"Lohengrin"-Premiere in Bayreuth:Wenn schon Licht, dann eine anständige Hexenverbrennung

Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen 2018

Das Ensemble auf der Bühne - Bühnenbild und Kostüme hat das Künstlerpaar Neo Rauch und Rosa Loy gestaltet.

(Foto: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa)

Am Ende von Christian Thielemanns "Lohengrin" sinken die frauenfeindlichen und kriegslüsternen Heerscharen zu Boden. Zwei Frauen bleiben stehen.

Von Reinhard J. Brembeck, Bayreuth

Ganz am Schluss kommt ein bis in die letzte Gesichtsfalte grüner Mann ins bereits drei Akte lang recht konsequent nachtblaue Interieur. Heiterkeit und Unwillen kommen auf im Bayreuther Festspielpublikum. Was soll jetzt dieser Rest Regietheater in einer sonst spektakelfreien Inszenierung, die den Sängern und Dirigent Christian Thielemann jede Chance gab zum Brillieren und ungehindert Aussingen in Richard Wagners "Lohengrin"?

Da gab es bei der Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele auch einiges zu bestaunen. Allen voran Piotr Beczała als Titelheld. Lohengrin ist ein barmherziger Bruder, der Gesandte einer allmächtigen Hilfsorganisation, die ihre Emissäre mit Zauberkräften ausstattet. So einer muss ein Strahlemann sein. Diesen Typus vertritt Piotr Beczała perfekt, vom Aussehen her wie von der Stimme. Er singt wie ein italienischer Tenor. Voller Sehnsucht, warm im Stimmklang. Nie leiert er die Melodien aus. Er singt elegant, leistet sich nie Schluchzer, ist dennoch immer Seele und Gefühl.

Die Seele muss auch bei einem Profihelfer gelegentlich gestreichelt werden. Als Lohengrin der unschuldig angeklagten und in Bayreuth schon auf dem Scheiterhaufen schmurgelnden Elsa zu Hilfe eilt, verliebt er sich auf den ersten Blick in sie. Und sein Hilfsangebot ist dann eine Erpressung: Ich helf' dir, wenn du mich heiratest. Welche Frau in solch einer misslichen Lage würde da nicht ja sagen? Also sagt auch Elsa, gespielt und gesungen von Anja Harteros, ja.

Kein Happy End, sondern Scheidung

Sie akzeptiert auch ohne viel nachzudenken die zweite Männerforderung Lohengrins, dass sie ihn nie fragen dürfe, wer er sei. Dieses Frageverbot hat die Exegeten schon immer erregt. Es ist ja auch ein klassisches Thema für Philosophie, Genderstudies, Wagnerianer, Feministinnen. Aber durchaus nicht bühnentauglich. Wie wollte man es in seiner abstrakten Ungreifbarkeit auch auf die Bühne bringen?

Die Bayreuther Ausstatter Neo Rauch & Rosa Loy sowie ihr Regisseur Yuval Sharon haben denn auch keinerlei Versuch in diese Richtung gemacht. Sie lassen lieber die Musik sich verströmen und Christian Thielemann sorgt schon dafür, dass die Hüllkurven der Geschichte (mehr kann die Musik ja nicht abbilden) deutlich werden. Dass sich also nach und nach das Unheil breitmacht in dieser wundersame Rettungsgeschichte und am Schluss keine Happy-End-Hochzeit steht, sondern die Scheidung.

Im ersten Akt steht der Chor ausdauernd statisch um ein Umspannwerk herum. Das Blau, das den Abend dominiert, hat schon Friedrich Nietzsche aus dem narkotischen Vorspiel herausgehört, in der ein Gnadenkelch, der Gral, vom Himmel herabschwebt. Das Blau, das der weltberühmte Maler Neo Rauch dem Abend konsequent verordnet, ist ebenfalls ein Narkotikum. Es ist das Nachtdunkel der Geschichte, mütterlich sorgend, warm und betörend wie Wagners Musik. Die Menschen wollen davon nicht weg. Schon gleich gar nicht hin zu dem klobigen Umspannwerk mitten auf der Bühne. Das verspricht zwar ein besseres Leben, taucht das Leben aber zugleich in das unerträglich grelle Licht der Vernunft. Und das erschreckt die mittelalterlich dunkel ausstaffierten Chorsänger.

Wenn schon Licht, dann eine anständige Hexenverbrennung. Die mit Elsa geht schief, dafür muss am Ende ihre Gegnerin Ortrud dran glauben. Beide haben ziemlich viel gemeinsam, beide sind sie Rebellinnen gegen eine Männerwelt, die sie konsequent unterdrückt und stets mit dem Autodafé bedroht. Vielleicht gelingt deshalb deren großes Duett besonders gut. Anja Harteros und Waltraud Meier sind beide eigenwillige Sängerinnen, die ihre stimmlichen Defizite zur Ausdruckssteigerung nutzen. Harteros zerbricht die Melodien in einer Folge unterschiedlichster Klangcharaktere. So wie das Leid auch sie ständig zerbricht.

Die legendäre Waltraud Meier ist Tomasz Konieczny, der allzu lautstark ihren etwas dummen Ehrenmann Friedrich gibt, stimmlich immer unterlegen, gerade in der Tiefe. Aber sie weiß genau, wie Wagner denkt, wie er strukturiert, Phrasen aufbaut, Höhepunkte vorbereitet. Mit Anja Harteros, die das auch alles weiß, kann sie deshalb aus diesem fies hinterhältigen Duett eine grandiose Verschwörungsszene zweier Frauen gegen die Männerwelt machen. Und Thielemann hilft bei diesem Komplott kongenial mit.

An diesem Abend kriegt man den Eindruck, dass diese Szene die kompositorisch beste des ganzen Stücks ist. Nichts sonst ist so filigran ineinander verschlungen, so flexibel, so emotional vielschichtig. Und Rauch/Loy/Sharon lassen die Szene in einem extrem nachtdunklen Naturbild fast verschwinden. Dann ein harter Schnitt in die Kultur zurück, das Umspannwerk hat uns wieder. Seit Lohengrins Ankunft gab es offenbar ernsthafte Versuche, das marode Teil ein wenig aufzumöbeln. Doch das Volk murrt gegen die Neuerungen, und der Hass Ortruds auf Elsa und ihren Liebsten bricht offen aus. Großes Chorfinale: Wie genau kannte doch Wagner die Partituren seiner italienischen Kollegen, wie schamlos hat er sich daran bedient!

Vom verschreckten Angstwesen zur selbstbestimmten Frau

Thielemann ist immer Klangzauberer. Er kann auch antreiben, Genauigkeit einfordern, große Bögen aussingen, Martialisches krachen lassen und Volkstümliches hinschunkeln. Vor allem aber kann er den Klang auffächern, auffälteln, in sein Farbspektrum zerlegen, abdämpfen, wattieren, anschmiergeln. Darin ist er über die Jahre immer besser geworden. Und so kommt dieser "Lohengrin" oft wie eine impressionistische Farborgie daher, die aber nie den tödlich tragischen Gang der Geschichte verschleiert.

Im dritten Akt dann zunehmend Orange. Lohengrin lebt an Elsa seine sadistischen Leidenschaften aus. Und dabei mutiert sie vom verschreckten Angstwesen zu einer in Orange gekleideten selbstbestimmten Frau. Sie ist es, die ihren Gatten abserviert. Am Ende kommt ihr Bruder wieder, den sie angeblich ermordet haben soll, weshalb sie zu Beginn fast auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden wäre. Der Bruder ist der grüne Mann, er ist wie Elsa ein Hoffnungsträger in der Welt der uniformen Graumenschen. Deshalb sinkt hier dann auch nicht Elsa wie bei Wagner am Ende entseelt zu Boden, sondern die frauenfeindlichen und kriegslüsternen Heerscharen. Und im Hintergrund bleibt auch Ortrud stehen. Den beiden Frauen wird die Zukunft gehören.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: