Debatte um Özil:Als wären Deutschtürken Bürger auf Bewährung

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Wenn Deutschtürken Fehler machen, müssen sie ihre Zugehörigkeit beweisen und sich zu deutschen Werten bekennen, die niemand so ganz genau definieren kann. (Foto: dpa)

Der Fall Özil zeigt: Hierzulande wird mit zweierlei Maß gemessen, wenn es darum geht, sich zu "deutschen Werten" zu bekennen. Das verstört alle, die mehr als eine Heimat haben.

Kommentar von Dunja Ramadan

Im Streit um den deutschen Nationalspieler Mesut Özil erinnert einiges an eine Schulhofpraxis: Um zu einer Clique dazuzugehören, muss man ein Aufnahmeritual bestehen - dann erst ist man ein vollständiges Mitglied, dann hat man es verdient dazuzugehören. Doch was, wenn diese Aufnahmerituale nie enden? Wenn die Kids sich immer neue ausdenken? Dann verliert man irgendwann die Lust, wird erwachsen, verlässt die Schule - und sagt sich: Dann halt nicht.

So geht es mittlerweile vielen Deutschtürken hier. Klar, man kann das Foto von Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan kritisieren. Aber warum brandet in Deutschland keine ähnliche Empörung über das Foto von Ex-Nationalspieler Lothar Matthäus mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auf? Gerade hatte Matthäus noch gemutmaßt, dass Özil sich im DFB-Trikot gar nicht wohlfühle, schon sitzt er im Kreml und sagt, er sei ein "halber Russe". Dabei steht auch Russland nicht für Demokratie und Pressefreiheit.

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Der Vorwurf, den viele Deutschtürken nun erheben, lautet: Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Ein Matthäus, immerhin ehemaliger Kapitän und bis heute Rekordspieler der Nationalmannschaft, kann die Hand eines Autokraten schütteln - und der Aufschrei bleibt aus. Keiner fordert die Ausreise, keiner will wissen, ob er noch zu "deutschen Werten" stehe. Von Özil dagegen fordert der DFB nun eine Stellungnahme - auch ein Zeichen dafür, welchen Druck rassistische Stimmungsmache erzeugen kann.

Wenn Deutschtürken Fehler machen, wird das häufig auf ihr Türkischsein zurückgeführt. Folglich müssen sie ihre Zugehörigkeit beweisen und sich zu deutschen Werten bekennen, die niemand so ganz genau definieren kann. Das ist keine Opferrhetorik, wie manche Menschen unterstellen, die nicht von Rassismus betroffen sind. Das ist für viele Deutschtürken, und für Deutsche mit Wurzeln in anderen Ländern, gelebte Realität.

Mitten in dieser Debatte möchte man innehalten und rufen: Wer hat noch mal wen geholt? Deutschland schloss 1961 ein Anwerbeabkommen mit der Türkei. Die Türken nahmen niemandem etwas weg, im Gegenteil: Sie haben Lücken gefüllt - und Deutschland zu Wohlstand verholfen. Viele Menschen in diesem Land merken offenbar nicht, dass einfache Identitätszuschreibungen seitdem nicht mehr funktionieren. Dass Menschen Heimaten haben können. Dass es engstirnig ist zu fordern, sich für ein Land zu entscheiden. Das müssen sie eben nicht. Sie müssen als Bundesbürger zu Werten wie Meinungs- oder Religionsfreiheit stehen, ja. Aber ob sie sich "deutsch" oder "türkisch" oder beides fühlen, entscheiden sie selbst. Ihr Migrationshintergrund ist kein Defizit, das man begleicht, indem man sich auf eine Seite schlägt.

Statt das zu erkennen, wird die Integrationsdebatte seit Jahrzehnten seltsam gönnerhaft geführt: Ihr dürft hier sein, also seid so, wie wir das wollen. Wenn man sich dann über feiernde Erdoğan-Wähler in Deutschland wundert, sollte man sich auch fragen, was in Deutschland alles schiefgelaufen ist. Wenn im NSU-Prozess bekennende Nationalsozialisten die Haftentlassung von André Eminger mit Applaus feiern, ohne des Saales verwiesen zu werden, während ein türkischer Vater im Saal vor Schmerz aufschreit, sollte das nicht nur für Deutschtürken unerträglich sein.

© SZ vom 13.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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