USA:Üppiger Lohn von der Pharmaindustrie

USA: Experten bei der FDA sollen möglichst unabhängig sein - doch das System ist offenbar fehlerhaft.

Experten bei der FDA sollen möglichst unabhängig sein - doch das System ist offenbar fehlerhaft.

(Foto: AP)
  • Ein Bericht des Wissenschaftsmagazins Science zu möglichen Interessenkonflikten setzt die US-Gesundheitsbehörde FDA unter Druck.
  • Demnach erhalten wissenschaftliche Experten, die über die Zulassung neuer Medikamente abstimmen, hinterher oft Zuwendungen von den Herstellern.
  • Sieben Mediziner bekamen nach ihrem Votum auf diese Weise von der Industrie jeweils mehr als eine Million US-Dollar. Die Gelder dienten zur Forschung, aber auch für Reisen und als Honorare.

Von Christoph von Eichhorn

Beim Wirkstoff Ticagrelor waren sich die Experten schnell einig. Der Stoff schien erwiesenermaßen das Risiko für Schlaganfälle und Herzattacken zu mindern, die US-Zulassung erfolgte 2010 mit sieben zu einer Stimme. Heute ist der Blutverdünner für den Hersteller AstraZeneca ein "Blockbuster", das Medikament spielt unter dem Handelsnamen Brilinta jährlich mehrere Milliarden Dollar ein.

Doch jetzt fällt ein Schatten auf den Erfolg. Wie das Wissenschaftsmagazin Science berichtet, offenbart der Fall fragwürdige finanzielle Beziehungen zwischen wissenschaftlichen Experten der US-Gesundheitsbehörde FDA und der Pharmaindustrie. Dem Magazin liegen Unterlagen vor, wonach vier Mediziner, die über die Zulassung entschieden, in den Jahren danach von AstraZeneca und den unmittelbaren Konkurrenten der Firma mit Geld und Sachleistungen bedacht wurden, beispielsweise für Reisen und als Beraterhonorare. Konkurrierende Produkte könnten von den Voten ebenfalls profitieren, etwa beim Markteintritt oder bei der Verpflichtung für Warnhinweise. Der Kardiologe Jonathan Halperin von der Mount-Sinai-Klinik in New York soll auf diese Weise zwischen 2013 und 2016 Honorare, Beraterverträge und Reisen im Wert von mehr als 200 000 US-Dollar erhalten haben. Daneben unterstützte AstraZeneca die Forschung des Mediziners mit rund zwei Millionen Dollar.

Eigentlich sollen Experten, die von der FDA angeheuert werden, unabhängig sein und nicht finanziell profitieren. Jedoch fand Science bei der Analyse von öffentlich zugänglichen Zahlungen etliche solcher "Pay Later"-Situationen, bei denen Ärzte im Nachhinein Vorteile aus einem Votum zogen. 107 US-Mediziner, die beratend für die FDA tätig waren, nahm Science näher unter die Lupe. 40 von ihnen erhielten nach einer positiven Entscheidung von betreffenden Pharmafirmen oder Konkurrenten mehr als 10 000 Dollar innerhalb von vier Jahren. 26 dieser Mediziner brachten es jeweils auf mehr als 100 000 Dollar, sieben Forscher kamen sogar auf Leistungen von je mehr als einer Million. Bei den 17 Top-Empfängern stammten 94 Prozent der Gelder von Herstellern von Arzneien, welche die Experten zuvor positiv beurteilt hatten, oder von direkten Konkurrenten.

Das Geld der Industrie kommt später. Das könnte ein Weg sein, "die Belohnung zu verzögern"

Die nachträglichen Zahlungen seien ein Weg, "die Belohnung hinauszuzögern", kritisierte der Medizinethiker Carl Elliott in Science. "Man tut einer Firma etwas Gutes, bei der man zuversichtlich sein kann, dass sie einen später dafür entlohnt." Die Gelder mögen anstößig sein, illegal sind sie bislang wohl nicht. Um Unabhängigkeit zu gewährleisten, fragt die FDA mögliche Interessenkonflikte ab - etwa ob derzeit eine Geschäftsbeziehung mit zu bewertenden Unternehmen besteht. Erwartete zukünftige Zahlungen zählen laut FDA jedoch nicht dazu. Halperin und andere Mediziner rechtfertigten sich gegenüber Science damit, die nachträglichen Zahlungen hätten ihre Entscheidung nicht beeinflusst. Zudem sei es wichtig, Expertise zu Medikamenten aufzubauen, etwa anhand klinischer Studien. Unterstützung durch die Hersteller sei hierfür unabdingbar.

Allerdings werden in der Analyse auch Zahlungen aufgedeckt, die bereits im Vorfeld von FDA-Entscheidungen an einzelne Experten flossen. So erhielt Daniel Solomon von der Harvard Medical School nur drei Monate vor der Entscheidung zugunsten des Rheuma-Medikaments Amjevita von dessen Hersteller Amgen Unterstützung in Höhe von mehr als 200 000 US-Dollar, um ein ähnliches Präparat zu studieren, und weitere 800 000 Dollar für die Forschung an einem Konkurrenzprodukt. Inwieweit Solomon und andere Experten solche Unterstützung offengelegt haben, ist jedoch laut Science unklar, da die FDA die Herausgabe der Conflict-Of-Interest-Erklärungen verweigert habe oder erklärte, die Dokumente nicht finden zu können.

In Europa ist am ehesten die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA mit der FDA vergleichbar. Die in London ansässige Behörde hat ebenfalls keine Regeln für Zahlungen an Experten, die nach einer Entscheidung für oder gegen ein Medikament geschehen. Allerdings verlässt sich die EMA nach eigenen Angaben bei der Zulassung stärker auf von den Mitgliedsstaaten entsandte Beamte und weniger auf externe Wissenschaftler oder Ärzte. Auch die Regeln für Interessenkonflikte sind zum Teil strenger. Experten mit finanziellen Verbindungen zu Pharmaunternehmen, deren Produkte bewertet werden sollen, sind grundsätzlich von solchen Entscheidungen ausgeschlossen (die FDA erlaubt gewisse Ausnahmen). Unterstützung für Forschungsprojekte durch die Industrie ist für die EMA ein Ausschlusskriterium.

Beide Behörden arbeiten verstärkt zusammen, etwa bei der Inspektion von pharmazeutischen Betrieben. Ein Sprecher der EMA betonte gegenüber der SZ, dass sich diese Zusammenarbeit nicht auf die Zulassung an sich erstrecke. Ein Votum zugunsten einer Therapie in den USA beeinflusse also nicht den Prozess der Zulassung in Europa, so der Sprecher. "Wir verlassen uns nicht auf ihre Studien, und sie verlassen sich nicht auf unsere."

Nachträgliche Zahlungen der Pharmaindustrie an Gesundheits-Experten sollten auch in Europa geregelt werden, sagt Gerd Antes, Direktor am Deutschen Cochrane Zentrum, das sich für evidenzbasierte Entscheidungen im Gesundheitssystem einsetzt. "Transparenz muss machbar sein", sagt Antes. Von Entscheidungen betroffene Pharma-Firmen könnten etwa verpflichtet werden, spätere Leistungen an Experten im Gesundheitswesen offenzulegen, oder solche Zahlungen könnten ganz verboten werden.

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