NSU-Prozess:Was die Stadt zum NSU-Urteil erwartet

NSU-Prozess

Das Urteil gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten steht unmittelbar bevor.

(Foto: dpa)
  • An diesem Mittwoch spricht das Münchner Oberlandesgericht sein Urteil im NSU-Prozess.
  • Vor dem Gerichtsgebäude wollen Hunderte, möglicherweise Tausende Demonstranten Solidarität mit den Familien der Opfer zeigen.
  • Für Autofahrer könnte es ein schwieriger Tag werden: Die Haltverbotszone rund um das Strafjustizzentrum wird ausgeweitet, es kann zu kurzfristigen Absperrungen kommen.

Von Martin Bernstein

Für das Bündnis gegen Naziterror und Rassismus ist der Mittwoch der "Tag X". Denn auch nach fünf Jahren NSU-Prozess gebe es mehr Fragen als Antworten, sagt Sprecherin Patrycja Kowalska: "Solange die Anliegen der Betroffenen und Angehörigen um Aufklärung, Rehabilitation und Gedenken nicht gehört werden, das gesamte Netzwerk des NSU nicht enttarnt, die staatlichen Verwicklungen nicht offengelegt werden und dies alles nicht Konsequenzen nach sich zieht - solange fordern wir: kein Schlussstrich."

Am Mittwoch spricht das Münchner Oberlandesgericht nach mehr als fünf Jahren Prozessdauer sein Urteil über Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten. Vor dem Gerichtsgebäude werden Hunderte, möglicherweise Tausende Demonstranten Solidarität mit den Familien der Opfer zeigen. Im April 2013, kurz vor Prozessauftakt, hatten rund 10 000 Menschen in München gegen rechtsextremistische Gewalt demonstriert. Zu den Kundgebungen am Mittwoch wird bundesweit aufgerufen.

Falls auch die rechte Szene ihre Gesinnungsgenossen mobilisiert, dann macht sie das bisher relativ geräuschlos. Zumindest sind den Staatsschützern der Münchner Polizei keine entsprechenden Aufrufe von Sympathisanten des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt. Vorbereitet sind jedoch auch die Sicherheitskräfte auf den Tag des Urteilsspruchs. Mindestens 350 Beamte werden im Einsatz sein, darunter auch geschlossene Einheiten. Bei Bedarf wird aufgestockt. So ein Bedarf bestünde etwa, wenn rechte Sympathisanten mit Nazi-Gegnern aneinandergerieten oder wenn die Zahl der Demonstranten am Abend - Beginn ist um 18 Uhr - die bisher beim Münchner Kreisverwaltungsreferat (KVR) angemeldeten 1000 Teilnehmer weit übersteigen würde.

Dass Neonazis unter den Zuhörern bei der Urteilsverkündung sein werden, ist nicht ausgeschlossen. Zum Prozessauftakt war das der Fall, auch an vielen weiteren Verhandlungstagen. Die Justiz kann ihnen den Eintritt zunächst nicht verwehren. Auf Störungen ist man jedoch vorbereitet, Justizwachtmeister seien in großer Zahl im Einsatz. Sie können Störer aus dem Saal führen oder festnehmen. Die sogenannte "Sitzungspolizei", also die Hoheit über die Ordnung im Sicherheitsbereich rund um den Saal A 101, hat der Vorsitzende Richter. Im übrigen Gebäude und auf dem Vorplatz übt die Justiz ihr Hausrecht aus, für den öffentlichen Bereich drumherum ist die Polizei zuständig.

Noch gibt man sich im Polizeipräsidium betont entspannt. Man rechne nicht mit Auseinandersetzungen. Auch an Straßensperren zwischen dem Gefängnis in Stadelheim und dem Prozessort ist derzeit noch nicht gedacht. Möglich seien sie aber. Ebenso könne es temporäre Sperrungen während der Demonstration geben, etwa im Bahnhofsviertel, sagt Polizeisprecher Werner Kraus.

Kundgebungen in ganz Deutschland

Problematisch dürfte der Tag also auf jeden Fall für Autofahrer werden. Wegen der vielen Einsatzfahrzeuge und der Übertragungswagen zahlreicher Medienvertreter wird die Haltverbotszone rund um das Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße bereits am Dienstag und dann noch einmal am Mittwochmorgen um 6 Uhr massiv ausgeweitet.

München und der NSU

In München verüben die Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) zwei ihrer zehn Morde. Am 29. August 2001 wird der Gemüsehändler Habil Kılıç, 38, in seinem Geschäft in der Bad-Schachener-Straße in Ramersdorf erschossen, am 15. Juni 2005 der Inhaber eines Schlüsseldienstes in der Trappentreustraße im Westend, Theodoros Boulgarides, 41. Rund 10 000 Menschen demonstrieren am 13. April 2013 in München gegen Rechtsextremismus und für Solidarität mit den Opfern des NSU. Vor und nach Prozessbeginn werden im April und Mai 2013 in München in kurzer Folge knapp ein Dutzend Anschläge und Sachbeschädigungen gegen Einrichtungen und Personen verübt, die sich gegen Rechtsextremismus oder für Migranten engagieren. Auch die Kanzlei der mittlerweile verstorbenen Nebenklage-Anwältin Angelika Lex wird Ziel einer derartigen Attacke. Mindestens einer der Angeklagten im NSU-Prozess zeigt bei mehreren Gelegenheiten, dass er in der rechten Szene Münchens gut vernetzt ist: André E. übernachtet im Mai 2013 zusammen mit seinem Zwillingsbruder zeitweise in einer Neonazi-Wohngemeinschaft in Obermenzing. E. nimmt im Januar 2015 sogar an einer der ersten großen Demonstrationen des Münchner Pegida-Ablegers teil. Mit dabei ist auch der 2010 als Rechtsterrorist verurteilte Karl-Heinz S., der seither immer wieder im Zuschauerraum des NSU-Prozesses gesehen wird. S. ist führender Kader der Neonazi-Partei "Der dritte Weg", die das NSU-Verfahren als "Schauprozess" diffamiert, und pflegt Kontakte sowohl zur Münchner Pegida als auch in die Hooligan-Szene des TSV 1860. bm

Dazu kommen die angemeldeten Kundgebungen. Die Nazigegner versammeln sich um 8 Uhr direkt vor dem Gericht. Die Route des Demonstrationszugs am Abend steht noch nicht fest. Am Montag findet im KVR dazu ein Kooperationsgespräch mit Vertretern der Stadt, der Polizei und des Bündnisses gegen Naziterror statt. "Am Tag der Urteilsverkündung kann es wegen des Transports der Angeklagten, Anfahrt der Nebenkläger und dem Versammlungsgeschehen zu Sperrungen der Straßen und Radwege rund ums Gerichtsgebäude kommen", sagt KVR-Sprecher Johannes Mayer. Er rät dringend, den Bereich an diesem Tag weiträumig zu umfahren.

Eine erste Demonstration ist bereits für Montagabend geplant. "Kein Schlussstrich unter den NSU-Komplex" fordern die Teilnehmer, die zwischen 17 und 20 Uhr vom Geschwister-Scholl-Platz vor der Universität zur Theresienstraße ziehen werden. Zur Dauerkundgebung am Mittwoch vor dem Gerichtsgebäude werden dann Teilnehmer aus ganz Deutschland erwartet. Aus Berlin, Dresden, Erlangen, Frankfurt, Mannheim, Karlsruhe, Stuttgart, Kassel, Köln, Nürnberg, Passau, Regensburg, Rosenheim und Würzburg fahren Züge und Busse. Demonstrationen zum "Tag X" finden nicht nur hier, sondern auch in Berlin, Dortmund, Dresden, Freiburg, Frankfurt, Göttingen, Halle, Hamburg, Hannover, Kiel, Leipzig, Lüneburg und Rostock statt.

Patrycja Kowalska zieht für das Bündnis schon jetzt eine Lehre aus dem NSU-Prozess: "Wir müssen solidarisch gegen den Rassismus zusammenhalten." Auch wenn der Staat die Aufklärung "ad acta legen" wolle, würden die Initiativen weiter daran arbeiten, "dass die Mordserie nicht vergessen wird und alle Verwicklungen endlich aufgedeckt werden".

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