dort händeringend nach industriellen Investitionen, bislang erfolglos. Vor allem aber braucht es einen Ausstieg aus der Kohle, um auf Dauer auch nur in die Nähe der deutschen Klimaziele zu kommen.

Wer sitzt drin?

Mit insgesamt 28 stimmberechtigten Mitgliedern ist die Kommission alles andere als schlank. Die Mischung allerdings ist auch denkbar breit. Gewerkschafter und Kommunalpolitiker sitzen darin, aber auch Umweltverbände und Vertreter örtlicher Bürgerinitiativen. Klima- und Sozialwissenschaftler sind ebenso vertreten wie Wirtschaftsverbände. Betroffene Stromkonzerne durften keine eigenen Vertreter entsenden. Die Kommission soll sich um einvernehmliche Entscheidungen bemühen, entscheidet aber in Streitfragen mit Zweidrittelmehrheit. Theoretisch sind damit Entscheidungen gegen die Interessen der Betroffenen genauso unmöglich wie gegen die Klimaschützer. Zumindest die erste Sitzung war noch ganz harmonisch. "Das Klima war gut", sagte Brandenburgs einstiger Ministerpräsident Matthias Platzeck, einer der vier Vorsitzenden, "die Meinungen waren vielfältig."

Was ist das Problem?

Deutschland hinkt den eigenen Klimazielen weit hinterher, und das trotz der Energiewende. Obwohl mittlerweile ein Drittel des Stroms aus erneuerbaren Energien kommt, sind die Emissionen der Kohlekraftwerke kaum gesunken. Nirgends in Europa wird so viel Braunkohlestrom erzeugt wie in Deutschland. Doch Braunkohle verbrennt besonders klimaschädlich. Allein die fünf größten Braunkohle-Kraftwerke stoßen knapp 120 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus - fast so viel wie die gesamte Industrie. Im Stromnetz aber konkurriert der Kohlestrom mit ständig wachsenden Mengen an Ökoenergie.

Wer ist betroffen?

Die Zahlen schwanken. Das Bundeswirtschaftsministerium geht von gut 20 000 Beschäftigten in Tagebauen und Kraftwerken aus, davon 11 000 in Ostdeutschland. Betroffen sind allerdings auch Tausende Anrainer von Tagebauen, die entweder ihr Heimatdorf verloren haben oder aber ihre gewohnte Umgebung. Hinzu kommen Dutzende Steinkohlekraftwerke. Die Industrie macht noch eine andere Rechnung auf: Wenn nach der Atomkraft auch noch die Kohlekraft den Dienst quittiert, könnte Strom knapper und damit teurer werden - jedenfalls, wenn das Angebot erneuerbaren Stroms samt Speichern nicht weitersteigt. Auch diese Interessen soll die Kommission ausgleichen. "Es ist die erste Kommission, die sich ernsthaft mit der Transformation der Wirtschaft beschäftigt", sagt Hubert Weiger, Chef des Umweltverbands BUND. "Vor dieser Aufgabe werden wir in Zukunft noch öfter stehen."

Wie könnte ein Ergebnis aussehen?

Auch viele Beschäftige wünschen sich vor allem Verlässlichkeit. Ein Ergebnis der Kommission könnte deshalb ein Fahrplan für die Abschaltung einzelner Kraftwerke sein. Dabei wird das Alter der Anlagen eine Rolle spielen, aber auch die Braunkohle-Logistik, also die Versorgung aus bestimmten Tagebauen. Und schließlich stehen noch jene sieben Gigawatt im Raum, über die einst schon die Jamaika-Koalitionäre verhandelt hatten. Diese Leistung - sie entspricht zehn mittelgroßen Kraftwerken - könnte rasch stillgelegt werden, damit die deutsche Klimalücke nicht ganz so peinlich wird. Auch ein Enddatum soll das Gremium vorlegen, für die Stilllegung des letzten Kraftwerks. Dieses Datum wird hochgradig symbolträchtig. Wichtiger aber ist der Weg zum Ausstieg.

Wann soll das Ergebnis vorliegen?

Viel Zeit bleibt nicht. Schon im Oktober soll die Kommission Empfehlungen für die Strukturpolitik vorlegen. Einen Monat später müsste sie darlegen, wie sich die deutsche Klimalücke noch schmälern lässt - passend zur UN-Klimakonferenz im polnischen Kattowitz. Und Ende Dezember soll sie ihren Abschlussbericht vorlegen. Mitte Juli will sich die Kommission noch einmal treffen - dann kommt erst einmal die Sommerpause. Gearbeitet werde aber trotzdem, sagt Platzeck. "Jeder Tag zählt."

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