Christina Schwanitz:Mama plus

118. Deutsche Leichtathletik-Meisterschaften

Mit 20,06 Metern gewinnt Christina Schwanitz auf dem Nürnberger Hauptmarkt das Kugelstoßen bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Vor einem Jahr ist die Kugelstoßerin Schwanitz Mutter geworden. Nach nur sechs Monaten Training ist sie bereits wieder deutsche Meisterin und die Nummer zwei der Welt. Das klappt nur dank eines speziellen Hilfssystems.

Von Joachim Mölter, Nürnberg

Wenn Christina Schwanitz lacht, dann laut und rau, sie holt dieses Lachen aus den Tiefen eines mächtigen Resonanzkörpers, 1,80 Meter groß, 100 Kilo schwer. Am Freitagabend lachte Christina Schwanitz besonders rau, da war sie auch besonders aufgekratzt. Bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften hatte sie das auf den Nürnberger Hauptmarkt ausgelagerte Kugelstoßen gewonnen, mit 20,06 Meter. "20 Meter sind schon eine Marke", fand sie, "das schaffen nicht so viele auf der Welt." In diesem Jahr sind es bislang nur zwei, die Chinesin Lijiao Gong, deren Weltbestmarke bei 20,38 steht, und nun eben Christina Schwanitz. "Das war ein ganz besonderer Sieg", sagte sie, "ich bin unheimlich stolz."

Das konnte die 32-Jährige auch sein, und zwar nicht bloß, weil sie die beste Weite bei einer deutschen Meisterschaft erzielt hatte, seit 1997 die Olympiasiegerin Astrid Kumbernuss (Neubrandenburg) die vier Kilogramm schwere Kugel 20,56 Meter weit wuchtete. Es ist ja gerade mal ein Jahr her, dass Christina Schwanitz Zwillinge zur Welt gebracht hat, ein Mädchen, einen Jungen, "die Krümel", wie sie ihren Nachwuchs lachend nennt.

Die ersten Monate nach der Geburt war sie damit beschäftigt, ihr Leben neu zu takten und zu organisieren. Dann fing die Europameisterin von 2014 und 2016 und Weltmeisterin von 2015 wieder an mit dem Training. "Aus purem Egoismus", wie sie sagt: "Ich wollte einfach wieder Zeit für mich haben, qualitative Zeit, wieder ein Gefühl für meinen Körper bekommen, eine Aufgabe haben." Sie wollte nicht nur Mutter sein, sondern "Mama plus", wie sie sagt.

Aber Mama plus zu sein, ist gar nicht so einfach, das hat die Athletin vom LV 90 Erzgebirge schnell gemerkt. "Familie und Leistungssport sind vereinbar", sagt sie - und fügt nach einer Kunstpause hinzu: "Aber nur mit Hilfe."

Mit Hilfe plusplusplus, muss man präzisieren. In dieser Woche war sie beispielsweise seit Mittwoch unterwegs, erst beim Diamond-League-Meeting in Monaco, dann bei den deutschen Meisterschaften in Nürnberg. Weil auch ihr Mann beruflich auf Reisen war, hatte das Paar "die Krümel an eine Freundin verkauft", wie Schwanitz das formuliert, laut lachend natürlich, bevor sie dann ernst hinterherschickt: "Wir sind unheimlich dankbar, dass wir diese Freundschaften haben, sonst könnte ich meinen Leistungssport nicht so hoch qualifiziert betreiben und mein Mann nicht voll berufstätig sein."

Schwanitz ist die große Favoritin für die Heim-EM in Berlin

Wenn sie aufzählt, welches Netz sie um sich und ihre Familie gespannt hat, dann kommt sie schnell vom Hundertsten ins Tausendste: die Bundeswehr, der sie als Sportsoldatin dient, der Arbeitgeber ihres Mannes, der dem Paar ebenfalls entgegenkommt, Trainer und Physiotherapeuten, die ihre Einsatzzeiten nach ihr richten, Deutscher Leichtathletik-Verband (DLV), Sporthilfe, Kindergarten - "alle sind da im Hintergrund und geben alles. Dafür möchte ich Danke sagen".

Christina Schwanitz, Deutschlands Sportlerin des Jahres 2015, weiß, wie privilegiert sie ist und welche Herausforderung es für andere Mütter ist, wieder in einen Acht-Stunden-Arbeitstag zurückzukehren, wenn der Kindergarten halt schon um 17 Uhr dichtmacht. "Viele Eltern haben gar nicht das Glück, ihre Kinder zu bevorzugten Zeiten abgeben zu können, so wie wir", sagt sie.

"Sie macht das sehr professionell, sie sorgt immer dafür, dass ihre Kinder gut betreut sind, damit sie in Ruhe trainieren kann", sagt der Bundestrainer Sven Lang, der mit Schwanitz arbeitet. Auch Lang hat sich an neue Umstände gewöhnen müssen: "Es ist für mich das erste Mal, dass ich mit einer jungen Mutti trainiere", sagt er, "aber wir versuchen schon, Trainingszeiten zu wählen, die ihr in den Tagesablauf passen."

Sven Lang ist schwer beeindruckt vom Comeback seiner Athletin. "Nach sechs Monaten richtigem Training 20 Meter zu stoßen - da kann man in den nächsten zwei Jahren noch ein bisschen was erwarten", sagt er: "Ich denke, dass sie ihre Bestmarke noch mal steigern kann." Die hat sie im WM-Jahr 2015 bei 20,77 Meter in den Boden gerammt.

Mit ihren 20,06 galt Christina Schwanitz jetzt erst einmal die Favoritin für die Europameisterschaften in Berlin (6. bis 12. August). Am Samstagabend hatte sie allerdings einen Unfall auf dem Weg zum Aktuellen Sportstudio nach Mainz. Nach ersten Angaben des ZDF musste sie im Krankenhaus behandelt werden, verletzte sich aber nur leicht.

Drei EM-Titel nacheinander hat bislang noch keine Kugelstoßerin gewonnen, das wäre hübsch, aber sie will den Ball lieber flach halten, hatte sie noch in Nürnberg gesagt. Sie hält sich nicht für unschlagbar und verwies auf die Polin Paulina Guba, aktuell die Nummer zwei in Europa mit 19,38. "Wenn ich einen schlechten Tag habe, mache ich das auch", sagte sie und lachte.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: