Konzertkritik:Himmlische Harmonie

Der Dachauer Kammerchor bei Kerzenschein - das passt

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Ein Konzert des Dachauer Kammerchors ist immer ein Konzert mit geistlicher Musik. Aber die Atmosphäre des Nachtkonzerts bei Kerzenschein war etwas ganz Besonderes. Schließlich zog der Chor, eine lateinische Motette auf den Lippen, sehr feierlich (Andante religioso) in die von Kerzen beleuchtete Kirche Mariä Himmelfahrt ein. Währenddessen sangen die Frauen- und Männerstimmen abwechselnd einstimmig, dann zusammen vierstimmig im gefälligen Satz. Darauf folgte eine weitere lateinische Motette zu sechs Stimmen von Knut Nystedt, einem Komponisten, der 1915 geboren und 99 Jahre alt wurde. Auch Nystedts musikalischer Satz ist sehr ansprechend und hat mit dem, was man sich sonst unter Musik des 20. Jahrhunderts vorstellt, kaum etwas zu tun.

Jetzt aber war die Orgel dran, und zwar mit einer "Serenade für Orgel", die als richtiger Zwiefacher für Orgel erklang. Der aus dem bayerischen Oberland stammende und sehr begabte Dachauer Organist Christian Baumgartner spielte diesen Zwiefachen mitreißend. Doch da war der Dachauer Kammerchor zur Stelle, schien zu sagen: "Nix da, Serenade!" und sang zwei deutsche Motetten von Moritz Hauptmann. Dieser fünf Jahre vor Franz Schubert in Dresden geborene sächsische Komponist wurde 76 Jahre alt und hinterließ eine Vielzahl von bedeutenden musikalischen Werken und musiktheoretischen Arbeiten. Allein sein Chorwerk erschien 1898 in Leipzig in acht Teilen. Hauptmanns Kompositionen werden sehr gerühmt ob ihres außergewöhnlichen Ebenmaßes des architektonischen Aufbaus, der Reinheit des Satzes und auch der Sanglichkeit der Stimmen, worin seine Motetten am höchsten stehen.

Das ist freilich die ideale Musik für den Dachauer Kammerchor, der unter der Leitung von Rainer Dietz beide Motetten optimal zum Klingen brachte. Christian Baumgartner an der Orgel ging auf diesen Ton ein und spielte drei Choralvorspiele für Orgel von Johann Nicolaus Hanff, der, 20 Jahre vor Johann Sebastian Bach geboren, als einer der bedeutendsten Meister der Choralbearbeitung in der Zeit vor Bach gilt. Hanffs Kunst, sonst gewiss zu wenig gewürdigt, stellte Baumgartner sehr überzeugend dar.

Was über Moritz Hauptmanns Motettenkunst gesagt wurde, gilt wohl auch für die anderen Motetten-Komponisten im Kerzenlicht-Programm des Dachauer Kammerchors, ob sie nun wie Gustav Gunsenheimer und Raimund Schächer dem 20. oder wie der Bach-Schüler Gustav August Homilius dem 18. Jahrhundert angehören.

Eine gern zitierte Bibel-Stelle ist die Geschichte, als der Teufel Jesus nach 40-tägigem Fasten in der Wüste auf die Probe stellen wollte und von ihm verlangte, Steine in Brot zu verwandeln, von der Zinne des Tempels herabzuspringen und schließlich sogar ihn, den Teufel, anzubeten. Natürlich ging der Teufel leer aus. Gustav Gunsenheimer vertonte die ganze "Versuchung Jesu" als Motette zu sechs Stimmen. Der musikalische Satz ist rein und gefällig, nirgends scharf dissonant. Die Besonderheit der Komposition ist die Behandlung der Teufelsworte. Der Teufel kann nicht singen, also lässt Gunsenheimer seine Worte in einer ziemlich unschönen Art sprechen. Damit wurde die Motette konkret und anschaulich und war mehr als nur geistlicher Schönklang.

Christian Baumgartner spielte noch "Etoil du soir" aus den Fantasiestücken Op. 54 von Louis Vierne und zuletzt ein "Final für Orgel". Er verbreitete, Louis Viernes Blick auf den Abendstern zart registrierend, wunderbare Abendstimmungen. Dass der Abendstern eigentlich der Planet "Venus" ist, ging aus dieser Komposition und Interpretation nicht hervor. Deutlicher wurde Baumgartner beim "Final für Orgel". Das ist ein deftiges Hinausspielen der Gottesdienst-Besucher aus der Kirche, das nicht zurückschaut, sondern bereits auf die kommenden Sonntagsgenüsse zielt, vom Frühschoppen angefangen bis zu "Wochenend und Sonnenschein". Der Dachauer Kammerchor ließ sich aber auch davon nicht beeindrucken, löschte die Kerzen noch nicht aus, sondern sang noch eine sechsstimmige Motette in lateinischer Sprache und ein sehr schönes "Vater unser" von Gunsenheimer. Der Klang dieses Chors ist eben himmlisch.

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