Inflation:Antrainierte Gelassenheit

Frankfurter Skyline mit EZB

Die Europäische Zentralbank in Frankfurt verfolgt das Ziel, die Inflationsrate auf mittlere Sicht unter, aber nahe zwei Prozent zu halten.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Die Preissteigerung in Deutschland schoss im Mai über das von der EZB gesetzte Ziel hinaus. Doch das ist derzeit kein Grund zur Sorge für die Unternehmen.

Von Marcel Grzanna

Eine steigende Inflationsrate kann einen Unternehmer schon einmal ins Schwitzen bringen. Die Stadt verlangt mehr Geld für die Stromversorgung, die Rechnung an der Tankstelle für den firmeneigenen Fuhrpark klettert, der Einkauf von Materialien wird teurer, und die Gewerkschaften schlagen höhere Gehälter für ihre Mitglieder heraus. Schon der Gedanke daran, an so vielen Fronten tiefer in die eigene Tasche greifen zu müssen, birgt genug Anlass für schlechte Laune. Denn mit höheren Kosten sinken die eigenen Profite.

Als Antwort greift der Unternehmer seinerseits zu Preissteigerungen für die eigene Ware oder Dienstleistung und hofft darauf, dass der Kunde sich das klaglos gefallen lässt. Nach Belieben an der Preisschraube zu drehen, ist aber so einfach nicht in Zeiten des Internets, in denen Konsumenten bereits mit ein paar Minuten vor dem Bildschirm die Preise von Anbietern aus aller Herren Länder vergleichen können. Der Preisdruck auf die Produzenten hat dadurch massiv zugenommen. In dieser Gemengelage hilft nur eine gute Marktposition. Wer über viele Jahre Stammkunden zufriedengestellt hat oder qualitativ mit bekannten Vorteilen aufwarten kann, dem verzeihen die Käufer höhere Preise eher als dem Mitbewerber.

Welchen Effekt hat eine alternde Gesellschaft auf die Inflation?

Mittendrin im Wettbewerb befinden sich die deutschen Mittelständler. Doch Experten sehen zumindest die Industriebetriebe des Landes in sicheren Fahrwassern. Die Marktpositionen deutscher Produkte seien oftmals so stabil, dass Preissteigerungen beim Verbraucher akzeptiert würden. Der deutsche Handelsüberschuss bestätigt das: Das Ausland verschuldet sich, um deutsche Produkte zu kaufen. Sogar in so einem Maße, dass es ungesund ist für die Beziehungen zu anderen Staaten, die sich über den Tisch gezogen fühlen von den Deutschen. Die Konsequenzen daraus sind vielschichtig und vor allem politisch besonders brisant. Denn Deutschland wird gerade auch in einigen EU-Staaten in die Rolle des Sündenbocks für heimische Probleme gedrängt.

Doch die Inflationsrate selbst biete zurzeit wirklich keinen Anlass zur Sorge, sagt Konjunkturexperte Thomas Hüne vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). "Das sind monatliche Schwankungen, die zuletzt durch die Öl- und Lebensmittelpreise getrieben wurden. Für die Unternehmen birgt das wenig Gefahren", sagt Hüne. Im Mai waren die Verbraucherpreise in Deutschland nach mehr als einem Jahr erstmals wieder auf 2,2 Prozent gestiegen und damit 20 Basispunkte über das Idealziel der Europäischen Zentralbank (EZB) hinausgeschossen. Allerdings war die Kerninflationsrate, zu der weder Energie noch Lebensmittel beitragen, deutlich niedriger. Spannend bleibt aber noch die Frage, ob die jüngst beschlossenen vergleichsweise hohen Tarifabschlüsse im Bausektor und der Metall verarbeitenden Industrie möglichen Inflationsdruck verursachen. "Auch wenn ein Teil davon durch den Produktivitätsfortschritt wieder ausgeglichen wird, könnte das die Preise nach oben treiben", sagt BDI-Mann Hüne.

Tatsächlich versucht die EZB aber seit einer Weile, die Teuerung in der Euro-Zone zu befeuern, um den Richtwert von knapp unter 2,0 Prozent zu erreichen. Verbraucher und Unternehmen mögen steigende Preise vielleicht nicht. Doch der Richtwert lässt den Zentralbanken Spielraum, mit geldpolitischen Mitteln in die Entwicklung der Wirtschaft einzugreifen. Ist die Rate zu niedrig, wird die Luft dünner für erfolgreiche Interventionen.

Zurzeit liegen die Leitzinsen der Europäischen Zentralbank bei historischen null Prozent, und mit Wertpapierkäufen in Billionenhöhe flutete die Europäische Zentralbank den Markt mit zusätzlicher Liquidität. Im Mai endlich fruchtete die Geldpolitik, und die Teuerung in der Euro-Zone stieg auf 1,9 Prozent und damit bis knapp an das Planziel heran. Doch die Gestaltung der Preisentwicklung durch die Zentralbanken entpuppt sich als zunehmend kompliziert. Trotz guter Konjunkturdaten wie beispielsweise aus Griechenland zogen die Preise lange Zeit nicht nach, was wiederum die Frage nach weiteren Faktoren provozierte, die Einfluss nehmen auf inflationäre oder deflationäre Entwicklung.

Seit einer Weile forschen Ökonomen daran, inwieweit die Demografie eine Rolle spielt. Weitgehend einig sind sich die Experten, dass die Altersstruktur einer Bevölkerung nicht ohne Folgen bleibt. Doch welche konkreten Auswirkungen beispielsweise eine größere Zahl von älteren Menschen hat, die nicht mehr arbeiten, das ist noch weitgehend unklar. Weil es schwierig ist, die Effekte der Alterung einer Gesellschaft von den Effekten durch die Geldpolitik der Zentralbanken zu trennen. In einer neuen Studie der Bank for International Settlements (BIS) heißt es: "Ein tieferes Verständnis zu gewinnen über die rätselhafte Verbindung zwischen der Altersstruktur und der Inflation, wäre nicht nur von theoretischem Interesse, sondern es könnte einen Leitfaden für die Geldpolitik vermitteln."

Deutschland ist in hohem Maße von einer alternden Bevölkerung betroffen, weil die Geburtenrate zu niedrig ist. Die starken Jahrgänge 1955 bis 1969, auch Babyboomer genannt, treten in den kommenden fünf bis 20 Jahren in die Rente ein. Das hat Auswirkungen auf ihr Konsumverhalten und die Lohnentwicklung in Deutschland. Doch weil es keine empirisch gesicherten Erkenntnisse über den Zusammenhang von Demografie als isoliertem Faktor und der Inflation gibt, ist die Prognose wackelig. Zumal auch die Verbraucher teilhaben an der Entwicklung der Inflationsrate.

Die vergangenen Jahre haben bei Konsumenten ein Gefühl hinterlassen, dass keine Preissteigerungen drohen. Das lag eben auch an den Effekten der Digitalisierung, die den Preisdruck auf die Anbieter erhöht. Wer eine größere Anschaffung plant, sieht sich deshalb nicht genötigt, das schnell zu tun, weil die Preise zuletzt lange Zeit stabil blieben. Verzögerte Kaufentscheidungen verhindern jedoch, dass die Unternehmen über Preiserhöhungen nachdenken. Somit wirkt die antrainierte Gelassenheit der Konsumenten als weiteres Gegengewicht zur Inflation.

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