Public Art Munich:Schräge Absichten

Frauenkirche in München, 2017

Staatliche Allmachtsfantasien: Im Nordturm (vorne) der Münchner Frauenkirche unterhielt der Bundesnachrichtendienst über Jahrzehnte eine Abhöranlage.

(Foto: Johannes Simon)

Franz Wanners Kunstprojekt "Die Befragung" ließ die Abhörstation im Münchner Dom auffliegen

Von Evelyn Vogel

Drei Monate ist es her, da ließ die Nachricht, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) im Nordturm der Münchner Frauenkirche seit Jahrzehnten eine Funkanlage unterhält, bundesweit die Alarmglocken schrillen. Die Katholiken waren entsetzt, dass im Turm ihres Liebfrauendoms nicht nur Glocken und Uhrwerk Klang und Takt angaben. Das Bürgertum war aufgeschreckt, vermutete es doch einen Lauschangriff auf die Stadtgesellschaft - und das auch noch von einem der Wahrzeichen des bayerischen Katholizismus aus. Was für eine Empörung allenthalben! Das Erzbistum München und Freising wusch seine Hände in Unschuld, indem es angab, nichts davon gewusst zu haben. Der BND versuchte erst zu beschwichtigen mit dem Hinweis, dass die Anlage, mit deren Hilfe einst ausländische Diplomaten und Spione überwacht wurden, seit Jahren nicht mehr genutzt werde. Dann zu beruhigen mit dem Versprechen, die Sende- und Empfangsanlage schnell abzubauen. Angeblich teilen sich nun Uhrwerk und Geläut den Nordturm wieder alleine.

Was bei dem ganzen aufgeregten öffentlichen Gebimmel so ziemlich unterging war, dass die Entdeckung dieser Abhöranlage auf das Projekt "Die Befragung" des Künstlers Franz Wanner zurückging, der im Rahmen des Kunstprogramms Public Art Munich (PAM) das sogenannte "Befragungswesen" des BND unter die Lupe nahm. Wanner hatte den Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim, Erich Schmidt-Eenboom, um Unterstützung bei der Recherche gebeten. Und der Publizist, der sich seit vielen Jahren durch die Unterlagen von Geheimdiensten wühlt, war dem BND auf die Schliche gekommen.

Die Entdeckung der Horchstation im Liebfrauendom ist für den BND vermutlich nur ein irrelevanter Kollateralschaden. Und für Wanner nur einer der Orte, die er in seinen Arbeiten untersuchte. Weitere Münchner Außenposten des BND spielen dabei ebenso eine Rolle wie Vernehmungspraktiken des Geheimdienstes. Im Projekt "Befragungen", das an diesem Wochenende bei "X Shared Spaces" (einer Reihe von Public Art Munich in Kooperation mit den Kammerspielen) vorgestellt wird, nimmt der Münchner Künstler die Informationsgewinnung des BND bei Asylsuchenden unter die Lupe. Nach Wanners Recherche galt dort lange Zeit das Prinzip: Wer Informationen liefert und kooperiert, dem wird eine Aufenthaltsgenehmigung in Aussicht gestellt. Diese Praxis der geheimdienstlichen "Abschöpfung" von Geflüchteten wurde 2015 unter öffentlichem Druck für beendet erklärt und die zuständige "Hauptstelle für Befragungswesen" geschlossen. Doch Wanner ist sich sicher: Die Vernehmungen werden an anderen Orten fortgesetzt.

Wenn Wanner "verdeckte Strukturen in scheinbar transparenten Faktenlagen" offenlegt, dann tut er dies nicht rein dokumentarisch. Seine Inszenierung sollen keine tatsächliche Befragung nachstellen, sondern eine Übung im Rahmen der Beamtenausbildung simulieren. Er beschreibt das so: "Die Teilnehmenden werden in eine Schulungssituation involviert und begeben sich in eine Erzählzone aus geheimdienstlichen Codes und gegenwärtigen Vorstellungen von Staatsbürgerschaft, Staatswohl, Staatsgeheimnis und Privatsphäre." Wer sich dabei wie verhält, das lässt sich wohl am besten feststellen, indem man es ausprobiert. Denn dass Menschen in simulierten Wirklichkeiten oft grausam bis zur vollkommenen Verrohung agieren, war nicht nur schon oft genug der ganz besondere Thrill in Büchern und Filmen, sondern auch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.

Neben Franz Wanners "Befragung" gehören zwei weitere Projekte zu den "X Shared Spaces" von diesem Wochenende. Da ist das Projekt der in New York lebenden Künstlerin, Autorin und Filmemacherin Mariam Ghani. Sie setzt sich mit der 2015 von den Münchnern gelebten und geliebten "Willkommenskultur" gegenüber den ankommenden Flüchtlingen am Hauptbahnhof auseinander. Zusammen mit der im Zuge der Gentrifizierungsdebatte und den Häusern in der Müllerstraße gegründeten Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco geht sie für PAM der Frage nach: "Wie leben wir zusammen?" Und schließlich ist da noch das Projekt "Eine Fahrt einfädeln" von Leon Eixenberger. Er geht der Frage nach, was die Veränderung vom selbstfahrenden Menschen zum autonomen Fahren mit uns macht.

Public Art Munich und Kammerspiele München, X Shared Spaces: Route III, Ludwigsvorstadt (Club 29, Dachauer Str. 29): Leon Eixenberger: Eine Fahrt einfädeln; Mariam Ghani in Kollaboration mit You have to be as cool as Alain Delon und den Workshops von Kissi Baumann & Achim Waseem Seger, Bellevue di Monaco; Franz Wanner: Die Befragung; Fr-So, 20.-22. Juli, jeweils 16 Uhr bis 20.30 Uhr. Künstlergespräche: Fr, 20. Juli, 19 Uhr: Franz Wanner & Maria Muhle, Sa, 21. Juli, 19 Uhr: Leon Eixenberger & Thomas Girst; alle im "404 - Page Not Found", Corneliusstr. 2; weitere Routen von X Shared Spaces unter www.muenchner-kammerspiele.de; alles zu Public Art Munich unter www.pam2018.de

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: