Christine Nöstlinger:Eine große Autorin für die Kleinen

Christine Nöstlinger

Die politischen Entwicklungen in ihrer Heimat, in Europa betrachtete Christine Nöstlinger mit Sorge.

(Foto: dpa)

Ihre Bücher brachten eine Luftveränderung in die deutsche Kinderbuchliteratur. Nun ist Christine Nöstlinger im Alter von 81 Jahren gestorben.

Nachruf von Lothar Müller

Es war keine gute Zeit, in die sie 1936 in Wien hineingeboren wurde. Vom Krieg, der begonnen hatte, als sie drei Jahre alt war, hat Christine Nöstlinger in ihrem Buch "Maikäfer, flieg" (1973) erzählt, aus der Perspektive eines Mädchens, das mit seiner Familie das Ende des Krieges und die Nachkriegszeit erlebt. Der Maikäfer kam aus einem alten Lied, in dem immer schon der Vater im Krieg und die Mutter in einem abgebrannten Land war.

Aber der Ton des Buches war neu, er war Teil der Luftveränderung, die mit Christine Nöstlinger in die deutschsprachige Kinderliteratur kam, nicht nur mit ihr, aber doch von ihr sehr stark vorangetrieben. Damit hatte sie schon in ihrem Erstling begonnen, "Die feuerrote Friederike", dessen Illustrationen sie selbst gezeichnet hatte, sie hatte nämlich Gebrauchsgrafik an der Akademie für Angewandte Kunst studiert.

Friederike mit den feuerroten Haaren hatte es nicht leicht, und zu den guten kleinen Ideen ihrer Autorin gehörte, dass es in dem Buch nicht nur Kinder gab, die es sehr lustig fanden, "Feuer!" zu rufen, und "Auf der ihrem Kopf brennt's!". Es gab auch den Briefträger, der wegen ihrer Haare überhaupt kein Aufhebens machte. Denn er war farbenblind. Und dann gab es, zum Beispiel, noch eine Katze, die sprechen konnte, wenn das unbedingt notwendig war.

Zwei Elemente waren schon da beisammen, die Christine Nöstlinger in ihren Büchern gern zusammengemischt hat: Die Abenteuer finden im Nahbereich statt, und die fantastischen Figuren wie der Titelheld in "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig" (1972) führen aus dem Alltag nicht hinaus, sondern in Dimensionen des Alltags hinein, die ohne sie nicht sichtbar würden.

Der Gurkenkönig ist von seinen Untertanen aus dem Keller vertrieben worden, er ist ein Flüchtling, der Asyl sucht. Aber übermäßig sympathisch ist er nicht. Man kann ihm nicht trauen, und er bringt Unruhe in die Familie oder zieht sie aus ihr hervor, wie man es nimmt. Das alles in dem luftveränderten, frischen Ton, mit dem Christine Nöstlinger dazu beitrug, der Betulichkeit den Garaus zu machen.

Zeitlebens hat sie sich der politischen Linken zugerechnet, und sie hat mit schlafwandlerischer Sicherheit Sujets ersonnen und neuralgische Punkte getroffen, die ihre Mischung von lakonischem Realismus und beiläufiger Fantastik mitten im modernen Alltag ansiedelten. Das gilt zum Beispiel für "Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse" ( 1975). Die Kinderbücher des 19. Jahrhunderts hatten mit Lust das böse Kind ausgemalt, um vor ihm zu warnen, hier kam per Post ein Retortenkind ins Haus, das die von seinen Erfindern ihm mitgegebene Vollkommenheit und Ordentlichkeit verlieren muss, um in der Welt anzukommen. Kein Wunder, dass Christine Nöstlinger auch Drehbücher schrieb und viele ihrer Bücher verfilmt wurden. Man wollte sie sehen, ihre Figuren.

Die politischen Entwicklungen in ihrer Heimat, in Europa betrachtete sie mit Sorge. "Ich fürchte, es wird nicht mehr gut werden mit dieser Welt, solange ich lebe," sagte sie 2016 dieser Zeitung. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist sie am 28. Juni im Alter von 81 Jahren in Wien gestorben.

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