Der Fall der Sängerin:Star, Sex und Stigma

Die Unschuldsvermutung wird immer öfter verletzt: Im Fall einer No-Angels-Sängerin hat die Staatsanwaltschaft aus der Verhaftung ein Tribunal gemacht.

Heribert Prantl

Bei der Verhaftung einer prominenten Pop-Sängerin haben Staatsanwaltschaft und Haftrichter zu einem seltenen, ja zum seltensten Haftgrund gegriffen, zu einem, den es eigentlich gar nicht geben dürfte: Wiederholungsgefahr.

no angels ddp

Die Pop-Gruppe No Angels

(Foto: Foto: ddp)

Dieser Haftgrund ist streng genommen ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung. Die Untersuchungshaft stützt sich auf die Prognose, dass die Beschuldigte die Tat, die ihr vorgeworfen wird, die ihr aber nicht nachgewiesen ist, noch mehrmals begeht.

Die Haft dient also der Vorbeugung, die Justiz arbeitet mit einer Unterstellung. Die anderen Haftgründe - Flucht- und Verdunkelungsgefahr - sind weniger spekulativ, waren aber bei der Sängerin nicht einschlägig.

Die Sängerin ist verhaftet worden, weil sie HIV-positiv sein und Männer beim Geschlechtsverkehr in Kenntnis ihrer Erkrankung angesteckt haben soll.

Die Staatsanwaltschaft hat über diesen Vorwurf öffentlich ausgiebig berichtet, sie hat ihn inszeniert, sie hat aus der Szene der Verhaftung der Sängerin ein Tribunal gemacht: Die Verhaftung geschah in aller Öffentlichkeit, in einer Diskothek, kurz vor dem Auftritt der Sängerin; in plötzlicher Hektik, die dem bisherigen gemächlichen Ablauf des Verfahrens nicht gerecht wurde.

Wenn die Staatsanwaltschaft die "Wiederholungsgefahr" wirklich ernst meint, hätte sie mit der Verhaftung nicht so lange warten dürfen. Dann hätte sie sich mit dem Zuwarten - die Ermittlungen dauern ja schon fast ein Jahr- der gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen schuldig gemacht.

Das, was die Unschuldsvermutung verhindern soll

Soviel zur Ernsthaftigkeit dieses Haftgrundes. Der Haftgrund Wiederholungsgefahr ist in Wahrheit Teil der spektakulären Gesamtinszenierung: Es soll mit diesem Haftgrund die Gefährlichkeit von Aids der Öffentlichkeit eindringlich vor Augen geführt werden.

Die Staatsanwaltschaft hat den Namen der beschuldigten Sängerin für generalpräventive Zwecke genutzt, für Zwecke also, die mit dem konkreten Ermittlungsverfahren gegen die Sängerin nichts zu tun haben - auf deren Kosten.

Es geschieht exakt das, was die Unschuldsvermutung verhindern soll: Der Verdacht gegen die Sängerin verselbständigt sich, weil die Justizorgane so agieren, als sei die Schuld der Beschuldigten schon erwiesen. Schon die Verhaftung und deren Umstände haben strafähnliche, stigmatisierende Wirkung.

Nicht lachhaft, sondern ernsthaft

Die Unschuldsvermutung wird ad absurdum geführt: Sie schützt den Beschuldigten, so sagt es das Bundesverfassungsgericht, "vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches, prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung oder Strafbemessung vorausgegangen ist".

Für einen an sich guten Zweck, die Bekämpfung von Aids, wurde die Sängerin plakativ vorverurteilt. Sie wurde Mittel zum Zweck - so wie seinerzeit die spektakulär inszenierte Verhaftung des Postchefs Zumwinkel ein Mittel zum Zweck war. Die Botschaft lautete: So kann es euch allen ergehen, wenn ihr Steuern hinterzieht!

Im Fall der Sängerin ist der lockere Umgang der Ankläger mit der Unschuldsvermutung noch anrüchiger: Der Vorwurf, den man ihr macht, betrifft die intimste Intimsphäre. Die Süddeutsche Zeitung hat über die Verhaftung und den Tatvorwurf deshalb sehr zurückhaltend berichtet; sie wird den Namen der Sängerin auch weiterhin nicht nennen - obwohl dieser nun landauf, landab genannt wird.

Der Beschuldigten hilft diese Zurückhaltung natürlich nicht mehr, aber so gebietet es der respektvolle Umgang mit der Unschuldsvermutung. Sie gehört zu den elementaren Prinzipien des Rechtsstaats. Sie gilt auch dann, wenn sie von der Staatsanwaltschaft nicht geachtet wird.

Nach den Grundsätzen, die die Gerichte zum Presse- und Persönlichkeitsrecht entwickelt haben, ist die Staatsanwaltschaft zwar eine "privilegierte Quelle". Das heißt: Die Presse kann die Vorwürfe, von denen die Ankläger berichten, ohne große Prüfung übernehmen. Wohlgemerkt: Die Presse kann, sie muss es aber nicht.

Die Gerichte haben den Schutzschild größer gemacht

Das Persönlichkeitsrecht von prominenten und weniger prominenten Menschen ist in jüngster Zeit von den Zivilgerichten - bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof - sehr gestärkt worden, gelegentlich auch zu Lasten der Pressefreiheit.

Selbst Personen, die man früher gern "Personen der Zeitgeschichte" nannte, müssen sich nicht alles gefallen lassen. Die Gerichte haben den Schutzschild größer gemacht. Gleichzeitig fällt aber auf, dass Staatsanwaltschaften mit den Persönlichkeitsrechten der Beschuldigten immer laxer umgehen.

Die Staatsanwaltschaft war über Jahrzehnte hin eine verschlossene Behörde, äußerst zurückhaltend mit Auskünften - zu ihrem Schaden: Die Deutungshoheit hatten seit jeher die redefreudigen Strafverteidiger. Sie beherrschten den Markt der öffentlichen Darstellung.

Diese Marktverschiebung versuchen die Staatsanwaltschaften seit einiger Zeit zu korrigieren; dabei schlagen sie aber zu oft über die Stränge. Es kommt zu einer Überkompensation der bisherigen öffentlichen Unterlegenheit - auf Kosten des Postchefs Klaus Zumwinkel, auf Kosten des SPD-Abgeordneten Tauss, dem der Besitz kinderpornographischen Materials vorgeworfen wird.

Oder auf Kosten der Pop-Sängerin, die hier weiterhin ungenannt bleiben soll. Das ist nicht lachhaft, sondern ernsthaft.

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