Kugelstoßen:Systemneustart eines Wunders

David Storl hat Technik und Training umgestellt - und mit seinem dritten Platz an alte Leistungen angeknüpft.

Von Joachim Mölter, Berlin

David Storl hat das Pech, einst ein Wunderkind gewesen zu sein, jüngster Weltmeister im Kugelstoßen mit damals 21 Jahren, anno 2011. Das Schicksal vieler Wunderkinder ist es aber, dass sie irgendwann eingeholt und überholt werden - von Gleichaltrigen, von neuen Wunderkindern; dass sie nicht mehr ganz so erfolgreich und gefeiert sind, wie sie es gewohnt waren. Damit müssen sie zurechtkommen. David Storl, mittlerweile 28, ist das ganz gut gelungen bei den Europameisterschaften in Berlin. Da wurde der Athlet vom SC DHfK Leipzig, zuvor dreimal in Serie bei der EM siegreich, Dritter hinter den Polen Michal Haratyk, 26, und Konrad Buckowiecki, 21. "Eine Medaille an sich ist eine gute Sache", fand Storl, "bei der starken Konkurrenz muss man damit zufrieden sein."

Der 1,98-Meter-Mann hatte im ersten Durchgang 21,41 Meter vorgelegt, seine beste Weite am Dienstagabend. Vor 34 000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion konterten Haratyk und Buckowiecki aber umgehend mit 21,72 und 21,66. "Das Niveau hätte ich auch gehabt", sagte Storl, dessen Saisonbestleistung bei 21,62 Metern steht. Aber er war ins Risiko gegangen bei den folgenden Versuchen, vier davon waren ungültig. "Der Lucky Punch hat heute gefehlt", resümierte er. Seinem Nachfolger bescheinigte der entthronte Titelträger "eine Leistung, mit der man verdient Europameister wird. Damit konnte man lange Zeit auch Weltmeister werden." Storl weiß das aus eigener Erfahrung, seine WM-Titel holte er 2011 mit 21,78 und 2013 mit 21,73 Metern; 2015 bekam er für 21,74 immer noch Silber.

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Feierabend! David Storl beschließt mit 21,41 Metern, der drittbesten Weite der Kugelstoßer, den Tag.

(Foto: Laci Perenyi/imago)

Auch, wenn das auf den ersten Blick jetzt nicht so aussieht, versicherte er am Dienstag: "Die Tendenz geht wieder nach oben. Man merkt, dass das System wieder ins Laufen kommt." Storls System war abgestürzt in den vergangenen zwei Jahren, auf die Plätze sieben bei Olympia 2016 und zehn bei der WM 2017. Die Knie machten ihm zu schaffen, das führte zur Umstellung der Technik, die Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Trainer Sven Lang, 56, geriet in einen Trott. Im vorigen Jahr kam der Kugelstoßer zu dem Schluss, dass er neue Impulse brauche - er engagierte den Leipziger Sportwissenschaftler Wilko Schaa, 35, als Coach. "Für einen Athleten in meinem Alter ist das ein Riesenschritt, das Trainingssystem komplett umzukrempeln", findet Storl.

Sein neuer Systemadministrator Schaa behob erst einmal muskuläre Dysbalancen, Storls leichte X-Bein-Stellung, die sich auf die Gelenke ausgewirkt und die Entzündungen im Knie angefacht hatte. Als diese Probleme beseitigt waren, konnte er zu seiner ursprünglichen Technik zurückkehren: am Ende des Angleitens im Ring umspringen statt nur abzustützen. "Der Stützstoß ist eine unvollständige Bewegung", findet er, "und bei weitem nicht so dynamisch." Nun beschleunigt er die Kugel wie in seinen besten Jahren, aber er muss sich auch wieder daran gewöhnen, "dass das Zeitfenster, wo man den Druck auf die Kugel entwickeln kann, kleiner ist als beim Stütz". In dieses Zeitfenster stieß er am Dienstag nicht exakt hinein.

European Championships - Leichtathletik

Zu viel riskiert: Vier ungültige Versuche produzierte David Storl beim Versuch, seine Weite aus dem ersten Wurf zu übertreffen.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die weit radikalere Änderung des Storlschen Systems betraf indes den Saisonaufbau. "Es gibt den klassischen Leistungsaufbau wie früher", erklärt der Polizeibeamte, "und es gibt das Blocktraining, das wir jetzt machen", abgeschaut von den starken Amerikanern. Die reihen Kraftblock, Spezialkraftblock, Ausprägungsblock in kurzen Abständen aneinander. "Das zieht man übers ganze Jahr immer wieder durch", sagt Storl, "es gilt nicht mehr, nur an einem bestimmten Tag zur WM oder EM fit zu sein", wie beim klassischen Herangehen. "Er ist inzwischen auf einem völlig anderen Niveau", findet Wilko Schaa, auf einem wesentlichen konstanteren.

Von diesem ausgehend, will David Storl wieder in die Weltspitze vorstoßen; "die war ja schon ein wenig weggerückt", gibt er zu und verweist auch auf die Entwicklung in Europa: "Es ist nicht mehr so, dass man mit 21,40 Meter ganz entspannt Europameister wird wie das 2014 noch war." Im Finale von Berlin übertrafen sechs Männer die 21-Meter-Marke, "das kann man schon mit einem WM-Finale vergleichen", findet Storl. Nachdem er nun glaubt, wieder Anschluss an die internationale Elite gefunden zu haben, hat er ein weiteres Ziel formuliert: "Wir wollen in diesem Jahr noch 22 Meter stoßen." Damit würde er sich wieder seiner Bestmarke nähern, die seit drei Jahren bei 22,20 Metern steht.

Alle Kugelstoß-Europameister seit 1978

1978 Udo Beyer (Eisenhüttenstadt) 21,08 Meter

1982 Udo Beyer (Eisenhüttenstadt) 21,50 Meter

1986 Werner Günthör (Schweiz) 22,22 Meter

1990 Ulf Timmermann (Ost-Berlin) 21,32 Meter

1994 Aleks Klimenko (Ukraine) 20,78 Meter

1998 Aleks Bagach (Ukraine) 21,17 Meter

2002 Jurij Bilonoh (Ukraine) 21,37 Meter

2006 Ralf Bartels (Stavenhagen) 21,13 Meter

2010 Tomasz Majewski (Weißrussl.) 21,00 Meter

2012 David Storl (Leipzig) 21,58 Meter

2014 David Storl (Leipzig) 21,41 Meter

2016 David Storl (Leipzig) 21,31 Meter

2018 Michal Haratyk (Polen) 21,72 Meter

Die Planung von Schaa und Storl ist erst einmal bis zu den Olympischen Sommerspielen 2020 in Tokio ausgerichtet, "dafür haben wir Pfeile im Köcher gelassen, die man noch ziehen kann", sagte Storl in Berlin. Und in Tokio soll noch nicht Schluss sein, findet das Wunderkind von einst: "Ich möchte nicht mit Anfang 30 meine Karriere beenden."

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