"Wackersdorf" im Kino:Atomkraft, nein danke

"Wackersdorf" im Kino: Protest am Zaun: Anna Maria Sturm als Demonstrantin in Wackersdorf.

Protest am Zaun: Anna Maria Sturm als Demonstrantin in Wackersdorf.

(Foto: Erik Mosoni/Alamode Film)

Der Spielfilm "Wackersdorf" über die Anti-AKW-Proteste der Achtziger macht aus dem verstaubten Genre Heimatfilm großes Kino.

Von Philipp Bovermann

"Eine blitzsaubere Sache" möchte der schwarze Staatsminister dem roten Landrat zu Beginn des Spielfilms "Wackersdorf" servieren. Aber erst mal hat er Weißwürste mitgebracht. Aus München. Denn kulinarisch gebe es da halt schon Unterschiede. "Diese strenge Rezeptur innerhalb der Münchner Stadtgrenzen. Anteil Kalb, Anteil Schwein. Speckwürfel. Nitrat." Schon hat der Landrat Schuierer die Wurst der Staatsregierung auf dem Teller liegen.

Eine ganz besonders feine Mischung hat sie ihm damals, Anfang der Achtzigerjahre, unter die Pelle gepackt. Eine Wiederaufbereitungsanlage für Nuklearbrennstäbe soll Arbeitsplätze und Wohlstand in die Oberpfalz bringen. Dem Herrn Ministerpräsidenten lägen nämlich gerade die strukturschwachen Regionen am Herzen, erläutert der Staatsminister im Film gönnerhaft. Er zuzelt seine Weißwurst, isst sie also nach alter bayerischer Art halb lutschend, halb mit den Händen. So was dürfen nur die Mächtigen: Aufs Besteck pfeifen, sich die Finger schmutzig machen und dabei aufs Brauchtum pochen.

In den darauffolgenden Jahren wird sich die lokale Bevölkerung gegen die "Atomfabrik" zu wehren beginnen, mit ihrem hohen Schornstein, der dafür sorgen soll, dass sich der radioaktive Niederschlag schön großflächig verteilt. Umweltaktivisten aus ganz Deutschland werden anreisen und die bis dato brav obrigkeitshörige Bevölkerung unterstützen. München wird mit aller Härte reagieren. Umstrittenes, gefährliches Tränengas wird aus Hubschraubern auf die Demonstranten niederregnen, nicht nur auf die Steinewerfer, sondern auch auf die "Mütter gegen Atomkraft", auf Kinder, Theologiestudenten, das Rote Kreuz und den Würstlstand. Franz Josef Strauß, oberster Atomsepp des Landes, wird bedrohlich das R rollen und brüllen, wenn diese Chaoten "einen Funken von menschlichem Anstand, einen Funken von normalem Verhalten" besäßen, dann würden sie "das Maul halten, anstatt zu versuchen, uns ständig zu stören".

Regisseur Oliver Haffner erzählt also die wahre Entstehungsgeschichte der Bürgerproteste in Wackersdorf nach. Entstanden ist dabei überraschenderweise ein Heimatfilm, aber einer, der den staatlichen Choreografen der neuen Heimattümelei ganz sicher nicht schmecken wird.

"Wackersdorf", der am Freitag die Reihe Neues Deutsches Kino auf dem Filmfest München eröffnet und im September regulär im Kino startet, ist kein "kritischer Heimatfilm", in dem es darum ginge, dass "dahoam" halt doch nicht immer alles toll ist. Er benutzt vielmehr den positiven Heimatbegriff, auf den die CSU gern das Patent hätte, um ihn ihr links und rechts um die Ohren zu hauen. Nach verspeister Weißwurst mit der Münchner Obrigkeit freut sich Landrat Schuierer (Johannes Zeiler) erst mal. Die Musikkapellen spielen überschwänglich Humptata, wohin auch immer er nun im Landkreis reist. Endlich Arbeit für die Region! Doch die Bücher über die Gefahren der Atomkraft sind dick. Schuierer, der gelernte Maurer und Wegemacher, der Depp vom Land, für den sie ihn in München halten, beschließt, sie zu lesen. Damit haben sie nicht gerechnet.

Eigentlich ist er ein eher stiller Typ. Ein Oberpfälzer, der laut eigener Aussage "redet, wenn es was zu sagen gibt", der findet, Politik solle in Büros stattfinden, nicht auf der Straße. Ein anständiger Typ und Verfechter des Rechtsstaats, in gesellschaftlichen Fragen aber leider auch ein bisschen zu sehr alte Schule - ein Lokalpatriarch. Deshalb wollen ihn einige der "Langhaarigen" aus der Bürgerinitiative erst nicht dabeihaben. Doch Wackersdorf wäre nicht verhindert worden ohne Menschen wie ihn, die zu Tausenden an den Zaun der zu bauenden Anlage zogen. Ohne die Omas, die den Besetzern Brot und Kuchen backten. Ohne die Bauern, die ihre Höfe öffneten. Ohne den Segen des Pfarrers, der gegen Profitgier predigte. So steht dann auch Schuierer im Film vor einer Kette aus Polizisten und ruft die Demonstranten dazu auf, "unsere von der Staatsregierung verkaufte und verratene Heimat zu schützen".

Hinweis

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Die Geschichte eines im Kern linksaktivistischen Protests als Heimatfilm zu erzählen, ist natürlich eine doppelte Provokation. Gegen die CSU und ihre Trachtenjanker, die sich hier der Vertreter der Atomlobby überstreift, wenn's gerade passt. Aber auch gegen Linke, die gleich "Nazi" schreien, wenn Typen wie Schuierer es wagen, sich für ihre Heimat zu interessieren. Wie eine Provokation fühlt sich der Film aber gar nicht an, dafür ist die Stimmung, die er verbreitet, viel zu gut. Szenen wie das Weißwurst-Essen haben den Charme eines guten Helmut-Dietl-Films.

In einer Szene landet ein Polizeihubschrauber auf einem Fußballfeld. Ihm entsteigt der Träger eines stattlichen Schnurrbarts, eingeflogen aus München. Unschwer zu erkennen, dass damit wohl der CSU-Politiker Peter Gauweiler gemeint ist, damals Staatssekretär im Innenministerium. Dass Typen wie er, die den Rechtsstaat mit Füßen treten und mit Schlagstöcken prügeln lassen, es in einer Demokratie zu etwas bringen können, das hätte er nie für möglich gehalten, sagt Schuierer. Ob Markus Söder sich so das Genre Heimatfilm vorstellt, das ihm angeblich so am Herzen liegt?

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