Deutsches WM-Aus:Löw hat die Lässigkeit vorgelebt

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Das Absurde am Scheitern der deutschen Elf ist, dass es sich über die Vorrunde angekündigt hat und trotzdem keiner die Zeichen sehen wollte. Das hat auch mit einer Aufgeblasenheit im Team zu tun.

Kommentar von Christof Kneer, Kasan

Vor einem Jahr und fünf Tagen spielte die deutsche Nationalmannschaft schon einmal in Kasan. Sie spielte 1:1 gegen Chile, und anderthalb Wochen später gratulierte die Fußballwelt den Deutschen zum Gewinn des Confed Cups. In Wahrheit glich diese Gratulation aber eher einer Kapitulation: Wer sollte diese deutsche Nationalelf je schlagen, wenn denen schon eine B-Elf reicht, um dieses Generalprobenturnierchen zu gewinnen?

Im selben Sommer gewannen Deutschlands oberste Junioren auch noch die U21-EM, und manche Zeitungen machten sich ein Späßchen daraus, gleich fünf unterschiedliche deutsche Nationalmannschaften aufzustellen, von denen alle bei einer WM eine gute Rolle spielen könnten. Okay, im fünften Team spielten dann Kerem Demirbay und Maximilian Arnold, aber immerhin.

Joachim Löw, so viel stand fest, war damals ein unfassbar reicher Mann.

Ein Jahr und fünf Tage später hat der deutsche Bundestrainer den gesamten Reichtum durchgebracht. Und auf die Wer-soll-die-Deutschen-jemals-wieder-schlagen-Frage gab es eine schrecklich einleuchtende Antwort: Südkorea.

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Von Martin Schneider, Kasan

Wer gedacht hatte, das letztsekündliche Freistoßtor von Toni Kroos gegen Schweden wäre die Startrampe in dieses Turnier gewesen, der weiß jetzt: Es war die Startrampe ins Nichts. "Kasan" steht ab sofort in einer Reihe mit "Córdoba" und "Gijón": als Chiffre für eine dieser finstersten Stunden, die auch jenen Kindern einmal etwas sagen wird, deren Eltern sich heute noch nicht mal kennen.

Noch nie ist eine DFB-Elf in einer WM-Vorrunde ausgeschieden, und die Dimension dieser Blamage wird umso größer, wenn man sich die Spieler dieser Elf anschaut. Da spielte keines dieser Rumpelteams der Achtziger, die Supergrätschen drauf hatten, aber aus Versehen Fernschüsse machten, wenn sie den Ball stoppen wollten. Da spielten technisch und taktisch versierte Champions-League-Sieger und Weltmeister, die jedes Detail beherrschen, das zu diesem Spiel gehört.

Das Absurde an diesem Scheitern ist, dass es sich über die Vorrunde angekündigt hat, und trotzdem hat es keiner hören wollen. Ein Phänomen, das zur gesamten Titelverteidigungs-Kampagne passt: So hat es Löw nicht nur verpasst, seinem Team eine klare Struktur zu vermitteln; es ist ihm auch vom ersten Tag des Trainingslagers in Südtirol an nicht gelungen, seinen Weltmeistern einen gewissen Dünkel auszutreiben. Manche Spieler lassen Filmchen über sich drehen, andere unterhalten Modelinien, und am Ende war dieses Weltmeister-Deutschland einfach nicht scharf genug für und auf dieses Turnier. Fast täglich wurde betont, wie groß der Hunger und die Gier seien, diesen Titel zu verteidigen, und jeden zweiten Tag erklärten Spieler und Trainer, dass sie dem Beispiel der vorhergehenden Weltmeister selbstverständlich nicht folgen würden: Die waren im jeweils folgenden Turnier gerne mal früh ausgeschieden. Aber wir doch nicht, hallo?! Wir sind Deutschland!

Eine WM wie eine einzige Fehleinschätzung

Hunger und Gier sind bloße Behauptung geblieben, und man kann Löw den Vorwurf nicht ersparen, dass er diese Wird-schon-klappen-Mentalität mit lässigem Schweben vorgelebt hat. Es geht dabei nicht um die Laternen von Sotschi, an die sich Löw beim morgendlichen Joggen zur Freude der Fotografen angelehnt hat. Joggen darf ein Bundestrainer, er darf auch Bilder ins Land senden, die von seinem Optimismus künden. Was er aber nicht darf: all die Zeichen zu unterschätzen, die eine Mannschaft sendet.

Diese WM hat sich für den DFB als einzige Fehleinschätzung erwiesen: Löw ist dem trügerischen Gefühl aufgesessen, er würde all die Einzelgeschichten, die seine Spieler ins Turnier schleppen, schon wieder zu einer guten Gesamtgeschichte zusammenfügen - einfach, weil's immer so war. Einige Spieler kamen aus Verletzungspausen, andere waren in ihren Klubs keine Stammspieler oder hatten keine Form, wieder andere haben das Klima und sich selbst mit einem Erdoğan-Foto belastet - es war zu viel für dieses Team, dessen Selbstüberschätzung im dritten Spiel plötzlich in Angst umschlug.

Vor vier Jahren ist der nette Herr Löw in Brasilien zum Turniercoach geworden, er hat Standardsituationen trainieren lassen und gegen seine Art vier sogenannte "Ochsen" in die Abwehr gestellt. Diesen Punch hat der Bundestrainer offenbar wieder eingebüßt. Was das nun für seine Zukunft bedeutet? Löw wird selber entscheiden müssen, ob er mit einer neuen Generation diesen Punch wiederfinden will - oder ob er als sehr verdienstvoller Trainer abtritt, der Weltmeister war und bis auf 2018 immer im Halbfinale.

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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