Nahostkonflikt:"Diese Drachen sind keine Spielzeuge, das sind Waffen"

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Palästinenser lenken seit Monaten regelmäßig Drachen mit brennenden Stofffetzen und nach Angaben der israelischen Armee auch mit Sprengsätzen nach Israel, wie hier am Gazastreifen. (Foto: Khalil Hamra/AP)
  • Trotz Waffenruhe schickt die Hamas weiterhin Feuerbomben nach Israel, sie hängen an Winddrachen.
  • Inzwischen wurden mehrere temporäre Feuerwehrstationen an der Grenze eingerichtet, um den immer häufiger auftretenden Bränden schneller Herr zu werden.
  • Die israelische Armee findet dagegen keine Mittel.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Nahal Oz

Danny Ben David braust mit seinem Jeep über die staubigen Straßen im Forst Beeri, ständig läutet sein Handy: Er koordiniert die Einsätze zur Bekämpfung der ausgebrochenen Feuer in dieser Region. Am Horizont sind in diesem Naturreservat einzelne Rauchsäulen zu sehen, Ben David zeigt in verschiedene Richtungen: "Hier, da und dort: acht Brandherde!" Nicht die Hitze hat die Brände ausgelöst, sondern sogenannte "Feuerdrachen" oder mit Brandsätzen ausgestattete Ballons und Kondome, die vom Gazastreifen über die Grenze in Richtung Israel losgeschickt wurden. "Diese Drachen sind keine Spielzeuge, das sind Waffen."

Tausende Quadratmeter Wald sind bereits verbrannt. Fast auf jeder Wiese und jedem Acker ist zumindest ein großer dunkler Fleck zu sehen, aber auch Weizenfelder sind zur Gänze ein Raub der Flammen geworden. Am Mittwoch waren es 19 Brände, am Donnerstag 13 und am Freitag 26, zählt Yoram Levy auf, der Sprecher der Feuerwehren. Am 30. März begannen die Proteste an der Grenze zum Gazastreifen, am Freitag beteiligten sich rund 8000 Palästinenser. Bisher wurden 156 Menschen von israelischen Einsatzkräften erschossen. Wie die radikalislamistische Hamas selbst zugab, waren ein beträchtlicher Teil davon ihre Anhänger. Auch am Freitag gab es laut palästinensischen Angaben einen Toten und mindestens 220 Verletzte.

Anfang April starteten Jugendlich damit, erste Flugobjekte mit brennbaren Substanzen loszuschicken, die der Wind auf die andere Seite der Grenze und weiter ins Landesinnere treibt. Was als spielerischer Protest im Gazastreifen begonnen hat, wurde zu einer ernsten Bedrohung. Gegen das eigentlich simple Mittel, mit Hilfe des Windes brennbare Substanzen über den Grenzzaun zu befördern, hat die hochgerüstete israelische Armee kein probates Mittel gefunden. Seit April mussten 1300 Brände gelöscht werden. Betroffen ist eine Gesamtfläche von 3000 Fußballfeldern.

Eigentlich stehen in dieser Region nur zwanzig Feuerwehrleute zur Verfügung. Aber täglich sind rund hundert Menschen im Einsatz, sagt Levy und verweist auf die vielen freiwilligen Kräfte aus den umliegenden Orten, die sich seit Monaten bei der Brandbekämpfung engagieren. In den vergangenen Wochen ist man auch dazu übergegangen, mehrere temporäre Feuerwehrstationen entlang der rund 50 Kilometer langen Grenze einzurichten, um schneller vor Ort reagieren zu können.

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Seit Kurzem helfen inzwischen zehn Feuerwehrmänner aus den USA ihren Kollegen in Israel. Sie haben sich nach einem Aufruf der Organisation "Emergency Volunteers Project" gemeldet, die seit 2009 Freiwillige in den USA für Notfalleinsätze in Israel sucht. US-Botschafter David Friedman hat sie am Mittwoch in ihrem Feuerwehr-Hauptquartier in der Stadt Sderot besucht. Dass Amerikaner den israelischen Kollegen zur Seite stehen, hat sich herumgesprochen. Immer wieder kommen Israelis vorbei und bringen Süßigkeiten und Dankeskarten.

"Wir sind als Feuerwehrleute wie Brüder und Schwestern und helfen uns gegenseitig", begründet der Amerikaner Jeffrey Ellenbogen, warum er sich zu dem Einsatz bereit erklärt hat. Darien Munoz ist aus Florida angereist und erklärt, dass es Unterschiede zu den USA gebe, etwa durch die enge Zusammenarbeit mit dem Militär bei der Brandbekämpfung. Ben David, der um die Waldbestände bangt, meint, es würde helfen, wenn Flugzeuge aus der Luft zur Eindämmung der Feuer eingesetzt werden dürften. Aber wegen der Nähe zur Grenze sei dies nicht erlaubt - zumindest nicht regelmäßig. In zumindest zwei Fällen gab die israelische Armee grünes Licht.

Eigentlich herrscht ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas

Im Kibbuz Nahal Oz, der nur 800 Meter von der Grenze zum Gazastreifen entfernt liegt, zeigt Yael Lachyani auf die mit Brandflecken übersäten Felder. Mehr als 80 Hektar Land sind durch Flammen beschädigt. Für den Ort, in dem ein Großteil der rund 400 Bewohner von der Landwirtschaft lebt, ist das ein Schlag, es fehlt nun an Futter für Rinder und Hühner. Versuche, Bananen und Avocados anzupflanzen, erlitten einen Rückschlag. "Wir versuchen, weiter optimistisch zu sein", sagt die für die Landwirtschaft zuständige Kibbuz-Sprecherin. "Unsere Antwort ist: Wir machen erst recht weiter." Ihrer Ansicht nach reagiert Israel auf "Terrordrachen", wie sie in Israel genannt werden, nicht so entschieden wie auf Raketen und Mörsergranaten, bei denen als Antwort unmittelbar Luftschläge erfolgen. Die Branddrachen bleiben oft ohne Reaktion - was die Hamas vielleicht ermutigt, weiterzumachen. Am Freitag feuerte ein Panzer auf eine Hamas-Position. Bereits am Donnerstag verfügte Verteidigungsminister Avigdor Lieberman als Strafmaßnahme, dass kein Treibstoff und Gas mehr in den Gazastreifen eingeführt werden darf.

Seit dem 26. Juli gab es keine Angriffe mehr mit Geschossen aus Gaza, in den Tagen zuvor wurden noch mehr als 200 in Richtung Israel abgefeuert, die Bewohner in den Orten nahe des Gazastreifens mussten Dutzende Stunden in Bunkern verbringen. Die Brandbomben fliegen jedoch trotz des von der Hamas verkündeten Waffenstillstandes weiter.

Die derzeit von Ägypten und den UN geführten Verhandlungen zwischen Hamas, palästinensischer Autonomiebehörde und Israel über eine dauerhafte Vereinbarung sollen auch erreichen, dass keine "Feuerdrachen" mehr fliegen. "Wir hoffen, dass es auch dafür eine Lösung gibt. Denn nach vielen Monaten sind wir einfach erschöpft. Die Feuer sind auch eine Art psychischer Terror", meint Ben David.

© SZ vom 04.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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