Bildungsforschung:Wenn der Schulabschluss vom Erbgut abhängt

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Über den Schulerfolg entscheiden auch die Gene. (Foto: dpa)
  • Nach einer Analyse des Erbguts von mehr als einer Million Menschen hat eine internationale Forschergruppe 1271 genetische Varianten gefunden, die wahrscheinlich Einfluss auf den im Leben erreichten Bildungsstand eines Menschen haben.
  • Anhand der genetischen Ausstattung sei es sogar zum Teil möglich, den Bildungserfolg eines Menschen vorherzusagen, berichten die Wissenschaftler.
  • Dass sich künftig Gentests nutzen lassen, um Schüler gezielt zu fördern, bezweifeln hingegen Experten.

Von Hanno Charisius

Wie erfolgreich jemand durch die Schule kommt, hängt von vielen Einflüssen ab, von den Lehrern, der eigenen Motivation, dem Einkommen der Eltern sowie deren Hilfestellung - und zu einem großen Teil auch von den eigenen Genen. Nach einer Analyse des Erbguts von mehr als einer Million Menschen hat eine internationale Forschergruppe 1271 genetische Varianten gefunden, die wahrscheinlich Einfluss auf den im Leben erreichten Bildungsstand eines Menschen haben. Zusammengefasst könnten diese Erbanlagen gut zehn Prozent des schulischen Erfolgs erklären, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt Nature Genetics.

Anhand der genetischen Ausstattung sei es sogar zum Teil möglich, den Bildungserfolg eines Menschen vorherzusagen, berichten die Wirtschaftswissenschaftler, Statistiker und Genetiker um die Ökonomin Aysu Okbay von der Vrije Universiteit in Amsterdam, die sich bereits seit ihrer Doktorarbeit mit der genetischen Basis von wirtschaftlichem und sozialem Erfolg befasst. Zusammen mit mehr als 200 Kollegen hat sie die genetischen Daten von 1,1 Millionen Menschen ausgewertet. Eine so große Zahl von Versuchsteilnehmern ist bei solchen sogenannten genetischen Assoziationsstudien notwendig, um halbwegs brauchbare statistische Sicherheit für die zum Teil sehr kleinen Effekte zu bekommen.

Die Genetik ist nicht allein für den Schulabschluss verantwortlich, auch die Umwelt spielt eine Rolle

Noch kennen die Forscher nicht sämtliche biologischen Effekte der nun identifizierten Genvarianten, einige betreffen jedoch - was anzunehmen war - die Gehirnentwicklung des Kindes vor und nach der Geburt sowie die Signalübertragung in Nervenzellen. Neben indirekten Einflüssen, zum Beispiel durch das mehr oder weniger fördernde Verhalten der Eltern, entfalte die Genetik sicherlich den stärksten Beitrag über die Beeinflussung der eigenen Gehirnfunktionen, erklärt Markus Nöthen, Direktor des Instituts für Humangenetik an der Uniklinik Bonn. "Natürlich ist die Genetik nicht alleine für den erreichten Bildungsstand verantwortlich, auch dies zeigt sich sehr überzeugend in der vorliegenden Studie. Die Umgebung spielt eine große Rolle. Wahrscheinlich sind genetische und Umgebungseinflüsse aber eng verwoben." Das und die Rolle der Eltern betont auch die Forschergruppe in ihrem Fachaufsatz.

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Dass sich künftig Gentests nutzen lassen, um Schüler gezielt zu fördern, bezweifelt Elsbeth Stern, Professorin für Lehr- und Lernforschung von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Sobald ein Baby auf der Welt sei, gebe es bessere Indikatoren. "Aus der Art und Weise, wie Babys Objekte anschauen, kann man mehr als 13 Prozent der späteren Intelligenzunterschiede vorhersagen", sagt Stern. Auch fast alle Entwicklungsstörungen ließen sich mit größerer Genauigkeit aus Verhaltensbeobachtung ermitteln als mit Genanalysen.

Okbay und ihre Kollegen weisen selbst darauf hin, dass die Vorhersage des schulischen Erfolgs vor allem für Menschen mit europäischen genetischen Wurzeln funktioniere, bei Versuchsteilnehmern mit afrikanischer Abstammung die Vorhersagekraft aber deutlich sinke. Sie vermuten, dass dies auch für andere nicht-europäischen Bevölkerungsgruppen der Fall ist, getestet haben sie das aber noch nicht. Laut Elsbeth Stern wäre ein Mangel an Chancengleichheit für Menschen unterschiedlicher Hautfarbe eine Erklärung dafür: "Menschen afroamerikanischer Herkunft erhalten nicht die Entwicklungs- und Lerngelegenheiten, die es ermöglichen, ihr genetisches Potenzial voll auszuschöpfen. Das haben bereits frühere Zwillingsstudien gezeigt."

© SZ vom 24.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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