Streitgespräch:Positive Klimabilanz oder bessere Alternativen

Welche Vor- und Nachteile das Geothermie-Projekt in Puchheim für die Bürger vor Ort und global gaben könnte, ist umstritten. In der Reihe "SZ im Dialog" tauschen Manfred Sengl und Michael Pausch ihre Argumente aus

Interview von Peter Bierl, Puchheim

Ein Erdbeben in Poing erschüttert seit vergangenem Herbst Puchheim. Dort wird seither über ein Geothermie-Projekt gestritten, das die Kommune seit eineinhalb Jahrzehnten verfolgt. Die Bohrfirma Exorka und die Kommune wollen in etwa 2400 Meter Tiefe eine Ader mit etwa 80 Grad heißem Wasser anzapfen. Das würde nicht für Stromproduktion, aber für die Heizung reichen. Die Kommune will sich mit 2,5 Millionen Euro an einer Fördergesellschaft beteiligen. Über die Folgen diskutieren in der Reihe SZ im Dialog der Diplom-Ingenieur Michael Pausch als Vertreter der Bürgerinitiative gegen Geothermie, und Manfred Sengl, Vorsitzender des Umweltbeirates der Stadt und Fraktionsvorsitzender der Grünen, der für das Kraftwerk eintritt. Das letzte Wort haben die Wähler bei einem Bürgerentscheid am Sonntag, 22. Juli. Dabei muss die Abstimmungsmehrheit ein Quorum von 20 Prozent der gesamten Wählerschaft erreichen, damit der Entscheid gültig ist.

SZ: Der Bürgermeister betont, er verfolge das Projekt aus ökologischen Gründen. Was bringt Geothermie dem Klimaschutz?

Manfred Sengl: Die Geothermie-Anlage soll etwa 20 Gigawattstunden Energie für Heizung und Warmwasser liefern. Wenn man berücksichtigt, dass die Förderpumpe Strom zum üblichen Mix braucht, komme ich auf 5500 bis 6000 Tonnen Kohlendioxid weniger im Jahr. Das entspricht fast 15 Prozent der Emissionen, die durch Heizungen in Puchheim entstehen. Wenn wir die Fernwärme ausbauen, ließe sich dieser Effekt verdoppeln.

Michael Pausch: Für mich ist die Rechnung einigermaßen nachvollziehbar, solange es um Wärme geht. Allerdings wird nicht berücksichtigt, dass ein Drittel des Gases, das derzeit in Puchheim für die Fernwärme verwendet wird, aus Biomethan besteht. Obendrein würde das Blockheizkraftwerk abgeschaltet, das Wärme als Abfall produziert. Die Stadt selbst spricht in einem Papier von einem Primärenergiefaktor von 0,01, insofern gibt es keinen Einspareffekt. Stattdessen gehen etwa 11,4 Gigawattstunden Strom verloren, die im Blockheizkraft mit hohem Wirkungsgrad vergleichsweise umweltfreundlich produziert werden. Fällt das weg, ergibt sich ein Plus von etwa 6900 Tonnen Kohlendioxid, dazu etwa 2500 Tonnen für die Förderpumpe. Unterm Strich entstehen etwa 2600 Tonnen Kohlendioxid zusätzlich.

Sengl: Das ist eine Übertreibung um 160 Prozent. Die Pumpe braucht etwa zwei Gigawattstunden, das entspricht beim bundesweiten Strommix von 2017 weniger als 1000 Tonnen Kohlendioxid.

Pausch: Sie stützen sich auf Zahlen der Bohrfirma Exorka, ich verwende Daten von der Geothermie-Anlage in Freiham, die vergleichbar ist. Wenn man die Zahlen aus Freiham auf Puchheim umrechnet, ergeben sich die von mir genannten Daten.

Sengl: Außerdem wird das Bayernwerk das Blockheizkraft aus Puchheim woanders einsetzen und das Biomethan ebenfalls, dann ist die Klimabilanz absolut positiv.

Heißt das, die Geothermie-Anlage trägt global betrachtet zur Senkung des CO2-Ausstoßes bei, aber lokal bringt es nichts, der Ausstoß steigt sogar an?

Sengl: Nein, denn der Strommix wird sich verändern, wenn mehr Fotovoltaikanlagen errichtet werden, wie die Freiflächenanlage in Puchheim. Das ergibt dann lokal eine absolut positive Bilanz.

Pausch: Wenn man global argumentiert, könnte man sagen, von dem Geld kann man Windräder in der Ostsee bauen, die effektiver sind. Wir wollten doch gerade lokal etwas verändern. Das ist doch der Anspruch. Es gibt Alternativen zur Geothermie, die dem Klimaschutz mehr dienen. Die können wir nach dem 22. Juli angehen.

Grünwald, Laufzorn, Geothermie Laufzorn, Foto: Angelika Bardehle

Heißwasser aus dem Untergrund: Geothermie Laufzorn in Grünwald.

(Foto: Angelika Bardehle)

Die Bürgerinitiative hat errechnet, dass Fernwärme und Geothermie für den Verbraucher teuerer wären als fossile Energieträger.

Pausch: Bei einem Reihenmittelhaus im Wohnpark Roggenstein liegen die Kosten bei etwa 2000 Euro im Jahr, mit einer anderen Heizung zahlen Sie nur die Hälfte. An der Geothermie wollen die Fördergesellschaft aus Exorka und Stadt verdienen, dann das Bayernwerk und in der Planie noch mal die Firma Danpower. Die hat es wegen überhöhter Preise prominent bis zum Bundeskartellamt geschafft und wurde zu einer Rückerstattung verurteilt. Wir alle kennen die Klagen der Mieter in der Planie über überhöhte Rechnungen

Sengl: Die Stadt Puchheim gestaltet diese Preise nicht.

Pausch: Aber Sie treiben die Mieter diesem Anbieter in die Arme.

Sengl: Und Sie berücksichtigen die Kosten nicht, etwa für Wartung der Heizung, Service oder Kaminkehrer, die durch Geothermie wegfallen, sondern nehmen nur die reinen Energiekosten. Ein weiterer Vorteil für die Verbraucher besteht darin, dass sie langfristig mit stabilen Preisen rechnen können, während Öl und Gas teuerer werden. Und die neuen Niedrigenergiehäuser brauchen sowieso nur wenig Wärme.

Pausch: Alle Neubauten müssen ab 2020 aufgrund einer EU-Vorgabe fast einen Null-Energie-Bedarf erreichen. Fernwärme bedeutet dann, Sie müssen eine große Infrastruktur vorhalten für wenige sehr kalte Tage im Jahr. Die Wartungskosten für eine eigene Heizung sind über die gesamte Nutzungsdauer hinweg zu vernachlässigen.

Sengl: Wir können öffentliche Einrichtungen anschließen, Schwimmbad, Sportzentrum, Altenheim und Schule.

Pausch: Schulen stehen das halbe Jahr leer. Die Puchheimer Schule ist ein Glasbaukasten mit Radiatoren aus den 1970er-Jahren, die sehr hohe Vorlauftemperaturen benötigen. Das gilt auch für die anderen Gebäude, etwa in der Planie. Die Bedingungen sind extrem ungünstig, aber einer gewinnt auf jeden Fall, die Bohrfirma.

Mit dem vorhandenen Fernwärmenetz kann nur die Hälfte der erwarteten Energie von 40 Gigawattstunden verwertet werden. Was würde ein Ausbau des Netzes kosten? Wird es einen Anschlusszwang für Neubaugebiete geben wie in Freiham?

Sengl: Nein, einen Anschlusszwang wird es nicht geben. Was die Kosten für den Ausbau betrifft, die sind sicher schon eingepreist.

Pausch: In Unterhaching hat der Bau des Fernwärmenetzes 50 Millionen Euro gekostet. Der Fernwärme-Kunde zahlt am Ende jeden Cent. Man könnte mit solchen Summen eine größere CO2-Einsparung erreichen, würde man die Energieeffizienz vieler Häuser in Puchheim steigern.

Experten sagen, Erdbeben durch Geothermie seien nicht auszuschließen, aber erst ab Stärke 3, die bei Anlagen im Raum München noch nie gemessen wurde, könnten Risse im Putz auftreten.

Pausch: Es ist sicher ein Blick in die Glaskugel, weil wir nicht wissen, was passieren kann, allerdings sind Schäden nicht auszuschließen. Denn es geht nicht um Einsturzgefahr, sondern um mikroskopisch kleine Risse und das bei hohem Grundwasserstand und ständigem Wasserdruck, den es in Freiham, Unterhaching oder Poing nicht gibt. Dazu kommt, dass die Energieabstrahlung von Erdbebenherden nicht kugelförmig, sondern gerichtet ist und wir haben in Puchheim Kies im Untergrund, der gut leitet. Diese Wellen stellen insbesondere für längere Gebäude wie Reihenhäuser und Tiefgaragen ein Risiko dar. Außerdem erfüllen sicher nicht alle Häuser die DIN-Norm, vor allem ältere Gebäude, aber auch bei Neubauten sind Baufehler nicht auszuschließen.

Streitgespräch: Diskutierten bei "SZ im Dialog": Michael Pausch (von links), SZ-Mitarbeiter Peter Bierl und Manfred Sengl. Die Aufzeichnung des Gesprächs ist auf der Facebook-Seite der SZ Fürstenfeldbruck abzurufen.

Diskutierten bei "SZ im Dialog": Michael Pausch (von links), SZ-Mitarbeiter Peter Bierl und Manfred Sengl. Die Aufzeichnung des Gesprächs ist auf der Facebook-Seite der SZ Fürstenfeldbruck abzurufen.

(Foto: Angelika Bardehle)

Auch Sie sprechen von einem Restrisiko, Herr Sengl.

Sengl: Ja, weil die Experten, auf die wir uns stützen, Wissenschaftler sind, die auf der Basis vorhandener Daten, etwa der Seismik in Poing, urteilen und deshalb keine hundertprozentige Aussage machen können. Aber wir haben genügend Daten um guten Gewissens sagen zu können, dass seismische Aktivitäten, die ein Gebäude schädigen, in Puchheim nicht auftreten werden.

Pausch: Sie haben aber selbst eine ausreichende Beweissicherung und eine höhere Versicherungssumme gefordert. Mir ist die Summe von zehn Millionen ein Rätsel. Wenn das Risiko so gering wäre, müsste es versicherungsmathematisch ein leichtes sein, eine Summe in einer ganz anderen Größenordnung herauszuholen.

Eine Beweissicherung für alle wird es sowieso nicht geben, oder?

Sengl: Das ist nicht machbar. Man wird vergleichbare Gebäude nehmen. Wichtig ist, eine sinnvolle Auswahl zu treffen und diese Häuser von Sachverständigen dokumentieren zu lassen.

Wird sich eine Versicherung im Schadensfall mit dem Hinweis auf ein anderes vergleichbares Gebäude zufriedengeben?

Sengl: Da könnte die neue Möglichkeit der Sammelklage greifen.

Pausch: Nein, die greift nicht, weil jedes Haus anders ist und möglicherweise andere Vorschäden hat. Das ist kein Massenphänomen wie beim Abgasskandal, wo alle Autos mit der gleichen Fake-Software ausgestattet wurden.

Sengl: Aber wenn 50 Keller, die vorher trocken waren, nach einem Beben plötzlich nass sind, dann ist das vergleichbar.

Pausch: Die Schäden können einige Zeit später auftreten und völlig verschiedene Ursachen haben

Weder Beweissicherung noch Beweislastumkehr überzeugen Sie?

Pausch: Die Beweislastumkehr, von der immer die Rede ist, gibt es so nicht. Bei Altbauten wissen die Leute meist nicht, ob Vorschäden existieren. Keiner weiß, ob etwa bei verschiedenen Hochwassern welche entstanden sind. Wenn ja, kann die kleinste Erschütterung reichen, damit Risse auftreten. Wenn ein Gutachter bei mir solche Schäden dokumentiert, stelle ich mich selbst ins Abseits. Die Versicherung wird sich weigern zu bezahlen.

Sengl: Aber ob ein zusätzlicher, neuer Schaden aufgetreten ist, lässt sich doch sehr wohl feststellen.

Pausch: Damit bewegen wir uns doch genau auf der Ebene des Gutachterstreits, der hunderttausende von Euro kostet, von der Rechtsschutzversicherung nicht gedeckt ist und den ich mir nicht leisten kann. Und der Betreiberfirma steht in jedem Fall der Rechtsweg offen, worauf der Geschäftsführer ja erst hingewiesen hat.

Wie lautet Ihre Prognose zum Ausgang des Bürgerentscheids?

Pausch: Es wird sehr eng, ich tippe auf 53:47 Prozent gegen Geothermie. Aber ich fordere alle auf, egal wie sie zu dem Projekt stehen, zur Wahl zu gehen.

Sengl: Ich bin fest davon überzeugt, dass das Quorum erreicht wird. Der Bürgerentscheid über den Golfplatz hat gezeigt, dass die Puchheimer für solche Fragen zu mobilisieren sind. Und ich glaube, dass eine knapp Mehrheit sich für die Geothermie aussprechen wird, weil sie für den Klimaschutz ist.

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