Religionsförderung:Master of Imam

Religionsförderung: Muslime beim Freitagsgebet in München-Sendling.

Muslime beim Freitagsgebet in München-Sendling.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Der einzigen Imam­-Weiter­bildung in Deutsch­land droht im September das Aus.
  • Das Programm an der Universität Osnabrück war von Anfang an befristet, nun gibt es keine Mittel mehr.
  • 150 Absolventen haben dort Predigtlehre, Seelsorge, rechtliche Zusammenhänge, deutsche Kultur, Extremismusprävention und Ähnliches für ihre Arbeit als Imame in Deutschland gelernt.
  • Grüne und FDP fordern, dass es weiter eine solche Ausbildung geben soll. Selbst die AfD sieht Handlungsbedarf.

Von Thomas Hahn, Osnabrück

Dieser Abschied tut weh, und es kann schon sein, dass der junge Professor Bülent Uçar, 41, jetzt gerne etwas ausführlicher klagen würde über das Ende eines außergewöhnlichen Projekts. Als Leiter des Instituts für islamische Theologie an der Universität Osnabrück verantwortete Uçar acht Jahre lang die einzige Imam-Weiterbildung in Deutschland. Etwa 150 Männer und Frauen durchliefen in dieser Zeit Schulungen zum besseren Verständnis der deutschen Gesellschaft. Aber die Mittel laufen aus. Im September werden die letzten Zeugnisse verteilt.

"Bedauerlich", sagt Uçar knapp, um kein unnötiges Pathos aufkommen zu lassen. Außerdem tröstet er sich mit der "begründeten Hoffnung, dass eine neue Phase anbricht". Wenn es nach ihm geht, war die Weiterbildung nur die Vorstufe einer neuen, freien Bildungsstätte im Dienste eines weltoffenen Islam. "Wir benötigen ein Seminar außerhalb der Universität zur praktischen Ausbildung von Imamen in Deutschland", sagt Uçar höflich, aber bestimmt.

Etwa 2500 Imame predigen in Deutschland an ebenso vielen Moscheegemeinden. Sie tun dies in komplizierten Zeiten. Deutschland schwankt zwischen Islam-Anerkennung und -Ablehnung. Populisten vertiefen die Ängste, die einzelne Extremisten gestreut haben. Der Einfluss des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan auf die deutsche Islam-Community macht nichts leichter. In diesem Klima haben Moscheegemeinden eine besondere Verantwortung als Mittler zwischen Religion und deutscher Befindlichkeit. Uçars Forderung kann man deshalb nachvollziehen. Aber ob Politik und Verbände ihm folgen?

Islam-Theologie ist eine junge Disziplin an deutschen Universitäten. So richtig Fuß fasste sie erst nach 2010, als der Wissenschaftsrat eine entsprechende Empfehlung gab. Diese wiederum folgte dem Umstand, dass nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York das Interesse an islamwissenschaftlichen Studiengängen stieg. Bülent Uçar selbst wurde 2007 an die Universität Osnabrück berufen. Die Vorreiterrolle seines Instituts spiegelte sich auch in einer großen Tagung mit dem Titel "Imam-Ausbildung in Deutschland", die seinerzeit die deutsche Islamkonferenz und das Bundesinnenministerium förderten. Ergebnis: Imame brauchen praxisbezogene Unterstützung, um die Herausforderungen des deutschen Alltags besser aufgreifen zu können.

Absolventen des Instituts bestätigten diesen Befund. Und so kam es zu der Islam-Fortbildung, die in Unterrichtsblocks mit externen Dozenten binnen eines Jahres verschiedene Felder der Gemeindepraxis aufgriff: Predigtlehre, Seelsorge, rechtliche Zusammenhänge, deutsche Kultur, Extremismusprävention und Ähnliches.

"Das war immer als Provisorium gedacht mit befristeten finanziellen Zuschüssen." Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab zum Beispiel Geld, ebenso Niedersachsens Wissenschaftsministerium und die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien. Das Ende war abzusehen. Jetzt muss ein neuer Anfang her, findet Uçar: ein besagtes Seminar in freier Trägerschaft eben, das auf den Erfahrungen seines Instituts aus dem Fortbildungsprojekt aufbaut.

In Arbeit ist eine solche Einrichtung nicht. In Niedersachsens Wissenschaftsministerium von SPD-Ressortchef Grant Hendrik Tonne wisse man nichts davon, meldet eine Sprecherin. Außerdem: "Durch die Trennung von Staat und Kirche sind für solche Strukturen die Verbände zuständig." Die rot-schwarze Landesregierung stehle sich aus der Verantwortung, sagt dazu Belit Onay, migrationspolitischer Sprecher der Grünen, und nennt das "bitter": "Insbesondere für die hier geborene muslimische Generation werden Imame gebraucht, die Land und Leute, Kultur und Sprache kennen." Der FDP-Bildungsexperte Björn Försterling findet "die Imam-Ausbildung in Deutschland wichtiger denn je". Selbst die AfD-Fraktion ist dafür - wenn auch mit misstrauischer Note: Mögliche Spender und Sponsoren müssten genau bekannt sein, um solche auszuschließen, "die einem illiberalen Islam anhängen".

Und die Islam-Verbände? Für die Schura-Niedersachsen antwortet deren Vorsitzender Recep Bilgen mit vorsichtigem Interesse. Die Rechte der Religionsgemeinschaften dürften nicht berührt werden. "Die Imam-Ausbildung ist Sache der Religionsgemeinschaften." Bilgen verweist auf die Theologie-Studiengänge: "Die sollten so konzipiert werden, dass die Absolventen die Fähigkeit bekommen, um in den Gemeinden Aufgaben zu übernehmen."

Im Koalitionsvertrag steht: "Aufbauend auf die seit 2010 bundesweit anerkannten Imam-Weiterbildungsangebote an der Universität Osnabrück, soll dort eine grundständige Imam-Ausbildung eingerichtet werden." Daraus zieht Bülent Uçar seine Zuversicht. Außerdem glaubt er fest an die Kraft seiner Argumente. Er macht viele Beobachtungen an deutschen Moscheen. Immer wieder hört er wirklichkeitsferne Predigten von Imamen aus dem Ausland. Er sieht auch das Extremismusproblem.

Gleichzeitig erlebt er viele Imame sowie andere Mitarbeiter in den Moscheen, die den Spagat schaffen wollen zwischen Religion und gesellschaftlicher Wirklichkeit. "Diese Leute stehen momentan unter besonderem Druck", sagt Uçar. Erzkonservative Religionsvertreter wollen sie auf traditionelle Weltbilder festlegen, erzkonservative Politiker kriminalisieren sie als potenzielle Hassprediger. Eine Bildungseinrichtung würde ihnen Halt und Hilfe geben. Sie könnten offener werden und für Nicht-Muslime leichter verständlich. Für Bülent Uçar wäre so ein Seminar auch ein Beitrag gegen die Ängste, die Populisten schüren.

Zur SZ-Startseite
Aydan Özoguz

Aydan Özoğuz im Gespräch
:"Seehofer fehlt völlig das Gespür"

Ex-Integrationsbeauftragte Özoğuz empfindet Innenminister Seehofers Satz, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, in Zeiten brennender Moscheen als verfehlte Symbolpolitik.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: