Straßenbahn als Magnetbahn:Drahtlos durch die Stadt

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Ein kleiner Trick macht Oberleitungen überflüssig und die reguläre Tram zu einer Art Magnetbahn - optimal für historische Innenstädte.

Klaus C. Koch

Drahtlos ist die Technik der Zukunft. Kabelbäume entfallen, Stolperfallen werden entfernt. Die auf Neudeutsch Wireless genannte Technologie soll künftig nicht nur in der Funk- und Datenübertragung, sondern zunehmend auch in der Stromversorgung von Schienensystemen Verwendung finden. Vorteil: Vor allem historische Innenstädte könnten dadurch von Strommasten, Isolatoren und dem bekannten Oberleitungsgewirr befreit werden.

Ungewohnter Anblick: Völlig ohne klassischen Stromabnehmer sind in Bautzen die ersten Straßenbahnen unterwegs - der Strom kommt berührungslos aus dem Gleisbereich. (Foto: Foto: Koch)

Der Straßenbahnhersteller Bombardier macht zurzeit vor, wie das mit Fahrzeugen, die ihre Energie nicht mehr aus der Oberleitung und einem Stromabnehmer auf dem Dach beziehen, funktionieren könnte. Statt mit dem Schleifkontakt am Fahrdraht nehmen sie den Saft induktiv und berührungsfrei über langgestreckte Transformatoren aus dem Gleisbereich auf. Dazu bedarf es keinesfalls zwingend einer Magnetbahntechnik à la Transrapid; es genügt die Anleihe bei einem bekannten Prinzip.

Es beruht darauf, dass ein von elektrischem Strom durchflossener Leiter ein Magnetfeld erzeugt. In Millionen von elektrischen und elektronischen Geräten übertragen Transformatoren über Wicklungen, die keinen direkten Kontakt miteinander haben, aber sich durch ein um einen Eisenkern erzeugtes Magnetfeld gegenseitig beeinflussen, Wechselspannung und damit elektrische Leistung. Je nach Bedarf, dem Verhältnis und der Anzahl der Wicklungen untereinander kann die Spannung wie bei Überland- und Hochspannungsleitungen erhöht oder - etwa zur Umsetzung der haushaltsüblichen 220 Volt auf zwölf oder sechs Volt für Kleingeräte wie Radio oder Rasierapparat - gesenkt werden.

Findige Ingenieure kamen bereits vor einiger Zeit darauf, dass die Übertragung auch dann funktioniert, wenn der Eisenkern durch einen Luftspalt halbiert wird und die Wicklungen nicht mehr direkt auf- und übereinander liegen, sondern räumlich voneinander getrennt sind. Daraus resultiert die berührungslose Energieübertragung. Sie wird bereits seit etlichen Jahren in Industriebetrieben praktiziert, die dadurch den Drahtverhau an Produktionsstraßen und Fließbändern verringern. Transportsysteme und Roboter nehmen ihre Energie aus Stromschleifen auf, die unsichtbar unter dem Boden verlegt sind.

Für die drahtlose Tram wurden auf einem Teil einer 850 Meter langen Versuchsstrecke in Bautzen solche Stromschleifen im Gleis verlegt. Eine unter dem Fahrzeug installierte Aufnahmespule wandelt das dort erzeugte Magnetfeld in elektrischen Strom um, der dann den Motor mit Energie versorgt. Fahrgäste und Passanten haben - beispielsweise in Fußgängerzonen - dem Vernehmen nach keine unbeabsichtigte Stromzufuhr zu befürchten.

Kontrollabschnitte im Pflaster sorgen dafür, dass das Magnetfeld nur dann aktiviert wird, wenn das System erkannt hat, dass das gewünschte Fahrzeug darüber fährt. Nicht genutzte Segmente werden abgeschaltet und bleiben stromlos. "Völlig neue Perspektiven", sieht Carsten Struve, Leiter der Entwicklungsabteilung bei Bombardier Transportation, auch darin, dass die neue Technik mit modernen Energiespeichersystemen aus sogenannten "Supercaps" kombiniert werden kann. Es sind dieselben Superkondensatoren, wie sie von Siemens versuchsweise bereits an verschiedenen Stadtbahn- und Straßenbahnhaltestellen in Köln, Madrid und Dresden installiert wurden.

Diese Superkondensatoren nehmen die in elektrischen Strom umgesetzte Bremsenergie herannahender Züge (deren Motor in diesem Moment als Generator arbeitet) auf, um sie bei kurzfristigen Spannungsspitzen, beispielsweise beim Beschleunigen, wieder an das Fahrzeug abzugeben. Nur, dass sie diesmal an Bord der Straßenbahn selbst untergebracht und die Hauptkomponenten unauffällig auf dem Dach montiert sind. Bombardier hat das System seit 2003 in Mannheim getestet und spricht von bis zu 30 Prozent an Energieeinsparung.

"Bautzen baut die Straßenbahn der Zukunft", meldete die Sächsische Zeitung kürzlich anlässlich der Testfahrten begeistert. Die 42.000-Einwohner-Stadt selbst verfügt über keine Straßenbahn. Hauptsache, die wird hier ihren Draht los.

© SZ vom 23.3.2009/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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