Neues Format bei der EM:Die Leichtathletik bricht in die Moderne auf

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In Berlin wird alles für eine modernere Leichtathletik-EM hergerichtet. (Foto: dpa)

Kugelstoßen in der Stadt, ein kompaktes Programm im Stadion: Die Leichtathletik-EM in Berlin könnte für jene Wandlung stehen, die der Sport lange verschlief.

Kommentar von Joachim Mölter

Der Duden definiert den Begriff Tag X als "noch unbestimmten Tag, an dem etwas Entscheidendes geschehen wird oder durchgeführt werden soll"; der Volksmund spricht schlicht vom "Tag der Entscheidung". Insofern waren die Organisatoren der Leichtathletik-EM in Berlin gut beraten, den kommenden Montag nicht als Tag X zu deklarieren. Denn da fallen ja keine Entscheidungen, vor allem deshalb nicht, weil die Titelkämpfe erst am Dienstag beginnen, offiziell zumindest.

In Berlin nennen sie den kommenden Montag deshalb Tag Q . Und vielleicht, wenn alles gut läuft, stellt man irgendwann fest, dass an diesem Tag doch Entscheidendes geschehen ist: ein Impuls zur Renaissance der Leichtathletik.

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Sie ist Kernsport der Olympischen Spiele wie der aktuell laufenden European Championships, der europäischen Meisterschaften, zu denen sich sieben olympische Sportarten zusammengetan haben. Selbst die Leichtathleten sind ja in einem mehr oder weniger schleichenden Niedergang begriffen, was das Interesse an ihrem Schaffen angeht, in Deutschland, in Europa, weltweit. Den Kontext der geballten kontinentalen Titelkämpfe samt ebenso geballter Fernsehübertragungen wollen sie nutzen, sich einem neuen Publikum näherzubringen.

Das ist durchaus im Wortsinn zu verstehen: Wenn die Menschen nicht mehr zu den Leichtathleten in die Stadien gehen, dann kommen diese eben zu den Menschen in die Stadt. Das Konzept ist nicht völlig neu, jedoch für internationale Meisterschaften fast schon revolutionär.

Am kommenden Montag wird es erstmals bei einer Leichtathletik-EM einen vorgelagerten Qualifikationstag geben, den Tag Q eben. Wer mag, kann sich im Olympiastadion Vorrunden in einigen Disziplinen anschauen, quasi als Appetithäppchen; der Eintritt kostet nichts. Viel wichtiger: Es wird auch eine Qualifikation in der Berliner City geben. Auf dem Breitscheidplatz, bei der Gedächtniskirche, steigen die Kugelstoßer in den Ring. Bei deutschen Meisterschaften hat sich deren Auslagerung als durchaus stimmungsvoll erwiesen, zuletzt in Nürnberg.

Schneller, kürzer, knackiger

In Berlin kommt eine weitere Premiere dazu: In der eigens aufgebauten Klein-Arena am Kurfürstendamm, wo täglich ein Touristenstrom und somit potenzielle Laufkundschaft vorbeifließt, werden in den folgenden Tagen auch Sieger und Medaillengewinner geehrt. Dass diese erstmals außerhalb des Stadions eine Bühne bekommen, ermöglicht es, innerhalb der Arena das Programm zu straffen - schneller, kürzer, knackiger. Es wird zudem mehr Informationen auf mehr Videowänden und mehr LED-Banden geben als je zuvor - ein Zugeständnis an die Fernsehgewohnheiten einer jüngeren Generation, an deren kürzere Aufmerksamkeitsspanne.

Das Konzept der EM-Macher wirkt schlüssig, es wird zudem flankiert von einer Kampagne des deutschen Verbandes namens "True Athletes", wahre Athleten. Dabei geht es nicht nur um Spitzensportler, sondern auch um den Senior, die Freizeitläuferin, das Kind, das einfach gern rennt, springt und wirft, kurz: um die ganze, große Vielfalt dieses Sports.

Man kann den Organisatoren der Leichtathletik-EM wenig vorwerfen: Sie haben zumindest nachgedacht, wie sie die traditionsreiche Sportart zeitgemäßer präsentieren; man hat das Gefühl, dass sie den überfälligen Aufbruch in die Moderne angehen wollen, den die Leichtathletik lange verschleppt hat. Nur ist das alles keine Garantie, dass das Konzept dann tatsächlich auch aufgeht, dass es vom Publikum angenommen wird, dass es die Aktiven goutieren. Es kann auch sein, dass der Tag Q als Tag des großen Quatschs in die Historie eingeht. Aber zumindest haben sie mal was Neues versucht. Das ist ja auch schon was.

© SZ vom 04.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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