Koloniale Kunst:Geister der Ahnen

Müssen die Exponate des kolonialen Erbes aus den Museen geschafft und zurückgegeben werden - und wenn ja, an wen? Differenzierte Antworten sind notwendig.

Von Kia Vahland

Sie sind bereits hier: die Afrikaner, die Vertreter Ozeaniens und Lateinamerikas. Zu vielen Millionen weilen sie unter den Deutschen, lassen sich mal wohlwollend, mal abschätzig, mal ehrfurchtsvoll betrachten, und vielleicht schauen auch sie staunend auf dieses Land, in dem sich Fremdenangst und Fernweh, Nostalgie und Vergangenheitsbewältigung mischen. Die deutschen Museen sind voll mit Masken aus Papua-Neuguinea, Nagelfiguren aus dem Kongo, indianischen Totempfählen - Kultobjekte, denen die Menschen fehlen, die ihre spirituelle Kraft kennen und erwecken. So fristen die heimatlos gewordenen Geister der alten Zeit in Vitrinen und Museumsschränken ihr Nachleben.

In dem Moment, in dem in Deutschland die heftigste Migrationsdebatte der Nachkriegszeit tobt, rücken auch die Geister aus der Ferne in den Blick, und mit ihnen die vielen Überbleibsel der indigenen, oft untergegangenen Kulturen: Hütten und Kanus, Giftpfeile, Schmuck, Töpfe. Die ethnologischen Museen in Berlin verfügen über rund 500 000 Objekte, und auch die anderen deutschen Weltkulturhäuser sind gut gefüllt. Wem soll das alles gehören - dem deutschen Staat, seinen Bundesländern und Kommunen, weil sie historisch aus dem kolonialen Deutschen Reich hervorgegangen sind? Oder den Herkunftsgesellschaften, und wenn ja, wen meint das: die verbliebenen Dorfchefs, die Regierungen, die heute über diese Territorien gebieten, oder die biologischen Nachkommen der Schnitzer und Schamanen?

Im kommenden Jahr soll das Humboldtforum im neuen Berliner Schloss eröffnet werden. Dann sollen die bisher am Stadtrand versteckten ethnologischen Sammlungen das tolerante, zukunftsorientierte Deutschland repräsentieren - und erzählen dabei unvermeidlich auch von der kolonialen Vergangenheit. Die Debatte, wie das gehen soll, hat längst alle ethnologischen Häuser erfasst, Politikerinnen wie die Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Michelle Müntefering vom Außenministerium müssen sich dazu verhalten, und werden schon im Laufschritt von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron überholt: Der will großzügig Exponate zurückgeben.

Konsequente Restitutionen, das klingt nach einer gerechten, einfachen Lösung. Und doch ist der koloniale Knoten nicht entwirrt, wird er mit einem Hieb zerschlagen; vielmehr bleiben lose Enden übrig. Ja, die Europäer können sich moralisch endlich im Recht fühlen, wenn sie so viel wie möglich in ehemalige Kolonien zurückgeben. Sie entsorgen so ihre Schuldgefühle - leider damit aber auch ihre eigene Geschichte und die daraus resultierende Verantwortung für ein gemeinsames Erbe. Denn es gibt nicht "unsere" Kunst und die "der anderen". Die kulturellen und rituellen Objekte, die seit 120 Jahren in den Museen schlummern und die Dinge, die noch früher Fürsten zusammengerafft haben, prägen das westliche Denken, Fühlen und Sehen. Die Wunderkammern in den Schlössern der frühen Neuzeit heißen auch deshalb so, weil hier das Fremde erst bewundert, dann nachgeahmt werden konnte. Und als in der Weimarer Republik Magazinreporter in die Ferne reisten, brachten sie nicht nur Spott mit zurück, sondern auch weihevolle Fotos von einem Leben, das um eine Transzendenz kreiste, die der industrialisierte Westen vergessen hatte und sich nun angesichts der "Primitiven" zurückwünschte.

Müssen die Exponate des kolonialen Erbes zurückgegeben werden?

Die Indigenen von Australien bis Alaska haben das hiesige Lebensgefühl entscheidend mitgestaltet, nur deshalb konnten die Künstler der Moderne sich auf sie berufen, konnten Sammler sich als "Retter" sterbender Kulturen gerieren. Die heutigen Weißen sind so wenig nur weiß wie Schwarzafrika ohne Europa zu haben ist.

Die Objekte in den Museen erzählen diese doppelte Geschichte. Viele Plastiken galten nie den Ahnen und Geistern, denn sie sind Repliken, die geschäftstüchtige Handwerker vor Ort extra für kaufwütige Weiße herstellten. Anderes wurde brutal geraubt und trägt noch heute Spuren der Gewalt. Besonders die Herrschaftsinsignien von Königen und Häuptlingen fielen den Trophäenjägern zum Opfer, etwa die von britischen Soldaten 1897 entwendeten Schätze des Königs von Benin, die sich heute auch in deutschen Kunsthäusern finden.

Solche Kriegsbeute gehört zurückgegeben, ebenso, was mit Lug und Trug erschwindelt wurde. Für Handelsware gilt das nicht. Wer das nicht unterscheidet, beraubt die Kolonialisierten ein zweites Mal ihrer Würde: Er unterschlägt ihre Fähigkeit zum Tausch und Handel, also ihr Geschick, noch in misslicher Lage ein gemeinsames Interesse zu erzeugen.

Achille Mbembe, Politologe an der Witwatersrand-Universität im südafrikanischen Johannesburg, moniert, Europa könne nicht einerseits an den Grenzen Afrikaner abweisen, andererseits ihre Kunst vor ihnen wegsperren. Das ist richtig. Beide, Menschen wie Werke, pauschal auszuweisen, ist keine Lösung, denn es suggeriert ein Ideal kultureller Reinheit, das nicht zur Realität ständiger gegenseitiger Einflussnahme passt.

Die Debatte und das im Werden begriffene Humboldtforum bieten die Chance, die Werke und ihre Gesellschaften endlich wirklich kennenzulernen. Herkunftsforschung ist nötig, sie muss die Kolonialgeschichte der Stücke erzählen, aber auch, wozu sie ursprünglich gut waren. Denn die Artefakte sind größer als das Unrecht, das sich in sie eingeschrieben hat. Diesseits von Restitutionen können europäische Museen sich zusammentun und Häuser in Afrika und Ozeanien unterstützen, sie können dort Museen bauen helfen. Sie können Kuratoren aus den Herkunftsländern in Berlin und Paris Sonder- und Dauerausstellungen machen lassen, und sie können ihre Bestände und Inventare der Transparenz halber digitalisieren. Vieles, auch europäische Kunst, kann reisen, so dies konservatorisch möglich ist.

Die Geister der Alten kennen keine Grenzen. Sie wandern zu allen, die sie ehren.

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