Nachbarschaftshilfe im Kulturbetrieb:Landler unterm Zwetschgenbaum

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Zu "NouWell Cousines" kommen etwa 100 Besucher in die nur 50 Quadratmeter große Kulturwerkstatt "Paul und Paula" in die Dachauer Altstadt. Kurzerhand wird das Konzert in Nachbars Garten verlegt

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Mit einem echten Coup, dem White Paper Festival, haben die fünf Frauen Lina und Alice Homann, Lena Heilein, Annika Wenzel und Ines Bugner vom Verein "Wir sind Paul" 2017 die Dachauer Kulturszene gehörig aufgemischt - und sind heuer für ihr Engagement mit dem Tassilo-Preis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet worden. Ganz nach Pippi Langstrumpfs Motto "Das habe ich vorher noch nie versucht. Also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe", betreiben sie nun auf rund 50 Quadratmetern ihre Kulturwerkstatt "Paul und Paula" in der Dachauer Jocherstraße. Sie haben es geschafft, am Freitagabend gefühlt mehr als 100 begeisterte Menschen bei einem hochsommerlichen Konzertschmankerl zusammenzubringen - nicht in stickigen Räumen, sondern in Nachbars Garten unter Zwetschgen- und Birnbäumen, umrahmt von hitzemüden Rosen, prallen Tomatenstauden und bordeauxrot glühenden Holunderbeeren.

Wie auf einer Gartenparty: Die Well-Cousinen Maria und Maresa, Cousin Matthias und ihr Berliner Kompagnon Alexander Maschke haben sichtlich Spaß bei ihrem Auftritt im Grünen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ein ideales Ambiente für die NouWell Cousines. Diese haben nichts mit der Nouvelle Cuisine französischer Provenienz am Hut. Zumindest lassen die Geschwister Maria und Matthias Well, ihre Cousine Maresa Well sowie ihr Kompagnon Alex Maschke darüber trotz der allgegenwärtigen kulinarischen Verlockungen im Gartenidyll nichts verlauten. Ihr Metier ist die Musik. Denn die drei Wells gehören der weit verzweigten Well-Sippschaft aus Oberschweinbach-Günzlhofen mit ihren legendären Formationen an. Das weckt Erwartungen, und die werden erfüllt. Ganz à la nouvelle cuisine serviert das Quartett ein wunderbares Überraschungsmenü mit regionalen Zutaten, in diesem Fall Landler, Zwiefachen und Gstanzl in schönstem Bairisch. Schließlich sind Maria, Marese und Matthias Well bereits vom Bund Bairische Sprache zusammen mit ihren Vätern, respektive Onkeln Michael, Stofferl und Karli Well mit der "Bairischen Sprachwurzel" ausgezeichnet worden. Das motiviert den Berliner Alex Maschke zu diversen Ausflügen ins bairische Sprachuniversum - liebevoll-spöttisch gecoacht von Marese Well. Doch bis NouWell Cousines mit ihren Instrumenten in den Garten schlendern, gilt es erst einmal, ein paar wichtige Fragen zu klären; beispielsweise die, ob es Mundraub ist, sich an den so verführerisch lockenden Zwetschgen zu bedienen. Die einfache Lösung des Problems: Der Gartenbesitzer rüttelt kräftig am Baum - und alles, was runterfällt, darf gegessen werden. Wie überhaupt die nachbarschaftlichen Beziehungen gut zu funktionieren scheinen.

Das Publikum genießt das Ambiente im idyllischen Garten mit Obstbäumen und Luftballons. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Stühle und Bänke wandern auf dem Grundstück hin und her, damit alle Besucher Platz finden. Die begehrten Schattenplätze werden willig den Babys in ihren Kinderwagen überlassen, Paul-und-Paula-Muffins sind mindestens so begehrt wie Bier und Wein, blaue Luftballons bewegen sich träge in einem Hauch von Wind. Und dann gibt es endlich Musik. Und was für welche. Das Publikum wird gnadenlos zum Mitklatschen - "aber bitte im Takt!" - aufgefordert. Ein böhmischer Wind ("Des is a Schnaps") aus der Steiermark stürmt durch den Garten. Es gibt Klapphornverse von Karl Valentin, Marese und Maria Well legen Geige und Cello beiseite und mutieren zu zwerchfellerschütternden "Beauty-Queens aus Oberschweinbach-West". Bertolt Brechts "Gegen Verführung" setzt den nachdenklichen Kontrapunkt, bevor das verblüffte Publikum grausame Details aus dem Leben des Musikstudenten Matthias Well und dessen Kampf mit Frau Li in seiner Masterprüfung erfahren muss. Der Geiger wird eins mit seinem Instrument bei Jules Massenets Thaïs-Meditation und beamt die mucksmäuschenstillen Zuhörer in ferne, friedliche Galaxien. Das Erwachen folgt spätestens, als die fabelhaften vier - alle Studenten der Münchner Musikhochschule - in atemberaubendem Tempo einen wilden Tanz des fast vergessenen jüdischen Komponisten Erwin Schulhoff spielen. Geigen, Bratsche und Cello sirren und flirren, schlagen Schneisen in die Dunkelheit. Romantische Seelen glühen im Kerzenschein beim unkaputtbaren irischen "Danny Boy". Den hätte bei Tinder - man erfährt beim Zuhören staunend, wie diese Dating App funktioniert - garantiert niemand "weggewischt". Mit Landler, Jodler, "Es wollt ein Bauer früh aufstehen" und diversen Gstanzl leben die NouWell Cousines ihren Spaß am mitreißenden Musikantentum aus. Die Cousinen Maria und Marese zeigen zum guten Schluss, dass Schuhplatteln absolut keine Männerdomäne mehr ist - und dass Paul und Paula für ihr Sommerkonzert mit diesem witzigen, spritzigen musikalischen Menü keine bessere Wahl hätten treffen können.

© SZ vom 07.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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