Asylstreit in der Union:"Ich frage mich, wie Kanzlerin und Innenminister in Zukunft zusammenarbeiten wollen"

Der Mediator Willibald Walter über Drohstrategien und verschiedene Stufen von Versöhnung.

Interview von Lilith Volkert

Nach langen Debatten mit vielen Drohungen und Vorwürfen sah es zeitweise so aus, als würde die Union am Asylstreit zerbrechen. In der Montagnacht haben sich CDU und CSU dann doch noch auf einen Kompromiss geeinigt. Willibald Walter von "inmedio Berlin" berät Unternehmen, gestaltet Dialogprozesse und bildet Mediatoren aus. Er erklärt, wie der Konflikt so eskalieren konnte und warum es Politikern so schwer fällt, die eigenen Positionen zu hinterfragen.

SZ: In den vergangenen Tagen und Wochen ist der Streit zwischen Kanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer aus dem Ruder gelaufen - bis zu dem angebotenen und wieder zurückgenommenen Rücktritt des Innenministers am Sonntag und einer Einigung am Montag. Was ist Ihnen als Mediator dabei aufgefallen?

Willibald Walter: Ich habe mehrere Eskalationsmuster beobachtet, die aus der Konfliktforschung nach Friedrich Glasl bekannt sind. Etwa, dass das Wissen und Können des anderen angezweifelt wird oder - in der nächsten Eskalationsstufe - man dessen moralische Integrität in Frage stellt. Außerdem wurde mit Drohstrategien gearbeitet.

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Auf beiden Seiten?

Ja. Merkel etwas verhaltener, indem sie ihre Richtlinienkompetenz erwähnte - die ihr die Möglichkeit gibt, den Innenminister zu entlassen, wenn er gegen ihren Willen handelt. Seehofer ganz offen, als er seine Bereitschaft zum Koalitionsbruch klargemacht und der Kanzlerin ein Ultimatum gestellt hat. Ist die Situation einmal so weit eskaliert, findet man schlecht einen Weg zurück. Außerdem binden sich die Akteure an ihre Drohungen und fühlen sich im Zugzwang, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden.

Der Streit hat sich an der Frage entzündet, ob Flüchtlinge an der deutschen Grenze abgewiesen werden sollen. Viele haben aber den Eindruck, dass es um mehr ging.

Zwischen Merkel und Seehofer gibt es neben sachlichen Differenzen wohl auch einen persönlichen Konflikt, der die Eskalation noch verschärft hat.

Wie wäre ein Mediator in diesem Fall vorgegangen?

Man würde versuchen herauszuarbeiten, worum es wirklich geht und das dann zu verhandeln. Das geht nur auf einer gemeinsamen Wertebasis - und heikle Themen müssen enttabuisiert werden. Je näher die nächste Wahl ist, umso schwerer ist das für Politiker.

Meiner Meinung nach ist dieser Konflikt auch so eskaliert, weil die Union es in den letzten Jahren nicht geschafft hat, auf der Werteebene offen über die Flüchtlingspolitik und den Erfolg der AfD zu diskutieren. Gesellschaftlich kam es hier nicht zu einem Dialog, in dem sich die Beteiligten ernst genommen fühlten und gegenseitig verstanden. Stattdessen war ein Kampf um Überlegenheit zu beobachten, durch den Andersdenkende stigmatisiert und abgewertet werden sollten.

Eine weitere Technik ist es, die Perspektive der Gegenseite einzunehmen und sie dadurch zu verstehen. Geht das unter Spitzenpolitikern überhaupt?

Ja, und es ist sehr schwierig. Nachgiebigkeit und das Hinterfragen der eigenen Positionen wird Politikern gerne als Schwäche oder Verrat am eigenen Lager ausgelegt. Es gibt Beispiele, wo das bei großen Konflikten zunächst gelungen ist, etwa beim Oslo-Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern. Hier haben sich die Anführer geeinigt. Doch dann wurden sie von ihren Anhängern als Verräter beschimpft und sogar angegriffen. Diese konnten den Perspektivwechsel nicht nachvollziehen.

An welchem Punkt sagen Sie als Mediator, dass es keine Chance mehr auf Versöhnung gibt?

Versöhnung ist immer möglich, aber irgendwann nicht mehr aus eigener Kraft. Wir unterscheiden drei Hauptstufen: Ideal ist es, wenn die Konfliktparteien eine Lösung anstreben, von der alle etwas haben (win-win). Schon kritischer ist die Sichtweise, dass nur eine Seite gewinnen kann und die andere verlieren muss (win-lose). Sie zeigt sich an Formulierungen wie dem "Endspiel um die Glaubwürdigkeit" von Markus Söder. Die letzte Stufe ist erreicht, wenn nach einem gefühlten Integritäts- und Gesichtsverlust nach dem Motto gehandelt wird: Ich kann mich zwar nicht durchsetzen, aber Hauptsache, der andere wird noch mehr geschädigt als ich (lose-lose). Diese Einstellung haben Beobachter in den letzten Tagen Horst Seehofer zugeschrieben.

Mit der Vereinbarung, Transitzonen einzurichten, haben Merkel und Seehofer ihren Streit am Montagabend für beendet erklärt. Für wie tragfähig halten Sie diese Einigung, nach allem, was vorher passiert ist?

Ich denke, auf der Sach- und der Parteienebene könnte das funktionieren - falls denn die SPD diesem Vorschlag zustimmt. Für mich sieht das Ganze aber aus wie ein Kompromiss, der Merkel und Seehofer sehr stark von außen nahegelegt wurde. So, wie die beiden sich noch im Laufe des gestrigen Tages verhalten haben, frage ich mich, wie Kanzlerin und Innenminister in Zukunft zusammenarbeiten wollen. Da wurde schon sehr viel Porzellan zerschlagen.

Macht es eine Lösung leichter oder schwieriger, wenn nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Gruppen in einen Konflikt involviert sind - wie hier die Parteien CDU und CSU?

Das kommt darauf an. In Gruppen gibt es immer Leute, die die Gegenseite verstehen können und bereit sind, zu vermitteln - das ist sehr hilfreich. Ist der Konflikt allerdings schon so fortgeschritten, dass es zu Diffamierungen gekommen ist, wird die Situation in Gruppen schwieriger. Angesichts der Angriffe eines Akteurs, der als gemeinsamer Feind wahrgenommen wird, schließen sich dann die Reihen. Die Loyalität zum eigenen Lager steht im Vordergrund. Mediatoren nennen das passenderweise Koalitionszwang.

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