Wirtschaftsweiser:"Funktionierendes Zahlungssystem"

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Der Wirtschaftsweise Volker Wieland erklärt, warum die Target-Salden nicht das eigentliche Problem sind.

Interview von Jan Willmroth

SZ: Herr Wieland, für ein so technisches Thema wird die Debatte um die Target-Salden sehr heftig geführt. Wo ist der gemeinsame Nenner der Streitenden?

Volker Wieland: Technisch sind die Target-Salden gegenseitige Forderungen und Verbindlichkeiten der Notenbanken. Sie entstehen im Rahmen grenzüberschreitender Überweisungen, die über die Notenbanken abgewickelt werden. Zum Auftrag des Euro-Systems gehört es, ein funktionierendes Zahlungssystem sicherzustellen. Target-2 erfüllt diesen Zweck. Vor der Finanzkrise waren die Zahlungsbewegungen weitgehend ausgeglichen. Als der Interbankenmarkt einbrach und die EZB die Banken mit viel Geld zu niedrigen Zinsen versorgte, stiegen die Salden stark an. Die EZB hatte den Pool an akzeptablen Sicherheiten erweitert und den Banken dagegen unbegrenzt Geld angeboten. Diese Überschussliquidität wurde insbesondere von den Banken der Krisenstaaten nachgefragt. Nach 2015 stiegen Überschussliquidität und Target-Salden im Zuge der EZB-Anleihekäufe noch einmal stark an.

Warum ist die Aufregung so groß?

Kritiker stellen die Target-Salden in den Kontext der Euro-Rettungsprogramme und resultierender Risiken für den Steuerzahler. So stehen die Steuerzahler der Mitgliedstaaten gegeneinander. Nicht zuletzt die Entstehungsgeschichte der AfD und anderer Euro-kritischer Parteien hängt damit zusammen. Die Target-Debatte wird emotional, wenn es um Verluste oder Gewinne von Steuerzahlern geht.

Ist es denn eine zulässige Vereinfachung, zu sagen, Deutschland übernehme im Target-System die Schulden anderer Länder?

Ich würde das nicht so sagen. Ohne die Reaktion der EZB wäre die Finanzkrise noch schlimmer geworden. Die Salden spiegeln wider, dass die Länder unterschiedlich betroffen waren. Sie sind Verrechnungsposten innerhalb des Eurosystems. Für die Bundesbank ergibt sich daraus eine Forderung an das Eurosystem insgesamt. Ein Verlustrisiko besteht für den Fall, dass ein Staat aus der Währungsunion austritt und seine Verbindlichkeiten gegenüber dem Euro-System nicht begleichen kann oder will. Dann wird der Verlust auf das gesamte Eurosystem umgelegt. In diesem Fall wäre Deutschland mit etwas mehr als 30 Prozent beteiligt. Das austretende Land hat dann aber alle Euroländer gegen sich.

Es heißt, man könnte die Target-Salden eindämmen, indem sie regelmäßig ausgleicht. Wie würde das funktionieren?

Kritiker weisen darauf hin, dass in den USA, die Salden zwischen regionalen Notenbanken mit Staatsanleihen ausgeglichen werden. Dann bekäme die Bundesbank beispielsweise italienische Staatsanleihen als Ausgleich für den gesamten Target-Saldo gegenüber Italien. Träte Italien dann aus, säße die Bundesbank auf einem Berg von Anleihen, die ausfallen könnten. Das halte ich für eine schlechtere Lösung.

Trotzdem finden auch Sie die aktuelle Situation problematisch.

Ja. Die Target-Salden könnten zunehmende Kapitalflucht widerspiegeln. Nach 2015 waren es die Anleihekäufe. Die EZB hätte jedoch schon längst das Anleihekaufprogramm beenden und die Geldpolitik normalisieren können. Und um den Interbankenmarkt wiederzubeleben, müssten Banken und Staaten außerdem endlich ausreichend entflochten werden.

© SZ vom 10.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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