Biochemie:Besser als die Natur

Kastanienblätter im Sonnenlicht

Fotosynthese – so bezeichnen Biologen die komplexe Abfolge von biochemischen Reaktionen, mit deren Hilfe alle grünen Pflanzen das Licht der Sonne und das Kohlendioxid aus der Luft in teils hochkomplexe Stoffe verwandeln.

(Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Forscher arbeiten fieberhaft daran, die Fotosynthese zu imitieren - und sie sogar zu übertreffen.

Von Kathrin Zinkant

Was kann ein Wissenschaftler schon über die Welt in 100 Jahren sagen? Manchmal erstaunlich viel. Als der Chemiker Giacomo Luigi Ciamician an einem Septembertag des Jahres 1912 in New York vor seine Fachkollegen trat, berichtete er von einem Problem. "Die moderne Zivilisation ist eine Tochter der Kohle", sagte Ciamician. "Kohle bietet dem Menschen die Energie der Sonne in ihrer konzentriertesten Form." Dampfmaschinen hatten damals die Welt erobert, gefüttert wurden die hungrigen Biester mit Steinkohle, die über Jahrmillionen aus den Resten von Pflanzen entstanden war. Und Steinkohle gab es scheinbar unbegrenzt.

"Aber Kohle ist nicht unerschöpflich", warnte der aus Triest stammende Gelehrte, er konnte sogar auf Berechnungen verweisen. Also stellte er die entscheidende Frage: "Ist fossile Energie die einzige, die in modernen Kulturen genutzt werden kann?" Und Ciamician hatte sogar eine Antwort: Pflanzen. Sie gewinnen ihre gesamte Energie aus Wasser, Luft und Sonnenlicht, sie sollten das Vorbild für eine neue Form der Energiegewinnung sein. Mehr noch, der Mensch würde lernen, das Geheimnis der Pflanzen zu beherrschen und sie dazu zu bringen, "mehr Früchte zu tragen als in der Natur". Es war die Vision einer fernen Zukunft. Konnte sie jemals wahr werden?

Die künstliche Fotosynthese könnte Kohlendioxid-Emissionen in großem Umfang kompensieren

Ein gutes Jahrhundert später sieht es tatsächlich danach aus. Wissenschaftler schicken sich an, einen der wichtigsten Lebensprozesse auf der Erde endlich ganz eigenständig nutzen zu können: die Fotosynthese. So bezeichnen Biologen die komplexe Abfolge von biochemischen Reaktionen, mit deren Hilfe alle grünen Pflanzen das Licht der Sonne und das Kohlendioxid aus der Luft in teils hochkomplexe Stoffe verwandeln. Forscher wollen diesen Prozess mit technischen und biotechnischen Mitteln neu erfinden. Nicht nur mehr der Energie wegen, sondern mittlerweile auch wegen des Klimawandels.

Die künstliche Fotosynthese könnte Kohlendioxidemissionen in großem Umfang kompensieren, indem sie das Verbrennungsprodukt von organischen, also kohlenstoffhaltigen Verbindungen wieder einfängt. Weltweit arbeiten Chemiker, Biologen und Ingenieure deshalb daran, artifizielle Blätter und neuartige Fotoreaktoren zu entwickeln, um den Trick der Pflanzen nach eigenen Vorstellungen zu kopieren. Auch in Deutschland gibt es eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus zahlreichen Forscherteams, die erst kürzlich in Berlin zusammenkam, um den Stand der Forschung zu besprechen, der mittlerweile ziemlich umfangreich ist.

Auf drei verschiedenen Feldern wird versucht, das Fotosynthesekonzept nutzbar zu machen, von relativ einfach konstruierten Fotozellen zur Gewinnung von Wasserstoff über biotechnologisch umgebaute Mikroorganismen, die aus Sonnenlicht und Kohlendioxid organische Wertstoffe herstellen - bis hin zu komplexen technischen Systemen, die in kleinen Schritten Energie sammeln sowie übertragen und damit auch in der Lage sein sollen, nach Wunsch neue Substanzen auf Kohlenstoffbasis herzustellen.

Allem zugrunde liegt dabei nicht so sehr die Fotosynthese in all ihren Details, sondern eher in ihrem Prinzip. Dieses umfasst in der Pflanze erstens die Aufnahme von Lichtenergie durch einen konzentrierten Farbstoff, das Chlorophyll, das als eine Art Verschiebebahnhof für die aufgenommene Energie dient.

Obwohl in der Pflanze nur eine Anregung verschoben wird, keine elektrische Ladung in Form von Elektronen, kann man im übertragenden Sinne auch sagen, dass das Licht im Farbstoff Strom erzeugt. Dieser Strom wird auf Wassermoleküle übertragen, die dann zerfallen. Es entstehen Sauerstoffmoleküle, die ausgeatmet werden, und geladene Wasserstoffteilchen, die Protonen. Sie geben die verbliebene Lichtenergie über zahlreiche Schritte an den universellen Energiespeicher des irdischen Lebens weiter, das sogenannte Adenosintriphosphat, kurz ATP. Diese molekulare Batterie liefert die Energie für alle nachfolgenden Prozesse, nicht zuletzt dafür, Kohlendioxid zu binden.

Doch Pflanzen sind bei aller Ausgefeiltheit ihrer Biochemie nicht besonders effizient. Was daran liegen mag, dass ihr wichtigster Rohstoff, das Sonnenlicht, seit jeher unbegrenzt zur Verfügung steht. So erreicht in jeder Stunde mehr Sonnenenergie die Erde, als die Menschheit in einem Jahr verbrauchen könnte. Unterm Strich setzen die grünen Gewächse aber nur bis zu ein Prozent der solaren Strahlung um, die auf ihre Blätter und Triebe trifft.

Der technologische Umbau des Fotosyntheseprinzips soll dieses Problem auf unterschiedlichen Wegen lösen. Dazu gehören bessere Enzyme, als sie zum Beispiel im zentralen Schaltwerk der Fotosynthese zu finden sind. Dort fängt die sogenannte Rubisco Kohlenstoffdioxidmoleküle für den Aufbau von Zucker ein. Die Rubisco, in voller Länge Ribulose-1,5-bisphosphat-carboxylase/-oxygenase genannt, gehört damit sicher zu den interessantesten Biokatalysatoren in der Natur. Leider ist Rubisco aber auch eine der langsamen Sorten. Und Pflanzen mögen ja Zeit haben. Der Mensch aber hat es meistens eilig. "Es gibt in der Natur Kohlendioxid-fixierende Enzyme ganz anderer Qualität", sagt Tobias Erb.

Auch ein Reaktionstreiber aus der menschlichen Leber findet Platz in den neuen Konzepten

Der Biologe vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg hat mit seinem CETCH-Zyklus wohl einen der bisher ausgefallensten Beiträge zur künstlichen Fotosynthese geleistet. In einer Biodatenbank suchte er aus 40 000 Enzymen fast eineinhalb Dutzend heraus, die den Job der Kohlendioxid-Fixierung gemeinsam vermutlich besser erledigen können, als es eine Pflanze vermag. Die Biokatalysatoren stammen aus neun völlig verschiedenen Organismen, darunter das Darmbakterium E. coli, das Purpurbakterium Rhodobacter und die Wiesenpflanze Ackerschmalwand.

Aber auch ein Reaktionstreiber aus der menschlichen Leber hat seinen Platz in Erbs Reaktionszyklus, der in der Lage ist, aus Kohlendioxid tatsächlich verwertbare organische Substanzen aufzubauen. Zum Beispiel Glyoxalsäure, die als Ausgangssubstanz für die Produktion von Antibiotika, Vanillin und anderen Stoffen dient. "Der Zyklus kann aber so verändert werden, dass dabei zum Beispiel Rohstoffe für Biodiesel entstehen", sagt Erb. Was seinem künstlichen System derzeit noch fehlt, ist die Anbindung ans Licht. Solarzellen oder ein Transfer des Systems in Algen sollen diese Verknüpfung leisten.

Erbs Zyklus ist nur ein biologisches Beispiel, und es gibt inzwischen auch rein technische Ansätze, Kohlendioxid mithilfe von Licht aus der Luft zu fangen oder reinen Wasserstoff als Treibstoff zu gewinnen. Die Projekte sind bloß riskant - und Fehlschläge kann sich niemand leisten. Es wird daher auch eine Frage des politischen Rückhalts für solche Forschungen sein, ob Ciamicians Vision Realität werden kann.

Der Chemiker malte sich in New York übrigens eine Zukunft aus, in der die von Dürre gezeichnete Erde mit grünen Bioreaktoren überzogen sein würde. Ganz so weit muss es nicht kommen. Aber die künstliche Fotosynthese könnte einen Beitrag zu dem leisten, was Ciamician am Ende sagte: "Wenn unserer dunklen, hektischen Gesellschaft, die auf Kohle gegründet ist, in ferner Zukunft eine leisere Kultur folgt, die auf die Energie der Sonne gebaut ist - dann wird das für den Fortschritt und das Glück der Menschheit kein Schaden sein."

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