André Schürrle:Argumentativ schwach untermauert

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Zurück auf die Insel: André Schürrle wechselte nach Fulham. (Foto: Marc Atkins/Getty Images)

Fast wie bei Özil: Nationalspieler André Schürrle wendet der Bundesliga den Rücken zu - und hinterlässt einen bitteren Abschiedsgruß. Aber ist er der passende Zeuge für eine Neid-Debatte?

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Es ist in Mode gekommen, Fußball-Deutschland und seinem einstigen Premiumprodukt, der Bundesliga, einen bitteren Abschiedsgruß zu schicken. Vornehmlich aus England, also mit einigem Abstand und dem Ärmelkanal dazwischen. Vor gut zwei Wochen flatterte an einem Sonntag um 13 und 15 und 20 Uhr über die sozialen Medien ein weitläufig formulierter Dreiteiler aus London herüber, offizieller Absender: Mesut Özil, Weltmeister von 2014. Seither führt dieses Land in leidenschaftlicher Selbstkasteiung eine Rassismus-Debatte.

Jetzt ist die am Londoner Boulevard gebaute Sun der Überbringer der exklusiven Botschaft. Würden die Reflexe greifen, könnte die Republik eine zweite Debatte folgen lassen, denn: "Jealous", also neidisch, seien viele deutsche Fans auf die Profis, und das erschwere die Arbeit - so habe es André Schürrle kurz nach seinem Wechsel von Borussia Dortmund zum Premier-League-Aufsteiger FC Fulham offenbart. Man könnte es mit der Suche nach Parallelen in den Statements von Özil, 29, und Schürrle, 27, nun dabei bewenden lassen, dass beide im 2014er-Finale von Rio prägend dabei waren. Schürrle als Flankengott und Wegbereiter des Siegtores von Mario Götze gegen Argentinien, Özil als zweifelsfrei virtuoser Ballstreichler. Und dass sie deshalb jetzt wie zwei verlorene Söhne wirken, die einst das weiße Trikot mit schwarz-rot-goldenen Applikationen einte.

André Schürrle
:"Sehr viel Neid von den Fans"

Nach seiner Leihe zum FC Fulham kritisiert André Schürrle in einem Interview die deutschen Fußballfans. Er sagt: "Wenn du nicht für Bayern München spielst und immer gewinnst, ist es schwierig."

Ist Schürrle der passende Zeuge für eine Neid-Debatte?

Was allerdings weithin irritieren muss, ist die Wahl der rhetorischen Waffen: Özil redete in der hinlänglich geschilderten Erdoğan-Foto-Affäre nur ein einziges Mal (oder er lässt durch seine Berater reden) und schwingt wortmächtig die Rassismus-Keule - Schürrle schlägt jetzt laut mit dem Neid-Keulchen hinterher.

Beides hinterlässt Wirkungstreffer. Beides berührt die Geschäftsgrundlage der Bundesliga, zumal Schürrle eine Art Fluchtreflex der Nationalspieler ins Ausland erkannt haben will: "Wenn du nicht bei Bayern München spielst und immer gewinnst, ist es schwierig." Denn jenseits von München würden sich Krakeler und Bruddler, Nöler und Moserer - kurz: die Neid-Gesellschaft - zu Wort melden und den Spaß am Spiel verleiden. Der Ordnung halber sei angemerkt, dass das Verhältnis der Nationalspieler im WM-Kader 2018, für den sich Schürrle nicht qualifizierte, immer noch 15:8 für die in der Bundesliga entlohnten Profis ausfiel.

Aber ist der schnelle Schürrle auch der passende Zeuge für eine Neid-Debatte?

Berufsständische Themen wie dieses wären sicher eine Herausforderung für die Fußball-Akademien der Republik. Diese sind nicht erst durch das Vorrunden-Aus bei der WM in Russland in eine Identitätskrise geraten und überprüfen derzeit ihre Lehrpläne. Vorgeworfen wird den Nachwuchsleistungszentren, in denen auch Schürrle (Mainz) und Özil (Schalke) ihre aufwendige Grundausbildung erhielten, sie seien nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Sie würden nur streng nach Schema lehren und deshalb das Individuelle, das Wilde, das Unvorhersehbare töten.

Das ist ein Praxis-Problem. In der Theorie könnte man sich an den Akademien am Beispiel Schürrle nun der Neid-Frage widmen, und wie es zu ertragen ist, dass beim Fußball gepfiffen wird. Dass dieses Ritual ein Wesenselement der freien Meinungsäußerung ist - wie sie jedem Schauspieler am Theater im Spannungsfeld von Buh! und Bravo! widerfährt.

Zugegeben, die Konfrontation mit den Kiebitzen am Trainingsplatz stellt hautnahe Herausforderungen. Aber einer wie Schürrle hat - trotz wellenartigen Leistungsprofils - nach Etappen bei Chelsea, Wolfsburg, Dortmund mit 27 bereits die Rente durch. Dafür muss man sich nicht alles gefallen lassen. Aber sollte doch begreifen, dass ein Pfiff, eine Beleidigung im rauen Stadion-Alltag argumentativ schwach untermauert sein kann. Wie so ein Rundumschlag mit dem Keulchen.

© SZ vom 10.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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