Alpen:"Echt mutig, hier einen Klettersteig hinzubauen!"

Dolomiten ohne Grenzen

Die Dolomiten - früher umkämpft, heute Unesco-Welterbe.

(Foto: Manfred Kostner)

Neun Etappen, 17 Hütten und 108 Kilometer: Eine neue Klettersteig-Runde in den einst so umkämpften Dolomiten überschreitet Grenzen - nicht nur zwischen Ländern.

Von Felicitas Witte

Mutig! "Echt mutig, hier einen Klettersteig hinzubauen!" Wenn sich ein Bergführer zu solchem Enthusiasmus hinreißen lässt, muss wohl etwas Besonderes an dem Steig sein - schließlich hat Kurt Stauder mehr als 35 Jahre Erfahrung. Er geht in die Knie, zieht den Kopf ein und klettert weiter, eng an den Fels gepresst. "Katzenpassage" heißt die Stelle, und Katzen kämen hier in der Tat elegant durch. Es fühlt sich aber eher nach Ente an: In die Hocke gehen, loswatscheln und hoffentlich nicht ausrutschen. Links geht es 130 Meter steil runter in die Schlucht, für die Füße ist nur wenig Platz auf der schrägen Platte. Im Magen macht sich ein flaues Gefühl breit.

Dabei hatte der Steig "Croda Dei Toni" um den Zwölferkofel herum ganz entspannt angefangen. Vom Rifugio Carducci auf 2297 Metern geht es zunächst gemütlich abwärts, dann leicht ansteigend zur Mariascharte und an einer Felsnadel mit dem appetitlichen Namen Salsiccia vorbei. Das Gelände wird bröselig, dann geht es gut gesichert aufwärts zu einer kurzen Hängebrücke, über einen grasigen Rücken entlang auf ein Felsband. Das ist zuerst noch bequem breit, wird aber rasch schmaler bis zur Katzenstelle.

Zwei Länder, neun Etappen, zwölf Klettersteige, 17 Hütten und 108 Kilometer - das ist der wahrgewordene Traum von Beppi Monti. Eine Klettersteigrunde in Form einer Acht, zu zwei Dritteln in Italien, zu einem Drittel in Österreich. Statt von Hütte zu Hütte zu wandern, klettert man über die Steige, die auf verschiedene Weise kombinierbar sind. Die meisten gab es schon, aber erst durch Montis Idee und den Toni-Steig wurde die Runde zur Acht.

Beppi Monti ist Wirt in der Carducci-Hütte, die auf dem Gebiet der Provinz Belluno liegt. Die elfte Saison ist der 70-Jährige jetzt schon hier. Als 2008 das Rifugio frei wurde, griff er gleich zu. Niemand sonst habe die Hütte gewollt: "Zu abgelegen, zu wenige Touristen, und man muss alles mit dem Hubschrauber hochbringen lassen." 2009 wurden Teile der Dolomiten von der Unesco als Weltnaturerbe anerkannt, und da kam Monti die Idee: "Die Dolomiten dürfen keine Barriere mehr sein", sagt er. "Da, wo sich jahrelang Soldaten bekämpft haben, müssen wir einen Weg des Friedens schaffen."

2014 war Montis neuer Klettersteig fertig, Croda Dei Toni nannte er ihn, so wie der Zwölferkofel auf Italienisch heißt: Berg der Töne. "Der Name passt super", findet Bergführer Stauder. "Wenn es gewittert, donnert es hier hinter dem Zwölfer besonders heftig." Nach der Katzenpassage kommt eine Hängebrücke, die zwar mit 13 Metern weder besonders lang ist noch die Schlucht darunter besonders tief - aber als Werbefoto macht sie sich gut. Man dürfe sich aber von den Fotos nicht täuschen lassen, warnt Stauder. "Die Klettersteige sind nichts für Anfänger. Man braucht Ausdauer, alpine Erfahrung und Trittsicherheit." Er löst die Sicherung, der Klettersteig ist zu Ende, jetzt geht es die breite Geröllrinne rund 150 hoch zur Schafscharte, von da über den Alpinisteig aus dem Ersten Weltkrieg bis zur nächsten Hütte. Stauder bückt sich, hebt eine Patrone auf und kratzt mit dem Fingernagel den Sand herunter. "1915", sagt er. "Wer weiß, welchen armen Soldaten die getroffen hat."

Die Berge als Ort der Begegnung

Von 1915 bis 1918 kämpften in den Alpen Italiener gegen Österreicher, es war ein Krieg unter extremen Bedingungen im Fels und während bitterkalter Winter. Italien war im Dreibund mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich, weigerte sich aber zunächst, mit in den Krieg zu ziehen. Tatsächlich hatten England und Frankreich den Italienern in Geheimverhandlungen für einen Seitenwechsel große Gebiete in Österreich versprochen, unter anderem Südtirol. Im Mai 1915 erklärte Italien Österreich den Krieg. Der Plan Italiens, rasch nach Wien vorzustoßen, ging nicht auf, die Front verhärtete sich, und ein brutaler Alpenkrieg begann.

"Der Krieg ist zwar längst vorbei, aber in den Köpfen der Menschen sind immer noch Grenzen", sagt Monti. "Und mir scheint, mit dem zunehmenden Populismus in Europa werden es immer mehr. Die Berge waren immer ein Ort der Begegnung und des Zusammenseins - so soll es wieder werden."

Monti begann, Werbung für sein Projekt zu machen, trommelte Bergführer zusammen, und irgendwann hörte Jan Salcher vom Österreichischen Alpenverein davon. Der war gleich begeistert. "Ein Friedensweg auf Klettersteigart." In der Nachmittagssonne auf der Terrasse der Porze-Hütte, einer der meist besuchten Hütten auf dem Wanderweg entlang des Karnischen Kammes, isst Salcher ein großes Stück Marillenkuchen. Die Sahne hat er sich seufzend mit Blick auf seinen Bauch und die vielen sportlichen Wanderer und Radfahrer verkniffen. "Natürlich werden nur wenige Leute die ganze Runde in einem Zug klettern", sagt er. "Aber genau denen wollen wir ein Erlebnis anbieten, das sie woanders nicht bekommen."

Die Klettersteige waren zum Teil in so schlechtem Zustand, dass sie saniert werden mussten. Gemeinsam mit dem Tourismusverein Sexten und der Provinz Belluno schrieb Salcher einen Antrag auf Förderung durch den Interreg-Fonds der Europäischen Union. 200 000 Euro bekam das Team bewilligt, 30 Prozent davon für Werbung, 70 Prozent für die Instandsetzung der Klettersteige. Anfang Juni wurde die Runde feierlich eröffnet, auch Reinhold Messner war dabei. "In letzter Zeit werden immer mehr Klettersteige gebaut mit möglichst langen Brücken über möglichst tiefe Abgründe, damit die Touristen ein Hochgefühl bekommen und ihr Erlebnis gleich auf Facebook posten können", sagt Messner. "Das hat aber überhaupt nichts mit Klettern zu tun." Das kleinkarierte, nationalistische Gehabe in der letzten Zeit sei lächerlich. "Die Steige sind eine Anregung, die Grenzen im Kopf endlich abzuschalten."

Ganz so grenzenlos ist das Projekt allerdings noch nicht. Osttiroler reden abfällig über "die Italiener", Südtiroler sprechen von den "hinterwäldlerischen Nachbarn" in Osttirol, und die Provinz Belluno schaut neidisch auf die Südtiroler mit ihren vielen Touristen. "Kaum ein Südtiroler Bergführer verirrt sich hierher nach Osttirol", sagt Hannes Grüner, Bergführer aus Sillian. "Dabei gibt es bei uns noch nicht so viel Rummel, und man ist oft sogar allein am Berg." Über den Filmoor-Klettersteig steigt Grüner voran, eine vergleichsweise einfache Kletterei mit grandiosen Ausblicken, aber mit längeren ungesicherten Passagen, wo einem schwindelig werden kann. Immer wieder bückt sich Grüner und hebt Relikte aus dem Ersten Weltkrieg auf: ein Rohr und Bleche - "ein mobiler Ofen für die Soldaten"; Magazine, "so groß - das waren die von den Österreichern", und Teile des Stacheldrahtes, der die Front markierte. An einem alten Schützengraben zieht er sich die Windjacke an und die Kapuze tief ins Gesicht. "Hier am Karnischen Kamm weht es immer." Er packt seine Brote aus und trinkt einen Schluck Tee. "Damals im Krieg mussten Tausende Männer in Höhen zwischen 2000 und 2700 Metern ausharren, Waffen und Munition hochschleppen und in notdürftigen Unterkünften hausen", erzählt er. "Viele sind sehr jung erschossen worden - und viele starben auch durch Lawinen, Krankheiten oder Erfrierungen."

Der nächste Steig auf die 2599 Meter hohe Porze ist technisch noch einfacher, aber Grüner warnt davor, bei schlechtem Wetter zu gehen. Eine Frau sei vor einigen Jahren vom Weg abgekommen und in eine Schlucht gestürzt - unweit der Porze-Hütte. "Die Beschilderung muss hier wirklich noch verbessert werden", sagt er trocken.

Am Abend in der Porze-Hütte sind die Gäste nach nur 20 Minuten mit dem Abendessen fertig, und es wird still wie in einer Kirche. In italienischen Hütten wird dagegen lebhaft, laut und lange gegessen. "Diese kulturellen Unterschiede sind die einzigen Grenzen, die bleiben sollten", sagt Jan Salcher. "Denn die drücken Vielfalt aus, trennen aber nicht."

Informationen

Anreise: Mit dem Auto oder der Bahn nach Innichen. Von dort mit dem Bus nach Sexten.

Unterkunft: z. B. Hotel Grauer Bär in Innichen, DZ ab 140 Euro mit Halbpension, www.orsohotel.it; Hotel Monika in Sexten, DZ mit HP ab 140 Euro pro Person, www.monika.it.

Klettersteige: Die komplette Runde dauert neun bis zehn Tage, man kann natürlich aber auch nur einen Teil begehen, www.dolomitisenzaconfini.eu.

Bergführer: Kurt Stauder, www.globoalpin.com; Hannes Grüner, www.bergschule-aah.at.

Pauschalpaket: z. B. acht Tage (vier Personen), pro Person 1340 Euro, www.alpinschule-dreizinnen.com.

Weitere Auskünfte: www.sexten.info, www.osttirol.at, www.auronzomisurina.it.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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