BGH-Urteil:Cloud statt Aktenordner

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Kein Passwort, kein Erbe: Nach dem Tod eines Menschen stehen viele Angehörige vor ungeahnten Problemen. Das könnte sich nun ändern.

Von Moritz Geier, München

Man stelle sich vor: Es ist Winter, es ist kalt, und man würde gerne die Heizung hochdrehen. Fehlt nur das dämliche Passwort. Denn das Haus hatte der verstorbene Besitzer mit einem Smart-Home-System ausgerüstet, die Heizung lässt sich nur über sein Handy regeln. Was sich Digitalkritiker nicht besser hätten ausdenken können, hat Stephanie Herzog tatsächlich so erlebt. Herzog ist Fachanwältin für Erbrecht und sie war sich lange sicher: "Die Sache mit dem digitalen Nachlass ist eine tickende Zeitbombe." Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Urteil im Fall der verstorbenen Facebook-Nutzerin diese Bombe nun teilweise entschärft.

Früher haben Verwalter eines Erbes wichtige Informationen zur Hinterlassenschaft in verstaubten Briefen und Dokumenten gefunden, Verträge, Rechnungen, ganze Leben fein säuberlich abgeheftet in Aktenordnern. Heute haben E-Mails Briefe ersetzt und Verträge werden online abgeschlossen. Statt Fotoalben finden Erben immer öfter nur Festplatten, Laptops, passwortgeschützte Konten und Clouds. Je digitaler die Gesellschaft, desto digitaler auch ihr Nachlass. Erben bereitet der Umgang mit den Daten dann oft ungeahnte Probleme. Vor allem wenn der Verstorbene nicht vorgesorgt hatte.

Stephanie Herzog weiß gar nicht, wo sie anfangen soll, wenn sie über diese Probleme spricht, all die Ärgernisse, die sie aus dem Alltag kennt. Wenn keine Benutzerkonten und Passwörter hinterlassen wurden, wisse man oft nicht mal, welche Konten der Verstorbene online hatte, welche Angelegenheiten er überhaupt rein digital geregelt habe, sagt sie. Immer mehr Bankbeziehungen zum Beispiel würden nur noch online geführt, ohne Zugangsdaten kommt man an die Konten aber nicht ran. Und dann sind da die E-Mails, die heute eine Schlüsselfunktion hätten. "Um einen Nachlass abzuwickeln, müssen Sie vor allem auf die Korrespondenz des Verstorbenen zugreifen, um herauszufinden, ob es Verträge gibt, die gekündigt, und Rechnungen, die beglichen werden müssen", sagt Herzog. All das finde sich heute meist nur noch in E-Mails. Und wer auf die nicht zugreifen kann, hat ein Problem. Herzog sagt: "Dann können Sie faktisch keinen Nachlass mehr abwickeln."

Experten raten, eine Liste zu führen, wo man im Internet überall angemeldet ist

Auch an Vermögenswerte kommen Erben oft immer schwerer - und damit sind nicht nur Kryptowährungen wie Bitcoins gemeint, die zunehmend an Bedeutung gewinnen. "Es gab Fälle, da wussten wir nicht mal, wie das Haus des Verstorbenen finanziert und wo es versichert war. Oder wo der Verstorbene seine Wertpapiere hoch risikoreich gehandelt hat."

Jeder sollte deshalb zu Lebzeiten vorsorgen, sagt Barbara Steinhöfel von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. "Wir raten dazu, sich zunächst einmal aufzuschreiben, wo man im Internet überall angemeldet ist, wo man Benutzer-Accounts hat, etwa bei sozialen Netzwerken, bei E-Mail-Diensten, diversen Onlinehändlern, Versteigerungsplattformen, Zahlungsdiensten." Auf ihrer Internetseite bietet die Verbraucherzentrale eine Vorlage für eine solche Liste an. Wichtig: Die Liste - ob in Papierform geführt oder elektronisch gespeichert - sollte man an einem sicheren Ort deponieren und ständig aktualisieren.

Gedanken müsse man sich auch darüber machen, was mit den Accounts nach dem Tod passieren soll, sagt Steinhöfel, löschen oder übertragen, solche Fragen. Als zweiten Schritt empfiehlt sie, eine Vertrauensperson, die sich dazu bereit erklärt, zum "digitalen Nachlassverwalter" zu bestimmen. Ihr müsse man eine Vollmacht ausstellen und mitteilen, wo sich die Liste mit den Passwörtern befindet.

Laut einer Umfrage des Internet-Branchenverbands Bitkom aus dem vergangenen Jahr haben sich acht von zehn deutschen Internetnutzern überhaupt noch nicht um ihren digitalen Nachlass gekümmert. Nur 18 Prozent hätten bereits Festlegungen getroffen, was mit ihren Konten nach dem Tod geschehen soll. "Den meisten ist einfach nicht klar, dass sie ein solches Erbe hinterlassen", sagt Steinhöfel. Bisher habe man sich mit dem Erbe erst befasst, wenn man Vermögenswerte zu verwalten habe. Im digitalen Zeitalter aber hat das Thema eine neue Dringlichkeit.

Und wenn der Verstorbene nun gar nicht vorgesorgt hat? "Dann wird es kompliziert", sagt Steinhöfel. Es beginnt eine aufwendige Recherche: Um herauszufinden, wo Benutzerkonten bestehen, könne man PC, Laptop oder die mobilen Endgeräte des Verstorbenen durchforsten, sofern man darauf Zugriff habe, rät die Verbraucherschützerin. Danach muss man sich mit jedem Anbieter einzeln in Verbindung setzen und diesem mitteilen, was mit dem Konto geschehen soll. Das sei vor allem aufwendig, denn nicht immer reiche es aus, eine Sterbeurkunde vorzulegen. In vielen Fällen verlangen die Anbieter auch einen Erbschein - für Steinhöfel eine immense "bürokratische Hürde": Die Beantragung könne dauern, die Kosten könnten hoch sein. Und um den Erbschein zu bekommen, müsse man das Gesamterbe annehmen - und damit auch mögliche Schulden.

Wegen des BGH-Urteils könne man sich nun aber zumindest darauf verlassen, dass man dann auch wirklich an die Konten kommt, sagt die Anwältin Stephanie Herzog. Die befürchtete Welle an Rechtsstreitigkeiten werde daher nicht hereinbrechen, Provider müssten Passwörter nun herausrücken. Das war bisher nicht der Fall. Vor allem Anfragen bei ausländischen Anbietern seien häufig nicht erfolgreich gewesen, sagt Verbraucherschützerin Steinhöfel. "Manche haben ganz brutal gesagt: Wir löschen einfach alles."

Der Fall mit der kalten Heizung hat sich für Anwältin Herzog übrigens auch noch lösen lassen: Ein Techniker habe es geschafft, die Wärme wieder manuell zu regeln.

© SZ vom 13.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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