Pop:Dieses trockene Tröpfeln

Lesezeit: 3 min

Das Talent, hymnische Popsongs zu schreiben, sie dann aber nicht aus dem Maschinenraum herauszulassen: Trent Reznor. (Foto: AFP)

"Bad Witch" von Nine Inch Nails ist eine echte Wegmarke im Gesamtwerk der Industrial-Rock-Band geworden. Doch eines verbittet sich Trent Reznor ausdrücklich: Das neue Album als EP zu bezeichnen - obwohl es eine ist.

Von Juliane Liebert

Vor Beginn des Konzerts der amerikanischen Industrial-Rock-Band Nine Inch Nails in Berlin wollen die Sicherheitskräfte einem Gast seinen Laptop abnehmen. Warum, will der wissen, na, der sei aus Metall und schwer, er könne ihn ja zum Beispiel werfen. Der Gast schaut angemessen verwundert. Warum sollte er seinen Laptop werfen wollen?

Als Trent Reznor einige Minuten später auf die Bühne knallt wie eine Ohrfeige, sofort überpräsent, mit der Energie, die andere Konzerte auf ihrem Höhepunkt haben, gleich am Anfang loslegend und sich von da nur steigernd - da versteht man dann sofort, warum die Security-Leute dachten, dass man seinen Laptop werfen wollen könnte, so aus Spaß, irgendwas Teures kaputt machen.

Einige Tage zuvor hatte der Nine-Inch-Nails-Sänger der SZ ein Telefoninterview geben, das aus exakt sieben Worten bestand: "Hi, it's Trent. I can't hear you", woraufhin die Leitung erstarb und nicht wieder hergestellt werden konnte, bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass er für Apple arbeitet - wer hätte gedacht, dass die kalifornischen Computermusikavantgardisten nicht mal eine Internet-Telefonverbindung hinkriegen? Dementsprechend: keine Fragen, keine Antworten. Andere Interviews soll er abgebrochen haben, wenn die Fragenden es wagten, seine neue EP "Bad Witch" (The Null Corporation Records) als EP zu bezeichnen, die sei nämlich keine EP, sondern ein Album, verdammt.

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Die Nullerjahre waren nicht gut zu Trent Reznor, wobei er ein Vermögen mit Soundtracks gemacht haben dürfte. Unter anderem hat er den Oscar für die Musik in David Finchers Facebook-Film "The Social Network" bekommen.

Was nun Nine Inch Nails angeht, ist seit 1999 nur wenig Unverzichtbares entstanden. Inzwischen arbeitet Reznor dauerhaft mit Atticus Ross zusammen, bleibt selbst aber die prägende Figur des Projekts. Er hatte einen Gastauftritt in der neuen "Twin Peaks"-Staffel, hat früher schon mit dem Regisseur David Lynch den "Lost Highway"-Soundtrack produziert. Mit David Bowie kollaboriert, was damals niemanden interessierte, weil Bowie in den Neunzigern niemanden interessierte. Marilyn Manson hat ihn in seinen besseren Jahren kopiert - nur mit mehr Make-up und billigerer Symbolik.

Eine echte Wegmarke im Nine-Inch-Nails-Gesamtwerk

Die neue EP ist jetzt wieder ein bisschen roher, phasenweise klingt sie mit all den punktgenau eingesetzten Effekten wie ein sehr professioneller Werbejingle für eine Musiksoftware-Firma. Oder wie Rohmaterial für einen Soundtrack, der zu einem einzigen Song verdichtet wurde. Aber das macht nichts, weil trotz allen Lärms Trent Reznors Gefühl für Melodien und fürs Popdrama ungebrochen ist; und natürlich dafür, wie man es am besten spiegelt, umkehrt und unterläuft, ohne es kaputtzumachen. Das verleiht seinen Veröffentlichungen ihren hohen Wiedererkennungswert. Meistens im besten Sinn, und bei dieser EP auf jeden Fall.

"Bad Witch" ist also wirklich mehr als bloß eine EP, es ist eine echte Wegmarke im Nine-Inch-Nails-Gesamtwerk. Besonders geglückt ist der letzte Track: Die Bassline, die erst zum Glockengeläut gerinnenden und dann in Brian-Eno-Flächen zerfließenden Synthies am Ende. Doch die Platte hat auch andere tolle Momente: Nicht nur die Sounds, die er im Beat von "Over and Out" einsetzt, dieses rhythmisch verschobene, trockene, xylophon-artige Tröpfeln. Sondern auch sein Faible für monotone, sich vom Schwebenden ins Sägende und wieder zurück verwandelnde Klänge. Überhaupt für Bastard-Sounds zwischen computergeneriert und E-Gitarre. Die Stille im Auftaktsong. Nicht immer ist alles wirklich zwingend. Manchmal hat man eher den Eindruck, dass ein hochbegabter Technikfreak ein bisschen zu begeistert mit seinem Studiobaukasten spielt. Hier noch ein Stereoeffekt. Da noch ein wenig Distortion ins Tinnitusfiepen. Gern dreht er auch alles so lang durch die Effektmühle, bis nur noch eine Art dorniges Blubbern übrig bleibt.

In Berlin spielt Reznor als Zugabe "Hurt", durch Johnny Cashs Adaption berühmt. Das Original ist immer noch besser als die inzwischen viel berühmtere Johnny-Cash-Version: Das Talent von Trent Reznor besteht ja darin, hymnische Popsongs zu schreiben, sie aber nicht aus dem Maschinenraum herauszulassen. Wie zur Begeisterung begabte, hochgesinnte Seelen, die in der Depression feststecken. Bei Johnny Cash wird "Hurt" eine Hymne. Er streicht die Dissonanzen, er singt "Crown of thorns" statt "Crown of shit". Er lässt den Song zur Lilie erblühen und ihn strahlen. Bei Reznor darf er kurz aufblitzen und versinkt dann im Lärm. Klar ist das auch pathetisch, aber die Fallhöhe stimmt. Und die Dialektik. Eine Idee, die viel zu zuckrig melodramatisch wäre, braucht die radikale Umlärmung, um schillernde, gute Popmusik zu werden.

Und während die vorderen Reihen zum wüsten Moshpit werden, Reznor "Come on Pigs, let's go!" brüllt, seine Stimme gewollt sanft artikuliert und das Publikum sich vergisst, essen ein paar Mitarbeiter hinter den Ständen behaglich zu Abend, unberührt von der Ekstase der anderen, aus Plastikgeschirr.

© SZ vom 13.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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