Künstliche Intelligenz:Was Maschinen können - und was nicht

The Wider Image: Smart bots: China's sex doll makers jump on AI drive

Auch Hersteller von Sex-Robotern wie hier in China versuchen, künstliche Intelligenz in ihren Produkten einzusetzen.

(Foto: REUTERS)

Bei künstlicher Intelligenz hält die Autorin Manuela Lenzen wenig von Ängsten und übertriebenen Erwartungen. Ihr Buch sollte man schnell lesen - weil es bald überholt sein wird.

Von Eva Weber-Guskar

Nur wenige der einschlägig Forschenden wollen sich darauf festlegen, dass es nie dazu kommen wird, was manche Filme jetzt schon ausmalen: künstliche Intelligenzen, die sich verselbständigen. Das ist eine der Erkenntnisse, die die Wissenschaftsjournalistin Manuela Lenzen während ihrer Recherche zusammengetragen hat.

Das sprechende Computerprogramm Samantha, das wir aus dem Film "Her" kennen, wäre dabei die harmlose Variante. Der Schmerz, den der verliebte Theodore erleben muss, als er bemerkt, dass Samantha nicht nur mit ihm, sondern zu gleicher Zeit auch mit Hunderten anderen kommuniziert, ist erträglich, verglichen mit den körperlichen Schmerzen, die die Androidin Ava in dem Film "Ex Machina" den Menschen um sich herum zufügt, um sich von diesen zu befreien.

Doch Lenzen hält genau von solchen Szenarien Abstand. In ihrem Buch "Künstliche Intelligenz. Was sie kann und was uns erwartet" ruft sie vor allem zu einem auf: "Kommt mal wieder auf den Teppich!" Künstliche Intelligenz sei weder in Form von Robotern noch in Form eines global vernetzten Computersystems eine bald drohende Gefahr. Genauso wenig aber sei sie das Allheilmittel für Menschheitsprobleme, das Optimisten in ihr sehen. Sie werde weder selbständig die Superformel finden, die die globale Klimaproblematik löst, noch uns zu ihren eigenen Zwecken zu Sklaven machen. Sie werde uns weder allen ein Leben ohne jede lästige Arbeit ermöglichen noch uns alle Arbeit wegnehmen. Es hänge allein von uns ab, wo genau zwischen diesen Extremen unsere tatsächliche Zukunft liegen wird.

Es ist gar nicht klar, was "Intelligenz" bedeutet

Das klingt nach einer trivialen Position des gesunden Menschenverstandes. Doch genau diese ist im gegenwärtigen Hype durchaus nötig und willkommen, vor allem dann, wenn sie mit so gut geordneten Gründen, vor einem soliden, technisch und historisch informierten Hintergrund entwickelt wird wie hier.

Von jeder Art allgemeiner künstlicher Intelligenz sind wir noch weit entfernt, hält Lenzen fest. Bisher gibt es erst jede Menge spezielle künstliche Intelligenz: Schachspieler, "Jeopardy"-Antworter, Home-Assistenten, Diagnostiker in der Medizin und Ähnliches. Und was meint man mit "künstlicher Intelligenz" überhaupt genau? Lenzen bietet in dieser Einführung keine vollständige Definition, sondern sensibilisiert klugerweise vor allem für die Schwierigkeiten einer solchen Definition - die schon dabei beginnen, dass nicht klar ist, was "Intelligenz" bedeutet.

Zeigt sie sich darin, ein Gespräch führen zu können, wie es zum Turing-Test gehört, auch wenn die Maschine nicht versteht, was sie sagt, wie insbesondere der Philosoph John Searle kritisierte? Oder zeigt sie sich im Berechnen von Fahrtrouten oder Ähnlichem - obwohl man einen Taschenrechner, der im Grunde das Gleiche tut, nicht als intelligent bezeichnen möchte? Offenbar müssen mehrere Fähigkeiten zusammenkommen, gewöhnliche Computerprogramme arbeiten nur Routinen ab. Künstliche intelligente Systeme hingegen orientieren sich in der Umwelt, passen ihr Verhalten an und können aus Fehlern lernen.

Das Buch sollte bald gelesen werden, damit die technischen Teile nicht schon wieder überholt sind

"Deep Learning" ist das Stichwort für die jüngste Blüte der KI-Forschung, die es das erste Mal schon in den Fünfzigern gegeben hatte. Der Wechsel vom symbolischen zum subsymbolischen Lernen, das nur mit leistungsstarken Prozessoren und großen Datenmengen möglich ist, gab neuen Aufschwung. Lenzen erklärt knapp und klar, was neuronale Netzwerke sind; den Unterschied zwischen Programmieren und Trainieren; was Gehirne von Computern unterscheidet und wie genau Algorithmen funktionieren. Dabei macht sie anschaulich, inwiefern es bei der Forschung zu künstlicher Intelligenz nicht nur darum geht, neue, überraschende, leistungsfähige Maschinen zu bauen, sondern zugleich darum, den Menschen selbst und das, was ihn angeblich von Tieren unterscheidet, besser zu verstehen: seine Rationalität, seine Autonomie, seine Kreativität - und selbst seine Emotionen.

Das, was wir unter Emotionen verstehen, kann in funktionaler Hinsicht perfekt imitiert werden. Eine theoretische Frage dabei bleibt, welche Rolle die Erlebnisqualität und Erfahrung im emphatischen Sinn für intelligente Wesen spielen.

Menschen vertrauen Robotern ein bisschen zu sehr

Was praktische Fragen betrifft, so führt Lenzen Probleme an, die sich schon heute stellen, vor jeder Existenz einer allgemeinen Superintelligenz. Hier spricht sie von der Wissenschaft, dem Internet der Dinge, der Umwälzung der Arbeitswelt, dem Militär und schließlich von "Pseudogefährten", also den immer beliebteren Home-Assistenten oder für therapeutische Zwecke erfundenen Therapie-Robbe Paro.

In allen Fällen beschreibt sie gegenwärtige Anwendungen und ihre Vor- und Nachteile, ergänzt sie um Hintergrundinformationen wie Forschungsergebnisse und formuliert dann besonnene, konstruktiv-kritische Fragen. Etwa, wenn sie von Studien zum "overtrust" berichtet, wonach Menschen einem Roboter überraschend stark vertrauen, sodass sie selbst in einem Notfall seiner Wegweisung folgen, selbst wenn er sich vorher Fehler geleistet hat. Wie können solche psychologischen Phänomene bei der Gestaltung von Robotern berücksichtigt werden?

Es ist dies kein Buch der starken Thesen, keines von Selbstversuchen oder spektakulären Reportagen. Vielmehr bietet es einen sachlichen Überblick und ist damit, auch dank des detaillierten Index und der Literaturliste zum Weiterlesen, ein gelungenes Einstiegswerk.

Am Schluss wagt Lenzen dennoch eine kleine Utopie. Sie spekuliert, dass die Technik den Menschen zugunsten seiner Persönlichkeitsentwicklung entlasten wird, und fragt sich, ob die Menschheit, wenn solche Persönlichkeiten sich dann intelligenter Maschinen als Hilfe bedienten, "nicht tatsächlich eine neue Stufe der Zivilisation erreichen" könnte.

Das Buch sollte allerdings bald gelesen werden. Sehr bald, damit die technischen Teile nicht schon wieder überholt sind, und damit möglichst viele mit darauf hinwirken, unsere Zukunft mit der künstlichen Intelligenz klug zu gestalten.

Manuela Lenzen: Künstliche Intelligenz. Was sie kann und was uns erwartet. Verlag C.H. Beck, München 2018. 272 Seiten. 16,96 Euro.

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