Nelson Mandela:Edler Kopf

Das bekannteste Werk des Ottobrunner Goldschmieds Tom Rucker ist eine Büste von Mandela, der diese Woche hundert geworden wäre

Von Antonia Dieterle, Ottobrunn

Tom Rucker sitzt auf einem Sofa und schaut sich um. In der Ecke prangt ein ausgestopfter weißer Löwe, stolz und gefährlich. Große Säbel hängen neben gerahmten Bildern von der Wand. Der Ottobrunner blickt in die andere Richtung des Raumes, denn dort erkennt er die Umrisse einer Gestalt. Dieser Mann sitzt in einem Sessel und ist vom Leben gezeichnet. Es ist Nelson Mandela im Jahr 2010. "Rolihlahla" - also Unruhestifter - von seinen Eltern genannt, wäre am 18. Juli 2018 hundert Jahre alt geworden. Durch Unruhe Frieden zu stiften war lediglich eines der vielen Lebensziele dieses Mannes, der in einem Südafrika geboren wurde, das 1918 noch Kolonie des britischen Königreichs war. Als junger Jurastudent nimmt er den Kampf gegen das Apartheidregime auf und tritt 1944 dem African National Congress (ANC) bei, einer Bewegung, die Ungleichheit und Rassendiskriminierung ein Ende setzen will. 1964 wird Mandela zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt und verbringt die nächsten 27 Jahre seines Lebens bis zu seiner Freilassung am 11. Februar 1990 auf der Gefängnisinsel Robben Island.

Dass Tom Rucker 20 Jahre später diesen Mann in seinem Wohnzimmer trifft, war für ihn bis dahin nur schwer vorstellbar. Das Zusammentreffen ist kurz. Rucker mustert akribisch Mandelas Gesichtszüge. Seine Kopfform, seine tiefen Augen und seinen bestimmten Blick. Es ist nicht das Gesicht von Mandela, das Rucker 14 Monate lang als lebensgroße Büste anfertigte. Sein Mandela ist der Widerstandskämpfer, der 1994 zum ersten schwarzen Präsident seines Landes gewählt wurde. Es ist Mandela, gedruckt auf den Briefmarken der Republik Südafrika: Im Anzug, mit blau gemusterter Krawatte. Das Haar zurück gekämmt, die Ansätze grau meliert. Lächelnde Augen, umgeben von kleinen Fältchen.

nelson mandela, büste von tom rucker

Rucker schweißt in akribischer Kleinarbeit hauchfeine Platindrähte zusammen, die einen zarten Schleier über Mandelas Gesicht legen.

(Foto: ©2012 Richard Valencia for The Worshipful Company of Goldsmiths, London)

Tom Rucker wächst in Ottobrunn in einer traditionellen bayerischen Goldschmiedefamilie auf, die nach dem Krieg ihre Gartenlaube zur Schmiede umbaute. In vierter Generation lernt er noch bei Vater Anton Rucker in der Schmuckwerkstatt und ist heute ein international anerkannter Gold- und Platinschmied. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt er die deutsche "Benvenuto-Cellini-Goldmedaille" und Auszeichnungen des britischen "Goldsmiths' Craft and Design Councel".

Rucker lebt seit mehr als zehn Jahren in London und reist 2009 für einen Urlaub nach Südafrika. Er besucht den Ort Khayelitsha, bekannt als eines der größten Townships des Landes. Auch dort ist Mandela präsent. Als Rucker einige Jugendliche beim Fußballspielen fragt, wer ihr größtes Idol sei, antworten die Jungen einstimmig "Mandela". Diese Inspiration nimmt Rucker, der stets nach neuen künstlerischen und handwerklichen Herausforderungen sucht, mit nach Hause und erzählt seinen Freunden: "Es muss Nelson sein!" Er beginnt seine Arbeit an Mikroskop und Laserschweißgerät. Rucker entwickelt selbst ein mehrstufiges Verfahren und schweißt eine unzählige Anzahl von hauchfeinen 0,22 Millimeter dünnen Platindrähten in akribischer Kleinarbeit zusammen. Vielleicht inspiriert von einem Spruch Mandelas: "Es scheint immer unmöglich, bis man es in die Tat umgesetzt hat."

tom rucker

Tom Rucker arbeit mit Hilfe modernster Lasertechnik.

(Foto: 2012 Richard Valencia for The Worshipful, Company of Goldsmiths,, London, ©2017 Alpha Laser)

Der zarte und zerbrechlich wirkende Platin-Schleier, der sich über Mandelas Gesicht legt, wird von fast zwei Millionen einzelnen Schweißverbindungen und in der Form einer wabenförmigen, sogenannten geodätischen Struktur zusammengehalten. Die charakteristischen Augen setzt Rucker aus schwarzen Diamanten und Rhodium zusammen. Eine Sonderanfertigung aus weißem Meißener Porzellan bildet die Kopfform unter dem Platinnetz der knapp dreieinhalb Kilo schweren Büste ab. Rucker will den Anblick seines Kunstwerks mit der Welt teilen, es gehe ihm auch um "Philanthropie". Sein Ziel: Die Familie Mandela sollte von der Büste erfahren.

Es folgt eine unruhige, "hochpolitische Zeit", wie er sagt. Die Büste entwickelt sich zum aufgeladenem Symbol deutsch-südafrikanischer Beziehungen. Das südafrikanische Generalkonsulat und die bayerische Staatskanzlei werden zwar zu Unterstützern und Förderern, und Horst Seehofer beantwortet die Anstrengungen Ruckers mit einer Schirmherrschaft für das Projekt mit dem Titel "Nelson Mandela. Pure Mind, Rare Vision, Eternal Spirit". Rucker entschließt sich zudem, selbst zu handeln, ein wenig "Rolihlahla" zu sein. Nach einigen Bemühungen findet er sich auf dem Sofa eines Wohnzimmers wieder - in Jeans und T-Shirt. Der Mann, der ihm dort die Hand entgegen streckt, ist kein anderer als Jacob Zuma, früherer Vorsitzender des ANC und Präsident von Südafrika bis Februar 2018. Erst durch ihn entsteht ein direkter Kontakt zu Mandelas Familie, und Zuma sichert seine Unterstützung zu. Eine Rückmeldung bleibt aber vorerst aus und fortan entwickeln sich für Rucker Teile der Mandela-Familie ebenfalls zu Unruhestiftern. Der äußerst nachdrücklichen Aufforderung einiger Familienmitglieder, die Büste dauerhaft am Geburtsort Mandelas in Mvezo auszustellen, will der Goldschmied nicht nachkommen und zieht sich aus dem Geflecht undurchsichtiger Familiendynamiken zurück. Was er aus dieser Zeit in Südafrika mitnimmt? Sehr gute Freundschaften und selbstverständlich die Büste, so Rucker.

Generell hat ihn die Arbeit mit Gold, Platin und Diamanten nicht seiner Bodenständigkeit beraubt. Er ist kein abgehobener Weltstadtbewohner und spricht mit Zuneigung über seine Heimat Ottobrunn. Er kommt auch immer wieder gerne zurück an den Ort, in dem er aufwuchs und seine Lehre abschloss. Obgleich der international erfolgreiche Schmuckdesigner nur wenige Kunden in Deutschland hat, wäre es ihm ein Anliegen, auch den Ottobrunnern einmal seine berühmteste Arbeit zu präsentieren - die Büste des Unruhestifters aus Südafrika.

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