Interview am Morgen:"Die Briten wollten raus und kriegen das nicht auf die Reihe"

Interview am Morgen: "Wenn dann im März 2019 die Hölle losbricht, ist Großbritannien nicht in der Lage, mit einer solchen Krise umzugehen." Der Politologe Alexander Clarkson sieht Großbritannien nicht auf einen harten Brexit vorbereitet.

"Wenn dann im März 2019 die Hölle losbricht, ist Großbritannien nicht in der Lage, mit einer solchen Krise umzugehen." Der Politologe Alexander Clarkson sieht Großbritannien nicht auf einen harten Brexit vorbereitet.

(Foto: Dylan Nolte / Unsplash)

Politologe Alexander Clarkson glaubt nicht, dass die britische Regierung in der Lage sein wird, bis März 2019 ein langfristiges Ergebnis zum Brexit mit der EU auszuhandeln.

Interview von Philipp Saul

Am 31. März 2019 will Großbritannien die Europäische Union verlassen. Bis dahin sind es nur noch gut sieben Monate, aber in den Gesprächen sind beide Parteien weit voneinander entfernt. Während die EU relativ geschlossen auftritt, tut sich die britische Regierung schwer, eine einheitliche Linie zu finden. Premierministerin Theresa May ist innenpolitisch angeschlagen und muss für ihren Brexit-Kurs immer wieder harte Kritik einstecken - auch aus der eigenen Partei.

Am heutigen Donnerstag legt nun Brexit-Minister Dominic Raab Regierungspläne für den Fall eines ungeregelten Brexit vor. Auf einen harten EU-Austritt ohne Verhandlungsergebnis sei Großbritannien aber nicht vorbereitet, sagt der Politologe Alexander Clarkson. Der Brite ist in Deutschland aufgewachsen und heute Dozent für deutsche und europäische Studien am Londoner King's College.

SZ: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Gespräche zwischen Großbritannien und der EU scheitern?

Alexander Clarkson: Die Möglichkeit besteht durchaus. Weniger wegen irgendwelcher Entscheidungen auf EU-Seite, sondern weil die britische Regierung langsam handlungsunfähig wird. Die Regierung ist zerstritten. Theresa Mays Chequers-Plan vom letzten Monat ist einfach nicht realistisch. Als Verhandlungsanfang wäre dieses White Paper durchaus sehr nützlich gewesen. In gewissen Bereichen hätte das zu Kompromissen führen können, mit denen die EU zum größten Teil hätte leben können. Aber in der Woche, nachdem sie das Dokument vorgelegt hat, wurde sie in der konservativen Partei so unter Druck gesetzt, dass sie gesagt hat: "Das ist das letzte Angebot." Und das ist natürlich völlig unrealistisch.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Ist Großbritannien zu einem harten Brexit ohne Austrittsvertrag bereit?

In Großbritannien hat es praktisch keine systematischen Vorbereitungen auf den No-Deal und den Abbruch der Verhandlungen gegeben. Das Land ist in einer sehr schwachen Lage. Gut möglich, dass Großbritannien doch noch Kompromisse eingeht. Kurz vor der Krise würden die Briten wahrscheinlich wirklich kapitulieren, weil ihnen keine Wahl bliebe. Das Land könnte die Verhandlungen unterbrechen, aber wenn dann im März 2019 die Hölle losbricht, ist es nicht in der Lage, mit einer solchen Krise umzugehen.

Wie würde die Hölle aussehen?

Der gesamte Handel und die Personenfreizügigkeit brechen zusammen. Ohne Verhandlungsergebnis gibt es keine Struktur und kein rechtliches System. Über Nacht wird es an den britischen Grenzen zu sehr strengen Kontrollen kommen. Auch die Personenfreizügigkeit würde sofort abgeschafft werden. Es gibt nicht mal Verhandlungen über eine Visa-Freiheit. Das heißt, die Briten wären plötzlich in der Staatsbürgerschaftshierarchie weit unter Menschen aus der Ukraine oder Georgien, die durch die europäische Integration in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht haben.

Wie soll das alles bis zum März 2019 geregelt werden? Ist das überhaupt möglich?

Es geht hier wirklich nur um Minimalziele, um Krisenvermeidung und nicht darum, ein langfristiges Verhandlungsergebnis zu bekommen. Ein so komplexes Verhältnis wie zwischen Großbritannien und der Europäischen Union kann man nicht in wenigen Monaten regeln. Nach dem Brexit müssen sich die Briten und die EU in einer Übergangsphase von vier, fünf oder sechs Jahren die Zeit nehmen, zu einer neuen Rechtsordnung zu kommen. Das ist die große Ironie. Die Briten wollten raus und kriegen das nicht auf die Reihe. Sie sind zerstritten und politisch instabil. Es ist im Interesse der EU, dass sie ihre interne Krise durcharbeiten. Die EU hat genug eigene Probleme. Für die EU wäre es gut, die Briten jetzt in eine Übergangsphase rauszuschieben, in der eigentlich alles mehr oder weniger gleich bliebe. Die Briten säßen dann aber nicht mehr in den Entscheidungsgremien der EU und können nichts blockieren. Außerdem stehen im Mai 2019 die EU-Parlamentswahlen an und die Verhandlungen für den nächsten langfristigen Haushalt laufen bereits.

Könnte das Vereinigte Königreich nach dem Brexit auseinanderfallen?

Das ist die Gefahr, die herumschwirrt: Das Land tritt aus der EU aus und dann treten Schottland, Nordirland und vielleicht auch Wales aus dem Vereinigten Königreich aus. Ich glaube nicht, dass das jetzt über Nacht passiert. Aber die Beziehungen zwischen diesen drei Nationen und England werden viel konfliktreicher werden. Es wird schwieriger, überhaupt eine stabile Politik in Großbritannien durchzusetzen, weil unterschiedliche Teile den Staat auseinanderziehen.

Bevor Großbritannien scheitert, könnte Theresa May scheitern. Sie wird innerparteilich oft scharf angegriffen. Wird sie sich halten können?

Der Kampf um ihre Nachfolge hat schon begonnen. Aus der Partei heißt es, dass ein Großteil der Mitglieder sie abgeschrieben hat. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie relativ schnell innerhalb der eigenen Partei herausgefordert wird, wenn sie sich zu sehr auf die EU zubewegt. Jede realistische Verhandlungsposition wird in den dogmatischen Kreisen der konservativen Partei schnell als Verrat abgestempelt. Ich weiß nicht, wie lange sie überleben kann, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass Theresa May stürzt.

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