Holocaust:Dem Vergessen entrissen

Für ihr Filmprojekt über das wenig bekannte KZ-Außenlager Ottobrunn sind die Neuntklässler Theo Degen und Luc Tremel vom Jüdischen Nationalfonds ausgezeichnet worden. Im September reisen die beiden Schüler nach Israel

Von Lena Hornstein, Ottobrunn

Die Aufarbeitung des Holocausts ist an allen deutschen Schulen ein fester Bestandteil des Unterrichts. Das Projekt "Was kannst du über die Schoah sagen?" des Jüdischen Nationalfonds ermöglicht es Schülern, sich noch intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen. Luc Tremel und Theo Degen besuchen die neunte Klasse des Gymnasiums Ottobrunn und haben diese Chance genutzt - und viel erreicht.

Die Religionslehrerin von Luc und Theo stellte ihnen das Projekt vor, für das die beiden einen Film produzierten. Das Thema: eine Spurensuche der Schoah im persönlichen Umfeld. Durch einen Zufall erfuhren sie, dass es in Ottobrunn ein Außenlager des KZ Dachau gegeben hatte. "Es hat mich überrascht, dass auch hier etwas passiert ist. Kaum jemand, den ich kannte, wusste etwas davon", erzählt Luc.

Tatsächlich wissen nicht viele, dass in Ottobrunn eines von 160 Außenlagern des KZ Dachau stand. Zum ersten Mal hat Martin Wolf 1995 mit seiner Facharbeit "Im Zwang für das Reich - Vergessen? Verdrängt? Verarbeitet?" diesen Teil der Gemeindegeschichte aufgearbeitet. In der Arbeit ist zu erfahren, dass die Häftlinge in der Außenstelle Ottobrunn von 1944 an die Anlage der Luftfahrtforschungsanstalt München (LFM) bauten. An der Kreuzung von Unterhachinger und Rosenheimer Landstraße steht ein Mahnmal, das daran erinnert. "Viele fahren daran vorbei und wissen gar nicht, warum es dort steht", erklärt Theo.

Mithilfe eines 3-D-Modell lässt sich der frühere Standort zeigen

Religionslehrerin Cäcilia Spinner-Stockinger unterstützte die Schüler bei ihrem Projekt: "Als sie von dem Außenlager erfuhren, haben sie sofort angebissen und wollten dann auch mehr wissen." Aus einer umfassenden Recherche entstand ein Film, von dem die Projektleiterin des Jüdischen Nationalfonds, Kathrin Rittgasser, von Anfang an beeindruckt war. In ihrem Werk hatten Theo und Luc sogar ein Modell mit einem Computerprogramm erstellt: "Wir haben ein 3D-Modell gemacht, weil auf dem Gebiet, wo das Außenlager war, nur noch Wohnblocks stehen", sagt Luc.

Das KZ-Außenlager lag im westlichen Ortsteil der heutigen Gemeinde Ottobrunn. Der Wachturm und die Kommando-Baracke waren dort, wo die Zeisigstraße einen Knick macht. An dieser Stelle prangte damals ein angepflanztes Hakenkreuz aus Blumen, wie Quellen belegen. Zudem war das Lager mit Stacheldraht umzäunt, der nachts unter einer Spannung von 2000 bis 3000 Volt stand, um die Insassen an der Flucht zu hindern. Auf dem Gelände befanden sich Schlafräume, Kantinenbaracken, aber auch Strafbunker, in denen Menschen gefoltert wurden. Bis zu 900 Häftlinge waren dort zeitweise untergebracht, die hauptsächlich Kriminelle und politisch Verfolgte waren.

Einer von ihnen war der Norweger Haakon Sörbeye, der im norwegischen Widerstand geheime Informationen nach England gefunkt hatte. Im Jahr 1941 wurde er von der SS festgenommen. Er überlebte die Zeit in der Gefangenschaft. Jahre später kam er als Zeitzeuge nach Ottobrunn, um seine Erfahrungen vor allem Jugendlichen näherzubringen. Luc und Theo zeigen in ihrem Film einen Ausschnitt von einem seiner Vorträge. Der ehemalige Häftling war zunächst im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof im besetzten französischen Elsass gewesen. Er habe beim Eintreffen in Ottobrunn sofort erkannt, dass das Lager "besser" war. Tatsächlich erhielten die Häftlinge dort verhältnismäßig mehr Essen, damit sie leistungsfähiger arbeiten konnten.

Da ihr Film "Vergessenes - wieder aufgedeckt" die Jury überzeugte, durften Luc und Theo gemeinsam mit weiteren ausgewählten Schülergruppen an einem fünftägigen Workshop in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück teilnehmen. Dort erfuhren sie noch mehr über die Schoah sowie das ehemalige KZ Ravensbrück und erhielten technische Hilfe bei der Umsetzung ihres Filmes. "Als wir dort waren, war es schwer, sich zu bewegen. Man behält immer im Hinterkopf, was da, wo dein Fuß gerade ist, passiert ist", sagen die beiden Schüler in ihrem Film.

Am meisten berührten sie die kleinen Geschichten über die Menschen, die dort gefangen gehalten wurden. "Es gibt immer die großen Synonyme wie beispielsweise Auschwitz. Aber darin stecken ganz viele kleine Geschichten, die leicht in Vergessenheit geraten", sagt Projektleiterin Rittgasser. Genau das sei auch das Ziel des Projekts gewesen. Man wollte die Schüler ermutigen, eine Perspektive im eigenen Umfeld zur Schoah aufzudecken und filmisch zu dokumentieren.

"Mich hat vor allem der Mut der Kinder überrascht und wie offen sie mit so einem emotionalen Thema umgegangen sind", sagt Rittgasser. Dabei seien viele über sich hinausgewachsen. So erging es auch Theo: "Ich hätte mich früher sehr ungern mit so einem Thema beschäftigt. Aber es hat mir gefallen, auf diese Weise damit zu arbeiten."

Eine Idee für den nächsten Film gibt es schon

Im Laufe des Workshops überarbeiteten sie ihren Film erneut, und das mit Erfolg: Die beiden Gymnasiasten aus Ottobrunn wurden für ihr Engagement vom Jüdischen Nationalfonds ausgezeichnet und dürfen nun im September eine Woche nach Israel reisen. "Luc und Theo sind auf eigene Faust losgezogen und haben Dinge aufgedeckt. Sie waren hartnäckig und wollten etwas schaffen, wovon andere später profitieren können. Das hat uns überzeugt", erklärt Rittgasser die Entscheidung der Jury.

Die beiden besten Freunde haben auch viel Zeit in das Projekt investiert. "Bestimmt 100 Stunden", schätzt Luc. Seine Lehrerin widerspricht sofort: "Das waren sicher deutlich mehr." Nach dem Projekt fehle ihnen nun geradezu etwas, erklären sie. Doch ihre nächste Beschäftigung ist schon in Aussicht. "Wir überlegen nun, einen neuen Film nur über Ottobrunn zu machen, weil unsere Schule nächstes Jahr 50. Jubiläum hat", sagt Theo.

Anfang September dürfen die beiden und zwei weitere ausgezeichneten Gruppen dann nach Israel reisen. Dort werden sie in der Gedenkstätte Yad Vashem noch einmal mehr über die Schoah lernen. Sie sollen aber auch einen Einblick in das aktuelle jüdische Leben bekommen. Gemeinsam wird die Gruppe in Israel zudem einen Baum pflanzen - als Sinnbild für die verwurzelte Freundschaft mit Israel.

Der Projektfilm ist online auf der Webseite www.ueberdieschoah.de zu sehen.

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