Kulturpolitik:Gegen den Marktradikalismus

Der ehemalige Politiker und Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin plädiert für die Beibehaltung der Buchpreisbindung.

Von Julian Nida-Rümelin

Die Buchpreisbindung in Deutschland ist nach Jahren der Ruhe erneut unter Beschuss geraten. Den Anstoß dazu Ende Mai hat die Monopol-Kommission mit einer kritischen Stellungnahme gegeben. Ein Déjàvu: Auch um die Jahrhundertwende galt die Buchpreisbindung als Auslaufmodell. Schon als ich im Januar 2001 das Amt des Kulturstaatsministers antrat, war das sogenannte Sammel-Revers, das deutsche Modell der Buchpreisbindung, unter massiven Druck geraten. Es hatte einige unglücklich ausgegangene Gerichtsverfahren gegeben, und den meisten Beobachtern erschien es als unabwendbar, dass die Buchpreisbindung in Deutschland auf Dauer nicht zu halten sein würde.

Viele Verlage sind in den letzten Jahren zur Einzelkalkulation von Büchern übergegangen

Für die Klärung der Frage, was für und was gegen das Instrument der Buchpreisbindung spricht, ist der Vergleich von Ländern mit und Ländern ohne Buchpreisbindung bei sonst ähnlichen Bedingungen erhellend, etwa der Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland. Tatsächlich sind die durchschnittlichen Buchpreise, wie es der ökonomischen Lehrbuchweisheit entspricht, in Großbritannien deutlich niedriger als in Deutschland. Die ungehinderte Konkurrenz über das Marktgeschehen erzwingt also niedrigere Preise als die eingeschränkte Konkurrenz über die verlagsseitig festgelegten Buchpreise, die bis zur Verramschung uneingeschränkt für alle Verkäufer gelten.

Auffällig ist allerdings, dass die Zahl der Buchhandlungen pro eine Million Einwohner in Deutschland um ein Mehrfaches höher liegt als in Großbritannien. Die Buchpreisbindung ermöglicht also das Überleben von Buchhandlungen, die unter reinen Marktbedingungen nicht überleben würden. Zudem ist die Zahl der Buchproduktionen, also der Bücher mit unterschiedlichen Titeln und Autoren, in Ländern mit Buchpreisbindung deutlich höher als in Ländern ohne.

Dies aber, die höhere Anzahl von Buchhandlungen und die größere Vielfalt der Buchproduktion, sind Kulturgüter von großer Bedeutung. Die Erreichbarkeit von Buchläden, die Möglichkeit, in den Regalen zu schmökern, sich Anregungen zu holen, auf die man zuvor gar nicht eingestellt war, vor allem aber auch sich beraten zu lassen, ist zweifellos ein kultureller Wert an sich, ganz unabhängig davon, wie die jeweilige Kaufentscheidung dann aussieht. Auch die größere Vielfalt ist ein kulturelles Gut, einmal deswegen, weil sie Autorinnen und Autoren in größerem Umfang eine Existenz ermöglicht, vor allem aber, weil sie erlaubt, ganz unterschiedlichen Leserinteressen gerecht zu werden.

Allerdings rechtfertigen diese beiden Kulturgüter einen Markteingriff in Gestalt der Buchpreisbindung nur dann, wenn diese auch wesentlich dazu beiträgt, diese Güter zu bewahren. Dies allerdings hat zur Voraussetzung, dass sich die Verlage und die Buchhandlungen nicht lediglich als gewinnoptimierende Unternehmen verstehen, sondern auch als Träger der Kultur. Dies ist zweifellos für viele kleinere und manche größere Buchhandlung in ganz Deutschland der Fall. Bei den Verlagen sieht die Situation durchwachsen aus. Viele Verlage sind unterdessen zur Einzelkalkulation von Büchern übergegangen, das heißt sie legen darauf Wert, dass in der Abschätzung der Marktchancen jedes einzelne Buch sich erwartbar rechnen müsse.

Zwanzig Jahre nach der ersten gibt es nun eine zweite Kampagne gegen die Buchpreisbindung

Der Effekt der Buchpreisbindung zur Förderung der Vielfalt tritt aber nur ein, wenn implizit oder explizit eine Praxis der Quersubventionierung im jeweiligen Verlag erfolgt. Konkreter: einzelne Bücher, von denen man sich einen großen Verkaufserfolg erwartet, ermöglichen es dem einzelnen Verlag, Bücher - zum Beispiel auch Gedichtbände - zu produzieren, von denen von vornherein anzunehmen ist, dass sie keinen Gewinn einspielen werden. Die Verantwortung des Unternehmenstyps Verlag für die kulturelle Entwicklung, natürlich immer in den Grenzen, die das eigene ökonomische Überleben sichern, ist die Voraussetzung dafür, an der Buchpreisbindung festzuhalten.

Es gibt eine ethische Dimension von Markteingriffen, die man abstrakt folgendermaßen fassen kann. Der Markt ist immer das effizientere Mittel, um Preise von Waren festzulegen, die Knappheitsbedingungen, sprich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage wiederzugeben. Der Markt ist aber systematisch nicht in der Lage, kollektive Güter in angemessenem Umfang bereitzustellen. Eine vielfältige Buchkultur, sowohl in Gestalt zahlreicher Titel, zahlreicher Buchhandlungen, als auch in Gestalt einer breitgestreuten Autorenschaft und Leserschaft, stellt sich über Marktgesetze allein nicht ein.

Hier sind die Bildungsinstitutionen von der Grund- bis zur Hochschule gefragt, die Kulturinstitutionen, vom Stadttheater bis zur Pinakothek, die Qualitätsmedien, speziell deren Feuilletons, auch die öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten. Bislang ist der Niedergang des Buches ausgeblieben. Das E-Book spielt eher eine komplementäre als eine substituierende Rolle. Selbst die wachsende Nutzung von Social Media hat dem altmodischen Lesen von Büchern bislang noch nicht den Garaus machen können.

Noch in meinem ersten Amtsjahr habe ich mich damals entschlossen, nicht einen aussichtslosen Kampf um die Aufrechterhaltung des Sammel-Revers zu führen, sondern einen radikalen Schnitt zu machen und der Buchpreisbindung durch ein nationales Buchpreisbindungsgesetz etwa nach dem Muster unseres westlichen Nachbarlandes Frankreich, ein seriöses und nachhaltiges Fundament zu geben.

Die Gesetzesinitiative traf zunächst auf den massiven Widerstand der großen Anbieter sowohl im Verlags- wie im Buchhandelswesen, ließ sich dann aber doch durch Kooperation zwischen Kulturstaatsminister und Wirtschaftsminister hinter den Kulissen durchsetzen, wobei das Wirtschaftsressort formal federführend war. Der damalige Wirtschaftsminister Werner Müller überließ die inhaltliche Ausrichtung dem Staatsministerium für Kultur, und sorgte dafür, dass die traditionell marktfreundliche und Staatseingriffen gegenüber skeptische Haltung seines Hauses das Projekt nicht konterkarierte.

Das nationale Gesetz zur Buchpreisbindung hat sich bisher als stabil erwiesen

Nun, fast zwanzig Jahre später, gibt es einen zweiten Ansturm, die Buchpreisbindung in Deutschland zu Fall zu bringen. Wieder wird die alte Leier angestimmt, dass Markteingriffe durch nichts zu rechtfertigen seien und in diesem konkreten Fall den Strukturwandel ohnehin nicht aufhalten könnten. Gemeint ist die weitere Ausdünnung der Infrastruktur an Buchhandlungen, die Ersetzung des Mediums Buch durch elektronische Träger und Internetangebote und die Verwandlung von Verlagshäusern in Unternehmen ohne Kulturverantwortung jenseits von Verwertungsinteressen.

Aus zwei Gründen sind die Bedingungen heute allerdings andere als um die Jahrhundertwende. Zum einen ist die Markt-Euphorie verflogen und mit ihr das naive Vertrauen darauf, dass im Zweifelsfall jeder Staatsabbau nützlich ist. Zum zweiten aber haben wir es nicht mehr mit dem fragilen Konstrukt des Sammel-Revers, also einer Branchenabsprache zu tun, sondern mit einem nationalen Buchpreisbindungsgesetz, das sich bislang auch in allen juristischen Auseinandersetzungen als stabil erwiesen hat.

Man darf daher zuversichtlich sein, dass die große Koalition, ermuntert von der Kulturstaatsministerin, Kurs hält, sich nicht verunsichern lässt durch Stellungnahmen ohne jede kulturelle Expertise und damit das Kulturgut Buch, das sich trotz aller technologischen Veränderungen bislang gut behauptet hat, verteidigt. In einer Zeit, in der die Internet-Euphorie in vielstimmigen Katzenjammer übergegangen ist, und angesichts der Machenschaften von Facebook und NSA, wäre es eine kulturpolitische Eselei sondergleichen, die Buchpreisbindung als wichtiges Instrument einer hoch entwickelten Buchkultur preiszugeben.

Der Verfasser lehrt Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Von Januar 2001 bis zum Ende der ersten Amtsperiode der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder im Oktober 2002 war er Staatsminister für Kultur und Medien.

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