Kroatien:Weitergetragen vom eigenen Stolpern

Einen Elfmeter verschossen, den nächsten knapp verwandelt: Viel fehlte nicht, und Luka Modric wäre zur tragischen Figur von Kroatiens talentierter Generation geworden.

Von Claudio Catuogno, Nischni Nowgorod

Mal angenommen, die Geschichte hätte eine andere Wendung genommen, wie stünde es jetzt um Luka Modric? Derjenige zu sein, der die kroatische Sehnsucht, im Fußball auch mal was zu gewinnen, ganz alleine verballert, halbhoch, wenig präzise, der den Traum in die Fäuste eines dänischen Torhüters schießt: Das hätte man auch als Luka Modric erst mal aushalten müssen. "Könnt ihr euch vorstellen, was dann passiert wäre?" fragte der Nationaltrainer Zlatko Dalic hinterher, "wenn Luka den zweiten auch verschossen hätte?"

Der Fußball gibt, der Fußball nimmt, aber in diesem Fall fehlten nur drei oder vier Zentimeter, und Luka Modric, der Mittelfeldlenker von Real Madrid, wäre zur tragischen Figur einer ganzen Generation hochveranlagter Fußballer geworden. Und über die Gefängnisstrafe, die ihm zu Hause wegen des Verdachts der Falschaussage in einem Gerichtsverfahren droht, hätte man wohl auch nicht mehr so galant hinweggesehen wie in den vergangenen Wochen.

Aber es ist ja noch mal gut gegangen.

Kroatien hat nach einem Elfmeter-Krimi gegen Dänemark das Viertelfinale erreicht und ist der nächste Herausforderer des WM-Gastgebers Russland. 1:1 nach regulärer Spielzeit, 4:3 insgesamt, je fünf Versuche vom Punkt, drei Treffer für die Kroaten, zwei für die Dänen. Soweit nichts Unübliches, wenn bei einer Weltmeisterschaft die K.o.-Runde begonnen hat. Doch am Sonntagabend in Nischni Nowgorod hatte es kurz vor dem offiziellen Elfmeterschießen bereits ein anderes Elfmeterschießen gegeben: ein Ein-Mann-Elfmeterschießen. Luka Modric gegen Kasper Schmeichel, in der 116. Minute; Mathias Jörgensen hatte zuvor Ante Rebic im Strafraum gefällt.

Kroatien: Glücklicher Schuss ins Glück: Nach seinem vergebenem Strafstoß tritt Luka Modric im Elfmeterschießen erneut an – und trifft.

Glücklicher Schuss ins Glück: Nach seinem vergebenem Strafstoß tritt Luka Modric im Elfmeterschießen erneut an – und trifft.

(Foto: Dmitri Lovetsky/AP)

Er habe "den ganzen Vormittag damit verbracht, herauszufinden, wie ich gegen Schmeichel am besten schieße", hat Modric nach dem Spiel gesagt. Das, was dabei herauskam, kann nicht ernsthaft das Ergebnis von Recherchen gewesen sein: halbrechts, halbhoch, halb überzeugt. Das Spektakel, das danach folgte, hätte Modric sich und seinem Team ersparen können. Aber wer weiß: Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Elf weit getragen wird von einer Welle, die sie durch ein Stolpern selbst ausgelöst hat.

Ungefähr zehn Minuten nach dem Fehlschuss hat Modric jedenfalls erneut den Ball genommen, samt der damit verbundenen Verantwortung. Dieser Druckdruckdruck, von dem ehemals Betroffene wie Oliver Kahn immer erzählen: Hier war er wirklich bis unters Stadiondach zu spüren. "Es kann passieren, dass du mal verschießt, aber ich war fasziniert von Lukas Entschlossenheit, gleich wieder einen zu nehmen", sagte der tatsächlich sehr faszinierte Trainer Dalic. Kasper Schmeichel war ebenfalls angetan: "Ich kenne dich", rief er Modric von seinem Tor aus zu. Psychospielchen. Diesmal wählte Modric die Mitte. Wenige Zentimeter fehlten, und Schmeichel wäre mit dem Fuß an den Ball gekommen.

Hinterher hat Modric den traurigen Schmeichel tröstend in den Arm genommen, das muss man an so einem Abend auch erst mal schaffen.

Manche Teams können sich nach einer Niederlage erhobenen Hauptes vornehmen, einfach beim nächsten Mal stärker wiederzukommen. Zum Beispiel die Dänen. Ihr Trainer Age Hareide hat viel von Zusammengehörigkeitsgefühl gesprochen, von Plänen, die aufgegangen seien. Und tatsächlich sind die Dänen zwar raus, aber nach regulärer Spielzeit sind sie nun 19 Partien ungeschlagen. Nach je einem frühen Slapstick-Tor auf beiden Seiten (Jörgensen, 2., Mandzukic, 4.) lebten sie auch diesmal wieder von ihrer Stabilität; gegen eine der besten Kontermannschaften fingen sie sich so gut wie keine Konter. Die Elf wird jetzt weitgehend zusammenbleiben: Christian Eriksen, ihr Anführer von Tottenham Hotspur (der dort seit 2013 den zuvor nach Madrid abgewanderten Modric ersetzt), ist 26 Jahre alt, Yussuf Poulsen von RB Leipzig 24. Die Dänen haben Zeit.

Croatia v Denmark: Round of 16 - 2018 FIFA World Cup Russia

Jubel voller Erleichterung: Modric nach dem Einzug ins Viertelfinale inmitten seiner Kollegen.

(Foto: Francois Nel/Getty Images)

Die Kroaten hingegen hätten sich das auch mit viel Autosuggestion nicht einreden können im Fall einer Niederlage: dass sie es halt einfach noch mal probieren. Sie probieren es ja schon zum x-ten Mal, Modric war schon bei der EM 2008 dabei, als sie im Elfmeterschießen unglücklich der Türkei unterlagen. Modric wird 33, Ivan Rakitic ist 30, Mario Mandzukic 32, alte Helden in ihrer womöglich letzten gemeinsamen Schlacht. "Ich will nicht sagen", sagte Modric, "dass es das wichtigste Spiel unserer Generation war ... aber doch, das war es. Es war hart, aber wir haben überlebt." Jetzt kommt das nächste wichtigste Spiel. Je weniger Zeit einem bleibt, desto riesenhafter erscheint das Ziel. Modric jedenfalls würde sogar seine vier Champions-League-Triumphe mit Real "gegen diesen einen für Kroatien eintauschen".

Ob sie ihm dann Amnestie gewähren? Weil Modric in dem Korruptionsprozess, der in Osijek derzeit Zdravko Mamic gemacht wird, dem einstigen Verbands-Vize und Paten von Dinamo Zagreb, zugunsten Mamics gelogen haben soll, muss wohl auch er vor Gericht, ebenso wie Dejan Lovren vom FC Liverpool. Auch wegen dieser Unruhe in der Heimat war die Russland-Mission der Kroaten von Zweifeln begleitet gewesen. Aber inzwischen scheinen sie daraus eher Kraft zu ziehen - ähnlich wie die alten Italiener 2006, die, während zu Hause ihr Manipulationsskandal köchelte, in Berlin fast trotzig den Weltpokal abgriffen. Die Parallele ziehen inzwischen viele. Aber nicht der Trainer Zlatko Dalic, der sagt nur: "Wir haben keine Probleme. Wir sind bei einer WM."

Ja, das sind sie auch weiterhin. Was übrigens, auch daran erinnerte Dalic, am Ende weniger Luka Modric zu verdanken ist, als dem Torhüter Danijel Subasic von AS Monaco. Wäre Subasic nicht mit drei Paraden im Elfmeterschießen über sich hinausgewachsen, hätte all die Courage nichts genützt, mit der Luka Modric bereit war, dem Schicksal auch die andere Wange hinzuhalten.

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