"Foxtrot" im Kino:Todestanz

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Am Grenzkontrollposten im Nirgendwo lauert surrealistische Langeweile. Aber in Samuel Maoz’ „Foxtrot“ ist der Tod nie fern. (Foto: Verleih)

Mit seinem Antikriegsfilm "Foxtrot" hat Samuel Maoz ein unentrinnbares Drama des Absurden geschaffen - und halb Israel gegen sich aufgebracht.

Von Thorsten Schmitz

Es ist der Albtraum aller Eltern in Israel: dass Armeeseelsorger an ihrer Wohnungstür läuten. David Grossman hat einen ganzen Roman über diese Furcht geschrieben, die mit dem Armeedienst der Kinder beginnt. Jeder in Israel weiß: Es sind immer ein Offizier, ein Arzt und eine Soldatin, die zusammen die Nachricht vom Tod des Sohnes oder der Tochter überbringen. In Israel nennt man das Dreiergespann auch "Totenglocke".

Die erste Szene in "Foxtrot" zeigt eines dieser manikürten Tel Aviver Penthouse-Apartments, die sich eigentlich kein Mensch leisten kann. Teure, moderne Möbel, Hightech-Toiletten, Apple-Laptop, ein phänomenaler Blick. Hier oben ist der Nahostkonflikt ganz weit weg. Doch plötzlich klingelt es an der Tür, Dafna Feldman (sehr fein gespielt von Sarah Adler) öffnet. Es braucht keine Worte, sie versteht, fällt in Ohnmacht. Ihr Sohn Jonathan soll bei einem Armeeeinsatz ums Leben gekommen sein. Erstarrt schaut ihr Ehemann - gespielt von einem der faszinierendsten Schauspieler Israels, Lior Ashkenazi - zu, wie die Seelsorger Dafna ein Beruhigungsmittel spritzen. Später bläuen sie ihm ein, er solle alle Stunde Wasser trinken und sich um die Beerdigung kümmern.

Mit aller Wucht hat die brutale Nahostrealität die Feldmans erreicht. Der Vater ist wie betäubt, irrt hin und her. Um Schmerz zu fühlen, hält er seine Hand unter kochend heißes Wasser. Man kann in Israel ganz gut ohne den Konflikt leben, in Städten wie Tel Aviv lässt er sich prima ausblenden. Doch das Klingeln beendet diese Illusion.

Die Besatzung zerstört uns, sagt David Grossman - dieser Film zeigt, wie das passiert

Mit dieser Eröffnungssequenz setzt der Regisseur Samuel Maoz den Ton für einen israelischen Antikriegsfilm, der einen unentrinnbaren Sog entwickelt. Es ist ein kühl inszeniertes Kammerspiel über die Absurdität, in der Israel heute gefangen ist. Umgeben von Feinden, weit weg von der nächsten Demokratie, bemüht sich das Land um einen modernen Alltag, wie er überall in der westlichen Welt gelebt wird. Doch die Besatzung, das ist die traurige Botschaft des Films, korrumpiert auch jene auf der Siegerseite. Samuel Maoz pflichtet David Grossman bei, der sagt: "Die Besatzung zerstört uns." Von dieser Zerstörung erzählt "Foxtrot" in magischen Bildern. Der Film hält den Finger in die Wunde, er hat das ganze Land gespalten. Die einen schimpfen Maoz einen Vaterlandsverräter, die anderen preisen ihn für Mut, Scharfsinn, Beobachtungsgabe. Ihn selbst, sagt er, habe die heftige Kritik überrascht.

Man sieht zum Beispiel junge Soldaten, 18, 19 Jahre alt, die an ihrem Militärposten ein Paar auf dem Weg zu einer Hochzeit kontrollieren. Es beginnt zu schütten, aber die Soldaten lassen sich Zeit. Die Frisur der Frau zerfällt im Regen, ihr Make-up verrinnt, sie weint. Man möchte mitweinen.

Weite Strecken spielen an einem namenlosen Armeekontrollposten, im Nirgendwo einer Wüste. Dort sind vier Soldaten im Einsatz, einer von ihnen Jonathan, die Dosenfutter aufwärmen und sich nachts mit Comics wachhalten. Manchmal kommt ein Dromedar vorbeigetrottet, dem sie den Schlagbaum öffnen. Die vier schlagen die Zeit tot in einem Container, der langsam im Schlamm versinkt. Sie erzählen sich Witze, sie zeichnen Comics, sie langweilen sich. Starke Szenen über die Sinnlosigkeit wie diese haben die Kritiker des Films aufgebracht. Dann das große Drama. Ein Auto stoppt am Schlagbaum, darin ein paar arabisch aussehende junge Menschen in Partylaune. Die Soldaten richten grelle Scheinwerfer auf die Insassen, sie kontrollieren ihre Ausweise. Ein falsch verstandenes Geräusch, und plötzlich schießen die Soldaten auf die jungen Menschen. Alle sind auf der Stelle tot. Mit dem Segen ihres Kommandeurs verscharren die Soldaten das Auto und die Toten im Wüstensand. Der Kommandeur sagt: "Meines Erachtens habt ihr nur die Anweisungen befolgt. Krieg ist nun mal Krieg."

Die Kamera wandert nach oben, als schaue sie ungläubig auf das apokalyptische Spektakel

Was für eine Verunglimpfung!, regte sich die höchst umstrittene Kulturministerin Miri Regev auf. Die frühere Pressesprecherin der Armee zieh Maoz der Lüge, warf ihm vor, er sei "ein Agent" der umstrittenen Boykottgruppe BDS (Boycott, Deinvestition, Sanktionen), der Israel und die Armee verrate. Bis heute brüstet die Ministerin sich damit, den Film nur in Ausschnitten gesehen zu haben. Diese hätten ihr gereicht. Als "Foxtrot" dann doch keine Oscarnominierung für den besten ausländischen Film kam, applaudierte sie. Stattdessen gewann "Foxtrot" bei der Verleihung der Ophir-Filmpreise (dem israelischen Äquivalent zu den Oscars) dann den Preis für den besten Film und Auszeichnungen in weiteren sieben Kategorien. Maoz, übrigens, versteht die BDS-Bewegung nicht, die auch zum Boykott israelischer Filme aufruft: "Das ist doch das Schöne an Demokratie: Diese fürchterliche Regierung muss unsere Filme finanzieren."

Der Foxtrott ist ein Standardtanz mit sehr simpler Schrittfolge: vor, zurück, zur Seite, vor, zurück, zur Seite, und immer so weiter. Am Ende sind die Tanzenden wieder dort, wo sie begonnen haben. Es ist ein auswegloser Tanz, also eine ausweglose Situation, davon erzählt "Foxtrot". Es ist erst der zweite Spielfilm des 1962 in Tel Aviv geborenen Maoz. Sein erster, "Lebanon", hat 2009 in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen, für "Foxtrot" bekam er dort jetzt den Großen Preis der Jury.

Das Thema, die Armee, lässt Maoz nicht los. Er selbst hat im Libanonkrieg als Panzerschütze an der Front gekämpft. Den vier Soldaten in "Foxtrot" hat er die Schnelligkeit entzogen, die ein Kriegseinsatz sonst mit sich bringt. Manchmal wandert die Kamera nach oben, als schaute sie ungläubig auf das teils morbide, teils apokalyptische Spektakel in der kühlen Penthouse-Wohnung oder am Wüstenkontrollpunkt. Und manchmal wird der Film ganz leicht, verspielt. Etwa dann, wenn Maoz einen Soldaten im Wüstensand Foxtrott tanzen lässt, innig das Maschinengewehr umarmend.

Maoz zeichnet das Psychogramm einer verstörten Gesellschaft, in der die Traumata des Holocaust eng verwoben sind mit dem Überlebenskampf eines von Feinden umgebenen Volkes. Ideen für kommende Filme habe er auch bereits, verriet er kürzlich in einem Interview. Mit der Armee werde aber keiner dieser Filme zu tun haben. Zu diesem Thema, sagt er, "habe ich alles gesagt".

Foxtrot , Israel/D/F 2017 - Regie und Buch: Samuel Maoz. Kamera: Giora Bejach. Mit Lior Ashkenazi, Sarah Adler, Yonathan Shiray. Verleih: NFP, 113 Min.

© SZ vom 12.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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