Stammzelltherapien:Wie Pseudo-Wissenschaft dubiose Geschäfte ankurbelt

Sigrid-Siegmund-Haus der LMU in München, 2017

Die Stammzellforschung soll einmal zur Heilung schwerer Krankheiten beitragen. Noch ist das mehr Wunsch als Wirklichkeit.

(Foto: Florian Peljak)

Privatkliniken nutzen die Not Schwerkranker aus, um ihnen Stammzelltherapien anzubieten. Die Betreiber schmücken sich mit Artikeln aus Fake-Journalen. Bewiesen aber ist die Wirkung nicht.

Von Astrid Viciano

Acht Spritzen liegen bereit, sie sollen Schönheit und Jugend zurückbringen. Um 13.23 Uhr greift die Ärztin nach der ersten Nadel, injiziert orangefarbene Flüssigkeit in den grauen Haaransatz von Brian Mehling, in seine Schläfen und Wangen bis hin zum Kinn. Sie muss zügig arbeiten, jede Minute zählt, ihr Patient ist gerade angereist und muss am Abend noch weiter, zu den Filmfestspielen in Cannes. Nervös fröhlich ist die Stimmung, denn Mehling ist zugleich der medizinische Direktor der Klinik. Hier in Malacky, Slowakei, lässt sich der Mediziner Stammzellen spritzen. Stammzellen, die er selbst vermarktet, demnächst wohl auch in Deutschland.

An die 40 Stammzellbehandlungen habe er selbst schon hinter sich, berichtet der Unfallchirurg aus New Jersey, seine Muskeln zeichnen sich unter dem schmalen weißen T-Shirt ab, am Handgelenk trägt der 52-Jährige eine goldene Armbanduhr. Vom Patientenbett aus erzählt Mehling, dass die Stammzellen nicht nur Falten verschwinden lassen. Auch gegen Arthrose könnten sie helfen. Gegen Schlaganfall. Gegen Alzheimer. "Unglaublich" seien die Ergebnisse bei Freunden und Verwandten gewesen, "extrem effektiv". An Depressionen hätten manche von ihnen vor der Behandlung gelitten, an Ängsten, an Schizophrenie. Einige hätten danach keine Medikamente mehr gebraucht.

Was, wenn Stammzellen zerstörte Organe nachwachsen ließen, gelähmte Menschen wieder gehen könnten, blinde wieder sehen? Mit immensen Versprechen begann einst die Forschung an Stammzellen, haben sie doch die Eigenschaft, sich fast unbegrenzt teilen zu können und unterschiedliche Zellen des Körpers zu bilden, je nach Stammzelltyp. Besonders schwer kranke Patienten warten seither, dass die Versprechen eingelöst werden und landen oft bei dubiosen Kliniken, die angeblich heilende Stammzelltherapien anbieten.

"Wir erhalten heute mehr Anfragen dazu als früher", sagt Martin Heyer, Koordinator der ethisch-rechtlichen Arbeitsgemeinschaft des Kompetenznetzwerks Stammzellforschung NRW (KS). Und öffneten solche Kliniken früher in Mexiko, Indien oder China ihre Pforten, finden sich inzwischen viele Anbieter in hoch entwickelten Staaten wie den USA, Australien - und auch in Deutschland. "Derlei Angebote beschädigen das sehr zukunftsträchtige Gebiet der seriösen Stammzellforschung", sagt Oliver Brüstle, Leiter des Instituts für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn und Vorstandsvorsitzender des KS.

Spätestens im nächsten Jahr möchte Brian Mehling die Stammzelltherapien seiner Firma Blue Horizon International (BHI) auch in Deutschland anbieten, bisher ist er damit vor allem in China und im slowakischen Industriestädtchen Malacky aktiv. Nur eine Stunde vom Wiener Flughafen entfernt, holt eine Limousine der Klinik auf Wunsch die internationale Kundschaft ab, aus Norwegen zum Beispiel, Portugal, den USA und auch aus Deutschland. Im zweiten Stock der Klinik hat BHI für sie einen separaten Trakt angemietet. "Wir wollen den Patienten nicht zumuten, mit frisch Operierten auf einem Zimmer zu liegen", erklärt Renáta Mihalyova, Klinikmanagerin von BHI in Malacky. Die Kunden können dann Stammzellen aus dem eigenen Fettgewebe gewinnen lassen oder solche aus dem Blut der Nabelschnur Neugeborener wählen.

Die Stammzellen aus dem Nabelschnurblut seien die stärkere Behandlung, sagt Mehling. Sie nähmen nach der Injektion Verbindung mit den körpereigenen Stammzellen auf und brächten sie dazu, bestimmte Gene wieder einzuschalten, die eigentlich nach der ersten Lebenswoche abgeschaltet bleiben. Die regenerativen Fähigkeiten der körpereigenen Stammzellen würden also wieder aktiviert. Dem Stammzellexperten Peter Horn von der Universitätsklinik Essen sind solche Erklärungen fremd: "Hierfür sind mir keine wissenschaftlichen Belege bekannt."

Alle Journals sind Stammzellexperten unbekannt

Dennoch plant Mehling, seine Therapien spätestens im Jahr 2019 in Deutschland anzubieten. Er kennt den deutschen Markt bereits, seit 2013 verkauft er eine Kosmetikserie, die er von der Firma Bernecker-Cosmetics in Roetgen bei Aachen herstellen lässt. Die Cremes und Seren des Labels AlphaBlu enthielten Wachstumsfaktoren und Botenstoffe aus menschlichen Stammzellen, erklärt Klara Doert, Präsidentin für internationale Geschäftsentwicklung der Firma. Und deutet auf einen Stapel Broschüren auf dem Klinikflur.

Andere Forscher bemühen sich seit Jahren, einzelne Botenstoffe und Wachstumsfaktoren von Stammzellen zu isolieren und anzuwenden, den meisten gelang das bislang nur im Tierversuch. Nur einer Arbeitsgruppe um den Mediziner Horn gelang das bisher, in einem Heilversuch einer schwer kranken Patientin. Woran hoch spezialisierte Forschergruppen noch scheitern, will BHI längst gemeistert haben. Alle Faktoren, die gegen Entzündung und für eine Regeneration der Haut wichtig sind, seien in AlphaBlu enthalten, heißt es in den Firmenunterlagen.

Noch mehr Informationen über ihre Forschung hat Klara Doert in Form von USB-Sticks mit blau-weißem BHI-Logo bereit- gelegt, gleich neben Broschüren über AlphaBlu: "Hier können Sie alles nachlesen". Auf den Datenträgern ist zu finden, dass der Unfallchirurg seine Studien bislang in vier Fachjournalen veröffentlicht hat. In einer ging es um Stammzellen aus dem Nabelschnurblut für die Therapie von Querschnittslähmungen, in den übrigen dreien über den Einsatz bei chronischer Entzündung. Alle Journals sind Stammzellexperten unbekannt, noch dazu wird eines von ihnen von der Firma Waset, ein anderes von Omics International herausgegeben. Beide Unternehmen werden heute als Raubverleger bezeichnet, weil sie gegen Bezahlung Fachartikel offenbar ohne wissenschaftliche Qualitätskontrolle veröffentlichen.

In den vergangenen Jahren haben mehr als 5000 deutsche Forscherinnen und Forscher in solchen Zeitschriften publiziert, wie Recherchen von WDR, NDR und der Süddeutschen Zeitung ergaben. "In der Medizin kann es einzelnen Menschen schaden, wenn so publizierte Studienergebnisse zu einer falschen Behandlung führen", sagt Gerd Antes, Leiter des Deutschen Cochrane Zentrums am Universitätsklinikum Freiburg. Brian Mehling erklärt dagegen auf Anfrage der SZ, dass BHI sehr auf die Qualität der Studien achte: "Unsere klinische Forschung ist in wissenschaftlichen Fachzeitschriften erschienen, die eine strenge Qualitätskontrolle haben und nur qualitativ hochwertige Studien enthalten."

Keine der Arbeiten halte sich an die anerkannten Grundregeln klinischer Studien, erklärt hingegen Stammzellexperte Peter Horn. In hochwertigen Studien werden Probanden einer neuen Therapie mit einer Kontrollgruppe verglichen. "Hier findet sich keine", sagt Horn. Auch was mit den Stammzellen nach der Injektion im Körper passiert, sei in den Studien nicht nachzuvollziehen, sagt Martin Korte, Sprecher der interdisziplinären Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. "Es wurden laut Publikationen im Anschluss keine Gewebeproben entnommen, um das zu untersuchen", sagt der Zellbiologe. Etwa, ob sich die Stammzellen im Körper unkontrolliert geteilt und Tumore gebildet haben. "Auch wenn das Risiko dafür klein ist, müssen wir das immer wieder neu prüfen", sagt Korte.

Noch weiß niemand, was Stammzellen eines Tages bei welchen Erkrankungen werden ausrichten können. Das Potenzial ist groß. Doch bislang waren nur wenige neue Therapieansätze erfolgreich, und meist nicht mit Stammzellen aus Nabelschnur oder Fettgewebe. Bei Netzhauterkrankungen etwa, auch für Parkinson-Patienten sind neue Studien in Vorbereitung, und Einzelfallberichte zur Behandlung von Knorpelschäden liegen vor.

Doch Mehling und Kollegen von BHI sprechen in Vorträgen bereits davon, "lebensrettende Therapien" in die Welt zu bringen. Als Visionär bezeichnet Klara Doert ihren Chef, der eigentlich als Unfallchirurg tätig ist, in Kliniken und seinen Praxen in New Jersey und New York. Auf der Internetseite von BHI wird unter anderem sein Aufenthalt an der Harvard-Universität erwähnt, seinem Lebenslauf zufolge hat er dort drei Monate verbracht.

"Wenn ich auf den Filmfestspielen in Cannes einen Investor finde, könnten wir übermorgen in Deutschland anfangen"

Mehling bleibt dabei, er will seine Studienergebnisse auch künftig "auf höchstem Level" in Fachjournalen veröffentlichen. Selbst die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA habe soeben einer geplanten Studie zugestimmt. Mehling will Patienten nach Schlaganfall Stammzellen aus Nabelschnurblut geben, intravenös oder in den Rückenmarkskanal.

Diese Studie soll Mehling auch den Weg in den deutschen Markt ebnen. An der Charité in Berlin möchte der Mediziner Schlaganfallpatienten behandeln. Er und seine Kollegin Doert berichten, dass der Internist und Kardiologe Wolfram Döhner die Probanden für die Studie bereitstellen werde. Döhner arbeitet als Professor für interdisziplinäre Schlaganfallforschung an der Charité. Spätestens im nächsten Jahr wolle er gemeinsam mit Döhner einen Antrag bei der internen Ethikkommission der Charité stellen, sagt Mehling.

Döhner ist als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von BHI auf deren Firmen-Website genannt. "Ich berate die Firma nur darin, wie sie klinische Studien gestalten kann", sagt Döhner dagegen. In einem Telefonat kann sich Döhner auf spontane Nachfrage weder erinnern, ob er im wissenschaftlichen Beirat der Firma sitzt, noch kann er sagen, seit wann er BHI berät. Eine Studie an der Charité sei seines Wissens nach nicht geplant. Auf der Internetseite seiner Arbeitsgruppe an der Charité ist BHI auch nicht als Kooperationspartner genannt.

Unweit des Brandenburger Tors hat BHI schon vor drei Jahren einen Firmensitz angemeldet, in der Friedrichstraße in Berlin-Mitte. Klara Doert sucht nur noch nach Investoren für die Studie, zwei Millionen Euro seien noch offen. "Wenn ich auf den Filmfestspielen in Cannes einen Investor finde, könnten wir übermorgen in Deutschland anfangen", sagt sie. Auch eine private Klinikgruppe in Deutschland sei daran interessiert, Stammzellen in einer Studie gegen Burn-out einzusetzen: "Das ist ja ein Topthema in der Medizin."

Mehling kennt noch eine Möglichkeit, seine Therapien in Deutschland anzubieten. Ärzte können nicht zugelassene Behandlungen jenseits von Studien durchführen, mithilfe der Krankenhaus-Ausnahmeregelung. Dafür muss BHI einen Antrag beim Paul-Ehrlich-Institut stellen, das anhand der vorhandenen Daten Nutzen und Risiken der Therapien abwägen wird. "Die meisten ungeprüften Therapien in Deutschland finden so statt", sagt Heyer vom Kompetenznetzwerk Stammzellforschung NRW. Dagegen ausrichten könne man wenig, sagt der Jurist. Den lokalen Behörden fehle dafür oft die wissenschaftliche und rechtliche Expertise.

Um noch mehr Patienten und Investoren weltweit für seine Therapien zu begeistern, lässt Mehling ein Kamerateam in Malacky einen Film drehen. Gerade sind zwei Männer aus New York eingetroffen. Wie die meisten Patienten der Klinik werden sie Spritzen in ihre Gelenke erhalten. Lässig, optimistisch, freundlich sitzt Alan Pereira, 38 Jahre, in seinem Patientenzimmer, er stand bereits Modell für einen Fotokalender der Firma, arbeitet als Buchhalter bei BHI und lässt sich bereits zum zweiten Mal mit Stammzellen behandeln. Die Krankenpflegerinnen bringen belegte Brote und Wasser, Mehlings Kamerateam filmt die fotogenen Patienten, auch Anton Antipov, einen 35-jährigen Russen mit glattem Gesicht und Tattoo auf den sehr muskulösen Armen, er nimmt als Bodybuilder an Wettkämpfen teil. Nach seinem Besuch wird Antipov zum Botschafter für die Klinik in Malacky ernannt werden.

Für Stammzellen aus dem eigenen Fettgewebe würde BHI den beiden nur 1300 Euro berechnen, doch die Patienten wählen das teure Nabelschnurblut für 5000 Euro. Die Aufbereitung ihres Fettgewebes würde zu lange dauern, auch sie reisen am Abend nach Cannes, Mehling gibt dort in seiner Villa jedes Jahr eine Party.

Mehling berichtet, dass 60 bis 70 Prozent der Patienten im Anschluss an eine Gelenkspritze keine Medikamente mehr bräuchten. Selbst nach Injektionen der schwächeren Fettstammzellen habe er im Kernspintomogramm gesehen, dass ein Teil des Gelenkknorpels nachwachse. Wo er Studiendaten zu Arthrose präsentiert hat? In Berlin, vor zwei Jahren zum Beispiel, auf der International Conference on Tissue Engineering & Regenerative Medicine. Den Kongress organisiert hatte, nun ja, der Raubverleger Omics International.

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