Lesung:Das Nein der Daphne

Durs Grünbein Lesung

Durs Grünbein liest vor der "Daphne" von Markus Lüpertz.

(Foto: Manfred Neubauer)

Durs Grünbein huldigt der Lüpertz-Skulptur in Nantesbuch

Von Paul Schäufele, Bad Heilbrunn

Mit großen Augen blickt sie in die Ferne: Daphne, keusche Nymphe, die sich den Zudringlichkeiten des Orakelgotts Apoll durch Verwandlung entzog. Ihr Vater, der Flussgott, ließ sie zum Lorbeer werden, sie, die ewig Jungfrau bleiben wollte. Wer an Daphne denkt, hat dabei vielleicht Gian Lorenzo Berninis Meisterwerk vor Augen, die Halbsterbliche in eleganter Drehung, filigranste Marmorkunst. Nein, ein zartes Wesen ist sie nicht, die Daphne, die Markus Lüpertz 2003 im Auftrag der Altana-Kulturstiftung gestaltet hat. Kleinbusig und breithüftig, mit geblähtem Hals steht sie da, unter ihrem deformierten Fuß der Kopf des Verfolgers - eine Siegerin, keine Flüchtende, geschätztes Gewicht: eine Tonne. Im bayerischen Voralpenland hat die Bergnymphe ihre Heimat gefunden, vor sich graues Gebirge, im Rücken das Lange Haus der Stiftung Nantesbuch.

"Habt ihr die Neue gesehen, dort im Lorbeerhain?" Dieser Vers findet sich in einem der 27 Gedichte, zu denen sich Durs Grünbein von verschiedenen Versionen des Daphne-Mythos inspirieren ließ. Am Dienstag las der Lyriker auf Einladung der Stiftung Nantesbuch unter diesem Motto aus seinen Werken, in unmittelbarer Nähe zur Lüpertz-Bronze und im Giebelsaal des Langen Hauses. Es gibt nicht viele zeitgenössische Dichter, die wie er auf der Wichtigkeit des entscheidenden Moments, der "Eingebung", beharren. Dieser Moment lasse sich nicht erzwingen, so Grünbein, wohl aber stimulieren durch Kunstbetrachtung oder Lektüre. Die Daphne von Nantesbuch gehört für Grünbein zu jenen Verse auslösenden Werken. Dabei verneigt er sich nicht vor dem Kunstwerk, er schreibt aus vornehmer Distanz: "War sie wirklich so stämmig?"

Doch auch zufällig Gefundenes kann zum Gedicht führen. Für die Zuhörer wurde die Lesung so zum Gang durch die Mythengalerie, vorbei an Veronese und Poussin, Ovid und Ezra Pound, bis zu einem Berliner Graffito, das den Raum öffnete für das anschließende Gespräch mit Jörg Garbrecht, dem Programmleiter der Stiftung. Worin liegt das ewig Relevante des Daphne-Mythos? Für Durs Grünbein ist es vor allem das: Apoll, der Gott des Lichts, maßvoll und weise, verliebt sich unsterblich - ein beleidigter Cupido hat seine Finger im Spiel - er verliert die Kontrolle und wird übergriffig. Die Bedrängte entzieht sich. "Daphne, das in den Lorbeerbaum übersetzte Nein", so fasst Grünbein zusammen. Angesichts der aktuellen Me-too-Debatte gewinne gerade dieser Mythos an Bedeutung. Poesie könne dazu beitragen, den Blick zu schärfen, die eigenen vermeintlich sicheren Erkenntnisse und Meinungen zu hinterfragen und neue Perspektiven zu gewinnen. Für Grünbein bedeutet das, seine Lyrik nicht mit unverständlichen Chiffren zu versiegeln oder den Zugang durch modische Formexperimente zu verstellen. Seine Verse wurden in Nantesbuch aufgenommen als klare Sätze in schwebenden Rhythmen, offen für Anschluss und ein Gespräch ermöglichend. So klang der Abend aus mit Fragen und Anmerkungen aus den Reihen eines Publikums, das sich den Versen eines Lyrikers internationalen Zuschnitts gestellt hatte. Die Große, Schwere mit ihrem Apollo-Fußball steht fest in der Landschaft und bleibt unverwandelt. Doch die Blicke, die sie streifen, sind neu.

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