Literatur:Gut betütet

Literatur: "Tüti" brachte dem Münchner Künstler eine Nominierung für den deutschen Comic-Preis Max und Moritz ein.

"Tüti" brachte dem Münchner Künstler eine Nominierung für den deutschen Comic-Preis Max und Moritz ein.

(Foto: Jaja-Verlag)

Das Comic-Debüt des Illustrators Dominik Wendland haucht Verpackungsmaterial Leben ein

Von Ricarda Hillermann

Tüti ist Freiheitskämpferin. Tüti ist Tyrannin. Tüti ist Liebhaberin, Philosophin, Politikerin. Vor allem aber ist Tüti eine Comicfigur in der Gestalt einer Plastiktüte. Geschaffen hat sie der Münchner Illustrator Dominik Wendland, für seinen ersten Comicband "Tüti" (Jaja Verlag).

Plastik findet allerlei Verwendung, ob in Kosmetikprodukten, in Bekleidung oder eben als Verpackungsmaterial. Dass es mehr kann, als nur Produkt zu sein, zeigt Wendlands Protagonistin, die wie ein Gespenst über die Seiten, von einer Situation in die nächste fliegt. Die Tüte, mit klarem Strich ohne überflüssiges Beiwerk gezeichnet, ist ein charakterloser Charakter. "Sie ist ein Charakter, der nichts von sich selbst mitbringt, sondern von den Situationen und Personen um sich bespielt wird", sagt Wendland. "Durch Interaktionen bekommt er dann Eigenschaften zugeschrieben. Der Charakter geht von Tür zu Tür, so kriegt er von jedem was reingesteckt, das ihn dann formt."

Die Plastiktüte einmal nicht als Öko-Horror, sondern als flexibles Charaktereigenschaften-Gefäß: Insofern eignet sich das Sujet ganz gut als Metapher. Trotzdem bleibt die Frage offen, ob "Tüti" auch als Individuum existiert und agiert. So macht der Comic eine Ambivalenz deutlich, die sich auch als zentrales Element Wendlands eigener Identitätsentwicklung entpuppt. Das war einem Gespräch beim Sommer-Mix im Literaturhaus, wo der Illustrator kürzlich zu Gast war, zu entnehmen.

Als Fünfzehnjähriger stolperte Wendland, geboren 1991 als Sohn einer polnischen Nomadin und eines deutschen Fernmeldetechnikers, über den Blog des amerikanischen Illustrators James Kochalka. Über 14 Jahre hinweg hatte dieser jeden Tag eine Episode aus seinem Leben gezeichnet und online gestellt. Die Idee Kochalkas habe bei ihm sofort verfangen, sagt Wendland: Indem er sich täglich hinsetzte, um das Alltagsgeschehen zeichnerisch in Form von Comicstrips zu dokumentieren, zwang er sich zum Zeichnen. Fortan tat er es seinem Vorbild gleich und begann sein Online-Tagebuch "Pete's Daily". Das zyklische Plotten, Zeichnen, Digitalisieren und Kolorieren für die nächsten sechs Jahre - das war der springende Punkt.

Übung machte den Meister: Zu seinem Kunststudium zog es Wendland nach dem Abitur aus dem Nordschwarzwald an die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Er veröffentlichte Übungstexte für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht, Leitbilder der Arbeitssicherheit für BMW sowie Kinderbücher. Vor einem Jahr zog er nach München, um an seiner Diplomarbeit zu schreiben. Und obwohl er den letzten Beitrag auf "Pete's Daily" im Sommer 2016 hochgeladen hat: Sein gewitztes Comic-Debüt "Tüti" knüpft an seine kurzweiligen Web-Illustrationen an.

"Tüti" brachte Wendland bereits eine Nominierung für den deutschen Comic-Preis Max und Moritz ein. Im November wird er außerdem einen Bayerischen Kunstförderpreis erhalten, wohlgemerkt in der Sparte Literatur. Ausgerechnet Literatur? Wendland findet das nicht erstaunlich. Denn nicht anders als Literatur, Film oder Musik sei auch der Comic ein Medium: "In seiner Rolle als Medium will der Comic zwischen der Person, die ihn schreibt, und dem Rezipienten kommunizieren." Vermag eine Illustration mitsamt Text gar mehr zu bewegen als ein rein literarisches Stück? Das Auge isst im übertragenen Sinne mit, wieso sollte es nicht auch mitlesen.

Apropos Verköstigung: Wendlands Lieblingscocktail heißt "Dark und Stormy". Nach eigener Definition schmecke der etwa so: "süß, sauer, herb und scharf." Er gefalle ihm deswegen, weil der Cocktail als Drink schwierig einzuordnen sei. Schwierig einzuordnen ist auch sein Comic "Tüti", der keiner Situationskomik entbehrt. Letztlich geht es darin um die Fragen: Wer bin ich? Was treibt mich? Was macht mich aus?

Diese Gedanken trieben Wendland nicht nur während seines sechsjährigen Studiums um. Er visualisiert sie auch in seinem nächsten, noch unveröffentlichten Projekt mit dem Arbeitstitel "Egon 2". Es entstand aus der Ausarbeitung seiner Diplomarbeit der Fachklasse für Illustration in Leipzig. Die Möglichkeit, seine Diplomarbeit zu einem Comicbuch zu vervollständigen, gab Wendland ein einwöchiges Arbeitsstipendium des Literaturhauses München im schweizerischen St. Moritz, zusammen mit fünf weiteren bayerischen Comickünstlern. Die persönliche Parallele zu Egon 2? Das Comicbuch handelt von dem Erfinder Egon 1, der versucht herauszufinden, wer er ist. Woraufhin er sich Egon 2 erschafft, den er damit beauftragt, eben das für ihn herauszufinden. Die Geschichte spielt in drei Ebenen: in einem Labor, in einer zerstörten Welt und im Virtuellen.

"Digital ist besser", singt die Band Tocotronic, eine von Wendlands Lieblingsbands. Ist digital besser? "Digital ist da", antwortet er, denn als Illustrator müsse er, das sei unausweichlich, sowohl digital als auch analog arbeiten. Eben endlos hin- und hergerissen.

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