Wanderrouten-Tipp:Am Rande des Himmels

Arnold Zimprich Wanderungen Kotzen und Hochleger

Von den Ruinen der Alm am Kotzen Hochleger schweift der Blick links zum Schafreuter.

(Foto: Arnold Zimprich)

Es ist eine der höchstgelegenen Almen im Landkreis: der aufgelassene Kotzen Hochleger. Für konditionsstarke Wanderer bietet sich mit diesem Ziel die Möglichkeit zu einer kulturhistorisch wie bergsteigerisch interessanten Rundwanderung.

Von Arnold Zimprich

Die Tour beginnt für die meisten Wanderer am Parkplatz im Süden von Neu-Fall, wie das in den 1950er Jahren durch den Bau des Sylvenstein-Staudamms umgezogene Dorf heißt. Zunächst führt die Teerstraße Richtung Bächental und Forsthaus Aquila durch hohen Nadelwald. Ein großer Sendemast stört das Bergidyll, nach einer Viertelstunde ist die Brücke über die tiefe Klamm der Dürrach erreicht, die das Tal nach Norden entwässert.

Das Bächental ist ein waldreiches und weitverzweigtes Tal, das sich zum Großteil auf Tiroler Grund befindet. Im Sommer werden die Almen im Süden des Bächentals von österreichischen Bauern bewirtschaftet. Auf der für den öffentlichen Verkehr gesperrten Straße, die bis zur Landesgrenze geteert ist, begegnen Wanderern deshalb oft Jeeps mit Schwazer und Innsbruck Land-Kennzeichen - die Hauptzufahrt zum Tal führt über deutsches Staatsgebiet.

Die Straße durchs Bächental verläuft auf einem ehemailgen Bahndamm

Das Tal hat noch ein weiteres Kuriosum zu bieten - denn die Fahrstraße verläuft zum Teil auf einem ehemaligen Bahndamm. "Bereits seit 1893 gab es eine Waldbahn von Alt-Fall (versunken 1959 im Sylvenstein-Stausee) bis ins Dürrachtal", heißt es auf der Website der Tiroler Museumsbahnen www.tmb.at, und diese sei "wahrscheinlich bestenfalls nur mit Pferdebahnbetrieb" gelaufen. Bis Ende der 1950er Jahre transportierte die gut 10 Kilometer lange Bahn Holz - bis zum Bau des Sylvensteinspeichers. Das in den Wäldern geschlagene Holz wurde "stets zu den nächstliegenden Wasserläufen abtransportiert und von dort aus den hinteren Gräben des Eiskönig-, des Baumgarten-, des Plums- und des Tannauerbaches in einen kleinen Stausee getriftet". Schließlich wurde es auf die Waldbahn verladen. Waldbahn-Trucks der Bahn beförderten dann das Holz zum Lagerplatz an der Triftlände von Fall, wo die Stämme weiter die Isar hinab geflößt wurden. Waren zu Beginn mutmaßlich nur Pferde im Einsatz, kamen später Deutz-Benzinlokomotiven sowie eine Austro-Daimler-Lokomotive zum Einsatz, wie auf tmb.at zu lesen ist.

Nach weiteren zwanzig Minuten - kurz nach einem markanten Aussichtspunkt an einem Kreuz - verlassen Wanderer die Teerstraße. Ein leicht abschüssiger, gekiester Fahrweg überquert schließlich auf hohem Steg die Dürrach. Auf der anderen Klammseite führt zunächst ein erstaunlich komfortabler Reitweg den Hang hinauf - die optimale Vorbereitung auf den schmalen Steig, auf dem die restlichen gut 1000 Höhenmeter bis zum Gipfel des Kotzen überwunden werden.

Ein markantes Holzschild verweist schließlich auf den Pfad, der zur Kotzen- Niederalm führt, deren Überreste auf einem freien Wiesenplateau vor sich hin rotten. Eine große Milchkanne, Überreste von Öfen und Fässern und weitere Utensilien lassen auf einst reges Almleben schließen. Heute hingegen liegt alles verwaist und verfallen da, müde klammern sich rostende Metallbeschläge an morsches Holz. Lange wird es nicht dauern, und die Natur hat sich die letzten Reste menschlicher Betätigung zurückgeholt.

Wer früh aufgebrochen ist, kann sich glücklich schätzen - denn bereits am Vormittag brennt die Sonne im Früh- und Hochsommer erbarmungslos auf die Latschenhänge im Gipfelbereich des Kotzen. Wanderer sollten sich nicht dazu verleiten lassen, vom nur spärlich markierten Weg einem Wildwechsel zu folgen - denn diese enden nicht selten in undurchdringlichem, zeckendurchsetztem Dickicht.

Ein Almbauer wollte die Flächen wieder nutzen, die Behörden waren dagegen

Der Pfad macht eine ausladende Kurve nach Süden - und schließlich steht man oben am im November 2017 von Unbekannten umgelegten Kreuz, dessen Anblick sich seltsam in die melancholische Stimmung rund um die verfallene Niederalm einzufügen scheint.

Arnold Zimprich Wanderungen Kotzen und Hochleger

Der Blick auf den Sylvenstein.

(Foto: Arnold Zimprich)

Trotzdem sollten Wanderer sich hier ein schönes Plätzchen suchen und verweilen - denn der Blick schweift über die höchsten Felsgipfel des Karwendel und Wetterstein, Kenner erspähen Birkkarspitze und Zugspitze. Im Norden spannen sich im weiten Bogen die bayerischen Voralpen zwischen Mangfall- und Estergebirge. Hier baumelt die Seele: Einen entrückteren Platz kann man sich im Landkreis nur schwer vorstellen. Das benzinschwangere Getöse auf der Deutschen Alpenstraße und der sommerliche Baderummel am Sylvensteinsee scheinen am 1766 Meter hohen Gipfel des Kotzen weit entfernt.

Wie muss das Leben für Senner und Hütebuben hier oben gewesen sein? Vom Gipfel des Kotzen sind es nur wenige Minuten Abstieg zum Kotzen Hochleger, einer Almruine, deren Überreste seit mehr als einem halben Jahrhundert verlassen daliegen. Die weißgrauen Kalkbrocken, aus denen die Mauern gebaut wurden, scheinen jedoch noch nicht gänzlich verfallen zu wollen - so als warteten sie nur auf jemanden, der sich ihrer annimmt. Ein Gaißacher Almbauer wollte im Jahr 2016 den Almflächen am Kotzen neues Leben einhauchen, auch eine kleine Hütte war geplant. Die Naturschutzbehörden schoben dem Vorhaben jedoch vorerst einen Riegel vor. Und so werden die saftigen Almwiesen rund um die Hochleger-Ruine nur zeitweise mit Jungvieh der tiefer liegenden Almen bestoßen.

Ähnlich gedankenversunken werden Wanderer wohl dieses alpine Idyll zurück lassen. Als Abstieg vom Kotzen eignet sich insbesondere die Route über die noch bewirtschaftete Ludernalm, den Lerchkogel-Niederleger und die Stierschlaghütte, von wo man über einen Fahrweg wieder zurück auf die Bächental-Teerstraße gelangt und so eine abwechslungsreiche Runde abschließt.

Kotzen Hochleger

Die Rundtour von Fall über Kotzen, Ludernalm sowie Lärchkogel-Niederleger ist rund 21,5 Kilometer lang und hat - mit Gegenanstiegen - mehr als 1100 Höhenmeter, die es zu bewältigen gilt. Wanderer sollte dafür zwischen sechs und acht Stunden einplanen. Sie ist daher nur konditionsstarken Bergsteigern zu empfehlen. Einkehrmöglichkeiten unterwegs gibt es keine. Eine alternative Route führt vom Kotzen über das Stierjoch zum Delpsee und von dort aus weiter durch das Krottenbachtal zurück nach Fall (22 Kilometer, 1350 Höhenmeter, etwas mühsamer, aber mit noch ursprünglicherer Natur). Der Ausgangspunkt Fall wird von Lenggries aus mit der Linie 9569 ("Bergsteigerbus") angefahren.

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