Sinneswahrnehmungen:Mief aus dem Nichts

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Im mittleren Alter sind die Phantomgerüche am stärksten. (Foto: Andrea Warnecke/dpa)
  • Jeder 15. Mensch nimmt gelegentlich Phantom-Gerüche wahr; Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
  • Die Ursachen sind nicht sicher. Vermutlich sind jene Nerven, die Gerüche zum Gehirn weiterleiten, leicht zu irritieren oder senden Fehlsignale.

Von Werner Bartens

Plötzlich riecht es so seltsam. Irgendwie verbrannt oder verdorben. Oder sind das Chemikalien, die diesen Odeur verströmen? Ziemlich irritierend ist das, denn eine Ursache des unangenehmen Geruchs lässt sich partout nicht finden. Und die Mitmenschen riechen überhaupt nichts - dabei stinkt es hier doch gewaltig. Sollte man sich diesen Mief wirklich nur einbilden?

So außergewöhnlich ist das Phänomen der Geruchs-Halluzinationen gar nicht. Etwa jeder fünfzehnte Erwachsene nimmt immer wieder Düfte und Gerüche war, für die sich auch nach akribischer Quellensuche keine Ursache finden lässt und die daher als nicht existent gelten müssen. Mit Hilfe einer großen landesweiten Erhebung haben Ärzte aus den USA nun das Ausmaß und die Formen dieser Phantom-Gerüche zu charakterisieren versucht. Im Fachmagazin JAMA Otolaryngology - Head & Neck Surgery stellen sie ihre Ergebnisse vor.

Das Team um Kathleen Bainbridge von den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA (NIH) hat dazu Daten von mehr als 7400 Erwachsenen jenseits der 40 analysiert. Dabei zeigte sich, dass immerhin 6,5 Prozent der Teilnehmer gelegentlich Phantom-Gerüche wahrnehmen. Frauen klagten deutlich häufiger über die nicht vorhandenen Gerüche als Männer; in der aktuellen Studie machten sie mehr als zwei Drittel der Betroffenen aus. Im Alter zwischen 40 und 60 Jahren ist es offenbar besonders schlimm. In dieser Phase erleben etwa zehn Prozent der Frauen gelegentlich die unangenehmen Empfindungen, Männer dieser Altersgruppe kennen das Phänomen nicht mal halb so oft.

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Betroffene können sich immerhin damit trösten, dass mit zunehmendem Alter die falschen Geruchswahrnehmungen nachlassen. Jenseits der 60 haben nur noch 7,5 Prozent der Frauen damit zu tun, von 70 an nur noch 5,5 Prozent. Dass die Geruchsempfindlichkeit wie auch olfaktorische Halluzinationen im Alter nachlassen, hat mit dem schleichenden Verlust an Geruchsnerven, ihrer nachlassenden Funktion und einer generell verringerten Sinneswahrnehmung zu tun.

"Probleme mit dem Geruchssinn werden oft übersehen, obwohl sie so wichtig sind", sagt Judith Cooper, die an den NIH Sinnesstörungen erforscht. "Sie können sich auf den Appetit wie auf Nahrungsvorlieben auswirken und außerdem die Fähigkeit beeinträchtigen, Gefahrensignale wie den Geruch von Feuer, Gas oder verdorbenem Essen wahrzunehmen."

Der genaue Grund für olfaktorische Halluzinationen, wie die Phantom-Gerüche auch genannt werden, ist allerdings noch unklar. Vermutlich sind jene Nerven, die Gerüche zum Gehirn weiterleiten, leicht zu irritieren oder senden Fehlsignale. Mitunter sind sie auch gestört oder beschädigt. Dazu passt, dass Phantom-Gerüche häufiger nach Schädelhirnverletzungen, Bewusstlosigkeit oder chronischen Entzündungen im Kopfbereich vorkommen. "Es kann auch an überaktiven Sinneszellen in der Nasenhöhle liegen - oder an einer Fehlfunktion in jener Hirnregion, in der die Nervensignale verarbeitet werden", sagt Bainbridge. "Wir haben in einem ersten Schritt das Phänomen auf einer größeren Datenbasis zu beschreiben versucht." Bisherige Analysen beschränkten sich auf Einzelfallberichte oder begrenzte Altersgruppen.

Die Fähigkeit mancher Menschen, ihre Sinne gekoppelt wahrzunehmen, hat wohl ebenfalls mit einer Übererregung der entsprechenden Hirnzentren zu tun. Sogenannte Synästhetiker nehmen Geräusche als Farben oder Geschmäcker als Formen wahr. "Der Geschmack meines Essens hat nicht genügend Punkte, sondern ist eher kugelförmig", soll ein Betroffener in einem berühmt gewordenen Fall gesagt haben. Für andere hört sich das Geräusch der Dusche "gelb" und ein Regenschauer "grün-braun" an oder Buchstaben sind in Gedanken immer farbig und nehmen eine Position im Raum ein.

Ob eine Übererregbarkeit oder schlicht fehlgeleitete Signale die Geruchs-Halluzinationen auslösen, ist noch ungewiss. Dass und warum Frauen generell empfindlicher auf Gerüche reagieren und deshalb auch häufiger Phantom-Gerüche erschnuppern, beschäftigt allerdings nicht nur langgediente Partnerschaften, sondern auch die Wissenschaft. "Frauen sind besser darin, Gerüche zu benennen und sie stören sich mehr an den Gerüchen ihrer Umgebung" schreiben David Hsu und Jeffrey Suh von der University of California in Los Angeles in einem begleitenden Kommentar: "Zu ihrer größeren Empfindlichkeit für Gerüche kommt ihre niedrigere Schwelle, sich über unangenehme Gerüche zu beschweren." Wenn Männer anstrengende Düfte überhaupt wahrnehmen, scheinen sie sich eher stoisch damit abzufinden, statt nach frischer Luft oder einem Deo zu verlangen.

Kein Wunder, dass besonders geruchssensible Männer wie der von Al Pacino gespielte Frank Slade in "Der Duft der Frauen" oder Jean-Baptiste Grenouille in Patrick Süskinds Roman "Das Parfum" eine große Faszination ausüben - erst recht, wenn sie wie die beiden Roman- und Filmhelden keinen oder einen betörenden Eigengeruch aufweisen.

Phantom-Gerüche werden hingegen selten als verführerisch, sondern typischerweise als unangenehm beschrieben und mit Begriffen wie "faul", "verdorben" oder "chemisch" charakterisiert. "Patienten, die besonders starke Phantom-Gerüche wahrnehmen, haben oft eine schlechte Lebensqualität, ihnen wird das Essen vermiest und sie können kein gesundes Gewicht halten", warnt Geruchsforscher Donald Leopold von der Universität Vermont.

© SZ vom 17.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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