Löwen-Auswilderung:Freiraum für den König der Tiere

An mehreren Standorten im Süden Afrikas ziehen Naturschützer Löwen in Gefangenschaft auf, um sie später auszuwildern - und ernten heftige Kritik.

Jerry Guo

Auf einem Stück Buschland bei den Victoria-Fällen in Simbabwe verfolgen zwei junge Löwen ein Ehepaar aus Südafrika. Die Raubtiere, die mit erhobenen Köpfen Hüfthöhe erreichen, scheinen sich an die menschliche Beute anzupirschen. Dann sprinten sie plötzlich zur Seite in den Busch.

Löwen-Auswilderung: Das Auswildern von Raubkatzen ist generell riskant - bei Löwen scheint es zudem nicht sehr dringlich.

Das Auswildern von Raubkatzen ist generell riskant - bei Löwen scheint es zudem nicht sehr dringlich.

(Foto: Foto: Reuters)

Einige Männer verfolgen die Raubkatzen und scheuchen sie mit Drohgebärden zurück auf den Weg. Schließlich sollen die jungen Männchen dort für Fotos mit dem Ehepaar posieren, das 200 Dollar für einen Spaziergang mit den zahmen, in Gefangenschaft geborenen Löwen bezahlt hat.

"Walking with lions" heißt das Programm, das die Firma African Encounter in unmittelbarer Nähe zu den Wasserfällen anbietet. Dahinter steckt die gemeinnützige Organisation African Lion and Environment Research Trust (Alert), die mit dem Geld der Touristen "die Zukunft des afrikanischen Löwen sichern" will.

An mehreren Standorten im Süden Afrikas ziehen die Naturschützer Löwen in Gefangenschaft auf, um sie später auszuwildern. Ein Rudel von sieben Löwinnen soll noch in diesem Jahr auf einem 4000-Hektar-Gelände in Sambia freigelassen werden. "Niemand hat bisher versucht, was wir machen", rühmt sich David Youldon, der Leiter von Alert.

Doch seine Organisation erntet heftige Kritik von Artenschützern. "Das Alert-Programm hat keine solide Basis in der Wissenschaft", moniert Paula White, die sich an der University of California in Los Angeles mit den Lebensbedingungen von Raubkatzen beschäftigt.

Andrew Loveridge von der Universität Oxford ergänzt: "In den meisten Fällen ist die Auswilderung von Löwen schlecht durchdacht, nützt dem Arterhalt wenig und verbraucht wertvolle Ressourcen, mit denen man besser Populationen geholfen hätte, die dringend Schutz brauchen."

Der touristische Aspekt

Youldons Organisation folgt seit 2005 einem Standardverfahren zur Auswilderung. Bevor hier geborene Katzen freigelassen werden, leben sie in zunehmend größeren Gehegen und werden dem Kontakt mit Menschen entwöhnt. Dabei spielt auch "Walking with lions" eine Rolle, behaupten die Alert-Mitarbeiter.

Die jugendlichen Löwen, die im Alter von drei Wochen ihre Mütter verlassen, fänden hier Bindung an ein Rudel. "Wenn es um die reine Wissenschaft ginge, würde man es nicht so machen", gibt Pieter Kat zu, ein Tiergenetiker aus Lissabon, der Alert wissenschaftlich berät. "Es gibt einen touristischen Aspekt, irgendwo muss das Geld ja herkommen."

Der erste Versuch der Organisation, ein Rudel auszuwildern, hatte durchwachsene Ergebnisse. Im August 2007 versetzte Alert sieben Löwen in ein 200-Hektar-Gelände bei Gweru in Simbabwe. Innerhalb von zwei Monaten hatten die Männchen zwei Weibchen getötet - diese untypische Aggression führt Alert auf das Aufwachsen in Gefangenschaft zurück.

Nachdem die Organisation die Männchen aus der Gruppe genommen und ein rein weibliches Rudel geformt hatte, gediehen die Löwen ein Jahr lang, bevor das Gelände wegen Renovierung geschlossen wurde.

Die Raubkatzen hätten jedoch eine zu sehr behütete Existenz geführt, sagt Roseline Mandisodza, eine Ökologin aus Simbabwe, die die Tiere für ihre Abschlussarbeit beobachtet hat. Das Gehege war zu klein und hatte zu wenig konkurrierende Raubtiere. "Die Löwen hätten höchstens eine kleine Chance, draußen zu überleben."

Bedrohliches Immunschwäche-Virus

Das Auswildern von Raubkatzen ist generell riskant. Nach einer Statistik der World Conservation Union aus dem Jahr 2001 waren derlei Versuche nur in 30 Prozent der Fälle erfolgreich - fast immer handelte es sich um eine Umsiedlung wilder Tiere. Eine Aufzucht mit anschließender Auswilderung ist für Arten wie den Iberischen Luchs, der weniger als 200 Exemplare zählt, oder den Amurleopard, von dem noch 30 Tiere wild leben, dennoch die einzige Hoffnung.

Für Löwen sind die Bedingungen anders. Es gebe noch etwa 23.000 Löwen in Afrika, und das dringendste Problem sei der Erhalt ihrer Lebensräume, sagt Luke Hunter von der New Yorker Naturschützergruppe Panthera.

Löwen stehen zudem vor einer weiteren Bedrohung: Mehr als 90 Prozent der wilden Raubkatzen sind offenbar mit dem Felinen Immunschwäche-Virus (FIV) infiziert. Der Keim galt lange als harmloser Cousin des Aids-Erregers HIV. Doch bei einer Studie an 68 Löwen in Botswana zeigten gut zwei Drittel der Tiere mindestens ein Symptom, das den Aids-Folgen beim Menschen ähnelt.

Das FIV liefert wiederum Alert gute Argumente: Bei den in Gefangenschaft geborenen Tieren lasse sich der Erreger gut studieren, sagt Pieter Kat. "Wir können untersuchen, wie sich das Virus unter den Tieren verbreitet. Das ist in der Wildnis schwierig."

Aber Hunter und die anderen Alert-Kritiker halten die Gefahr durch FIV für gering; sie rechtfertige weder die Zucht der Löwen noch das "Walking with lions"-Programm. "Selbst wenn Alert einmal Erfolg hat, was ändert das?", fragt Hunter. "Sie können keine Lösung bieten auf einem Maßstab, der zählt."

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science erschienen, das die AAAS herausgibt. Informationen: www.sciencemag.org, www. aaas.org. Deutsche Bearbeitung: cris

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