Kulturpolitik:Geschlossene Gesellschaft

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Friedensforscher und Nahostexperte: Sa'ed Atshan. (Foto: Soros Foundation)

Das Jüdische Museum Berlin lädt den palästinensischen Friedensforscher und Nahost-Experten Sa'ed Atshan aus - auf politischen Druck Israels.

Von Thorsten Schmitz

Die Veranstaltung des Jüdischen Museums Berlin wurde per E-Mail verbreitet, auf Facebook und Twitter, und sie steht bis heute in einer Veranstaltungsbroschüre. Vor einigen Tagen sollte der in Ramallah geborene und in den USA lebende Friedensforscher und Professor für Nahoststudien, Sa'ed Atshan, im Jüdischen Museum einen Vortrag halten zum Thema: "On Being Queer and Palestinian in East-Jerusalem", wie es sich also lebt in Ostjerusalem als schwuler Palästinenser. Das Jüdische Museum konzipiert gerade eine Dauerausstellung, die 2019 eröffnet werden soll. Bis dahin läuft die Ausstellung "Welcome to Jerusalem". Da passte der Vortrag von Sa'ed Atshan gut ins Programm.

Doch dann blies das Jüdische Museum die Veranstaltung per E-Mail ab: "Wegen technischer Probleme im Rahmen der Umbaumaßnahmen für die neue Dauerausstellung im Jüdischen Museum in Berlin wird der Vortrag von Sa'ed Atshan in den Räumen des ICI Institute for Cultural Inquiry stattfinden." Die E-Mail enthält die Unwahrheit.

Das hebräische Online-Magazin Spitz berichtete zuerst über die Verlegung der Veranstaltung. Kurz vor Beginn der Veranstaltung am Alternativstandort in Prenzlauer Berg wies Spitz darauf hin, dass das Jüdische Museum sämtliche Hinweise auf die Veranstaltung auf seinen Internet- und Facebook-Seiten gelöscht hatte. Was das Museum allerdings nicht hat löschen können: den Veranstaltungshinweis in der gedruckten Broschüre.

Recherchen der Süddeutschen Zeitung haben nun ergeben: Der Botschafter Israels, Jeremy Issacharoff, hatte dem Direktor des Jüdischen Museums schriftlich mitgeteilt, dass er einen Auftritt Atshans im von öffentlichen Steuergeldern geförderten Museum für untragbar halte. Der SZ bestätigte der Botschafter, dass er wegen Atshan das Museum kontaktiert hat. Er begrüße die Entscheidung des Museums, Atshans Veranstaltung abgesagt zu haben. Dieser sei, so Issacharoff, "sehr eng verquickt mit der BDS-Bewegung". Er kenne Atshan zwar nicht persönlich, "aber er ist kein Mensch, der Brücken der Verständigung mit Israel bauen möchte". Atshan habe Israel in der Vergangenheit als Apartheid-Staat bezeichnet und behauptet, Israel habe eine palästinensische Gesellschaft kreiert, in der "Ehrenmorde" an der Tagesordnung seien und Homosexuelle getötet würden.

Tatsächlich hat Sa'ed Atshan, ein offen schwul lebender christlicher Palästinenser, immer mal wieder Israels Besatzungspolitik kritisiert. Aber ein führendes, aktives Mitglied der umstrittenen BDS-Bewegung war er nie. Hätte die Botschaft sich ein bisschen mehr Mühe gegeben, hätte sie in zahlreichen Vorträgen Atshans, die frei zugänglich im Internet zu finden sind, einen sehr ausgewogen argumentierenden palästinensischen Quäker kennenlernen können, der nicht zu Gewalt aufruft gegen Israel, sondern die Notwendigkeit gewaltlosen Protestes betont. Atshan spricht sich auch explizit für die Bekämpfung des Antisemitismus aus, fordert absolute Gewaltfreiheit und plädiert für Dialog.

Hat das Jüdische Museum Berlin voreilig reagiert? Eine mit Atshans Veranstaltung betraute Person, die nicht mit Namen zitiert werden möchte, sagte der SZ: "Es ist doch unglaublich, dass das Jüdische Museum Berlin als verlängerter Arm der israelischen Botschaft handelt." Atshan habe in seinem Vortrag am ICI-Institut weder BDS erwähnt, noch zur Gewalt gegenüber Israel aufgerufen, noch Israel das Existenzrecht abgesprochen. Er habe lediglich über schwules Leben in einer patriarchalisch geprägten palästinensischen Gesellschaft geredet, die unter Besatzung lebe. Ein Audiomitschnitt der Veranstaltung bestätigt diese Aussagen. Zudem spreche doch allein die Tatsache, dass Atshan in einem Jüdischen Museum sprechen wollte, für seine Dialogbereitschaft. Überzeugte BDS-Aktivisten lehnen den Dialog ab und boykottieren alles, was auch nur im Entferntesten mit Israel und dem Judentum in Verbindung gebracht werden kann.

Gerne hätte man den Direktor des Museums, Peter Schäfer, gesprochen, wie es zu seiner Entscheidung kam, Atshan auszuladen und sämtliche Veranstaltungshinweise zu löschen. Doch Schäfer weigerte sich, eine Stellungnahme abzugeben. Sein Entschluss ist innerhalb des Museums umstritten. Mehrere von der SZ befragte Mitarbeiter äußerten ihr Unverständnis über die Ausladung. Atshan sei ein am Dialog interessierter Forscher. Ihn auszuladen auf Druck der israelischen Botschaft untergrabe die Souveränität des Museums und mache es angreifbar.

Die Ausladung illustriert, wie sehr die BDS-Bewegung die Atmosphäre zwischen Palästinensern und Israel vergiftet hat - und wie hysterisch darauf reagiert wird, steht jemand auch nur im Verdacht, ihr nahezustehen. 2005 wurde BDS von mehr als hundert zivilgesellschaftlichen palästinensischen Gruppen gegründet, um sich für die Rechte der Palästinenser einzusetzen. Klingt gut, doch viele BDS-Anhänger hetzen gegen den israelischen Staat. Sie rufen nicht zum Frieden im Nahen Osten auf, sondern verweigern den Dialog und setzen auf Boykott als Bestrafung. Viele BDS-Mitglieder dämonisieren Israel und verniedlichen die Terrorgruppen von Hamas und Hisbollah. Die Grenze zwischen Israelkritik, Antisemitismus und Antiisraelismus verschwimmen bei vielen jüdischen wie palästinensischen BDS-Anhängern. BDS-Initiator Omar Barghouti formulierte mehrfach das Ziel, einen palästinensischen Staat auf dem Gebiet des heutigen Israel zu errichten. Das würde das Ende des jüdischen Staates bedeuten.

Methoden aus der Nazizeit

Zu einem Gespräch ist Sa'ed Atshan trotz mehrerer E-Mails nicht bereit. Er möchte nicht mit BDS assoziiert werden, auch weil er in den USA bereits mehrfach an Auftritten vor Studenten gehindert wurde, nachdem zuvor lanciert worden sei, er habe eine "anti-israelische" Haltung. Aber auch deshalb, weil er von israelischen Behörden vor drei Jahren daran gehindert wurde, zu seinen Eltern zum Weihnachtsfest nach Ramallah einzureisen. Nach mehreren Stunden Haft musste er wieder zurückfliegen in die USA. Israel verwehrt nicht-jüdischen BDS-Mitgliedern grundsätzlich die Einreise nach Israel und ins Westjordanland.

Deutsche Politiker haben BDS mit deutlichen Worten verurteilt. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hält die Bewegung für "widerlich", Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller spricht von Methoden aus der Nazizeit und kündigte an, künftig alles Mögliche zu tun, dem BDS "Räume und Gelder für seine antiisraelische Hetze zu entziehen". Auch deutsche Städte wie München und Frankfurt haben beschlossen, BDS-Aktivisten keine öffentlichen Räume mehr zur Verfügung zu stellen.

Anruf bei Katharina Galor. Die deutsch-israelische Archäologin, Professorin für Jüdische Studien an der Brown-Universität in Providence, hat die Veranstaltung am vorvergangenen Mittwoch im ICI-Zentrum moderiert. Sie kennt Atshan seit vier Jahren. Die beiden arbeiten zurzeit an einem Buch über den Alltag jüdischer Israelis und Palästinenser in Berlin. "Atshan ist einer der erfahrensten jüngeren Wissenschaftler in den USA", sagt sie. "Fünf renommierte Universitäten haben sich um ihn bemüht und wollten ihn bei sich haben." Darunter auch Havard. Atshan hat sich schließlich für das Swarthmore College entschieden.

Für die Vorbereitung der Jerusalem-Ausstellung, an der Galor mitbeteiligt gewesen ist, hatte sie auch Atshan um wissenschaftlichen Rat gebeten. So entstand die Idee, über Ostjerusalem einen Vortrag zu halten. Galor sagt, sie schätze das Jüdische Museum Berlin sehr als eine unabhängige, weltoffene Institution. Die Entscheidung, Atshan auszuladen, möchte sie nicht kommentieren. "Ich bin Wissenschaftlerin, keine Politikerin."

Anstatt eines Kommentars verweist Galor aber darauf, dass Professor Atshan während seines Berlin-Aufenthalts auch Vorträge an anderen öffentlichen Einrichtungen gehalten hat, ohne dass er wieder ausgeladen wurde - an der Humboldt Universität etwa und an der Freien Universität Dahlem.

© SZ vom 16.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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