Kinder in Ankerzentren:Die Regierung lässt Dutzende Fragen unbeantwortet

Flüchtlingskinder in einer Kaserne in Heidelberg

Flüchtlingsunterkunft in Heidelberg: Auch Familien mit minderjährigen Kindern sollen in den "Ankerzentren" untergebracht werden.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)
  • Mehrere Studien zeigen, dass die Unterbringung minderjähriger Flüchtlinge in Massenunterkünften für die kindliche Entwicklung in vielfacher Weise ungünstig ist.
  • Im Koalitionsvertrag steht deshalb, dass für sie in den Ankerzentren eine "jugendgerechte Unterbringung zu gewährleisten" sei.
  • Wie diese aussehen soll, darüber scheint sich in der Bundesregierung aber bislang keiner Gedanken gemacht zu haben.

Von Robert Roßmann, Berlin

Union und SPD haben vereinbart, sogenannte Ankerzentren zu schaffen. "Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, brauchen Asylverfahren, die schnell, umfassend und rechtssicher bearbeitet werden", heißt es im Koalitionsvertrag. Dies solle "künftig in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen" geschehen, in denen alle relevanten Behörden Hand in Hand arbeiten. Dort werde "Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung beziehungsweise Rückführung" - daher die Abkürzung Anker - stattfinden. Auch Familien mit minderjährigen Kindern sollen in den "Ankerzentren" untergebracht werden. Für sie gibt es allerdings einen Vorteil: Während für Erwachsene ohne Kinder der Aufenthalt "in der Regel 18 Monate nicht überschreiten" soll, gilt für Familien eine Frist von sechs Monaten.

Aber auch ein halbes Jahr in einer derartigen Einrichtung ist für Kinder eine große Belastung. Es gibt mehrere Studien, etwa von Unicef oder Save the Children, die zeigen, dass die Unterbringung minderjähriger Flüchtlinge in Massenunterkünften für die kindliche Entwicklung in vielfacher Weise ungünstig ist. Im Koalitionsvertrag steht deshalb, dass für sie in den Ankerzentren eine "jugendgerechte Unterbringung zu gewährleisten" sei. Wie diese aussehen soll, darüber scheint sich in der Bundesregierung auch vier Monate nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags aber keiner Gedanken gemacht zu haben.

Zuständig innerhalb der Regierung ist das Innenministerium von Seehofer

Die Grünen haben versucht, mittels einer Anfrage an die Bundesregierung Genaueres in Erfahrung zu bringen. Und die Antwort spricht für sich. Zuständig innerhalb der Regierung ist das Innenministerium von Horst Seehofer (CSU). Dessen parlamentarischer Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) hat auf die insgesamt 31 Fragen der Grünen jetzt reagiert. 26 der 31 Fragen ließ er allerdings - mit Verweis auf eine Zuständigkeit der Bundesländer oder eine bevorstehende Evaluation - unbeantwortet. Für die Grünen zeigt das, dass die Bundesregierung entweder keine Vorstellung hat, wie sie die Rechte geflüchteter Kinder gewährleisten kann, oder dass sie nicht willens ist, ihre Konzepte offenzulegen.

Aber auch die wenigen Antworten, die Seehofers Staatssekretär gibt, sind nach Ansicht der Grünen nicht hinnehmbar. So schreibt Stephan Mayer, dass die Bundesregierung "keine Anhaltspunkte habe, die die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt in den Ankerzentren zu einer psychischen Belastung führt".

Auch den Hinweis auf eine Zuständigkeit der Länder wollen die Grünen nicht als Grund für fehlende Antworten gelten lassen. Sie weisen darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der Bundesländer die von der großen Koalition beschlossene Einrichtung der "Ankerzentren" ablehnt. Außerdem schreibe Innenstaatssekretär Mayer in einer seiner wenigen Antworten selbst, dass die Bundesregierung an ihrer Position festhalte, "dass es einer bundesgesetzlichen Regelung zur Sicherstellung des Schutzes von Frauen und Kindern in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften bedarf".

Kein Konzept für eine kindergerechte Unterbringung

An dieser Stelle erkennt Seehofers Staatssekretär also eine Verantwortung des Bundes. Andererseits lässt er aber sogar die Frage offen, ob Kinder in den "Ankerzentren" Schulunterricht bekommen sollen, da "die Beschulung von Kindern und Jugendlichen" in die alleinige Zuständigkeit der Länder falle.

Beate Walter-Rosenheimer, die Sprecherin für Jugendpolitik der Grünen-Fraktion, sagt, die Antwort der Bundesregierung zeige, dass Seehofer auch beim Thema "Ankerzentren" ein "populistischer Ankündigungsminister" sei. Hinter den "großen Plänen" des Innenministers und CSU-Vorsitzenden stehe "offenbar kein klares Konzept - und schon gar kein Konzept für eine menschenwürdige und kindergerechte Unterbringung von häufig traumatisierten Kindern und ihren Familien". Es zeige "sich einmal mehr, dass es Seehofer nicht um eine erfolgreiche Integration geht, sondern dass er geflüchtete Menschen kasernieren und möglichst schnell abschieben will".

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