Das deutsche Valley:Böse Börse, gute Börse

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An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Alexandra Föderl-Schmid (Tel Aviv), Christoph Giesen (Peking) und Ulrich Schäfer (München) im Wechsel. (Foto: N/A)

In Deutschland trauen sich immer noch viel zu wenige junge Tech-Firmen an die Finanzmärkte. Das hat auch mit der unglückseligen Geschichte des Neuen Markts zu tun.

Von Ulrich Schäfer

Schaut man sich die Liste der wertvollsten Unternehmen der Welt an, findet man auf der ersten Plätzen fast nur Digitalkonzerne. Vorn: Apple, das Billionen-Dollar-Unternehmen. Es folgen: Amazon, Apple, Microsoft. Unter den Top-Ten finden sich nur noch zwei klassische Vertreter der Industrie: der Pharmakonzern Johnson & Johnson und der Energieriese Exxon Mobil. Das war's.

Schaut man sich die Liste der wertvollsten deutschen Unternehmen an, steht auch dort ein Digitalkonzern an der Spitze: Der Softwareanbieter SAP, gegründet 1972 und damit vier Jahre vor Apple, wird derzeit mit mehr als 120 Milliarden Euro bewertet - und liegt damit klar vor Siemens, Bayer und BASF oder den drei Autobauern VW, Daimler und BMW. Unter den Top 20 ist dann aber nur noch ein weiterer Digitalkonzern, die Deutsche Telekom, außerdem die Allianz. Ansonsten: Industrie, Industrie, Industrie.

Hat Deutschland also schon deshalb keine Chance in der Digitalisierung, weil es nicht in der Lage ist, derart wertvolle Digitalunternehmen hervorzubringen wie die USA? Die einfache Antwort wäre: Ja! Doch diese Antwort wäre zu simpel und würde manches außer Acht lassen, was am Ende zu einem differenzierteren Blick auf die wirtschaftlichen Realitäten verhilft.

Das fängt schon damit an, dass der Börsenwert eben nur ein Kriterium von vielen dafür ist, ob ein Unternehmen erfolgreich ist. Zieht man die Fortune Global 500 zu Rate, jene Rangliste über die umsatzstärksten Firmen der Welt, die das amerikanische Wirtschaftsmagazin Fortune alljährlich veröffentlicht, dann findet sich unter den Top-Ten nicht ein einziger Digitalkonzern. Vorn liegt ein Händler, und zwar keiner aus der Online-Welt: Wal-Mart. Dahinter: drei chinesische Energiekonzerne, dann ein europäischer Energiekonzern (Royal-Dutch Shell), ein japanischer Autobauer und - Überraschung, Überraschung! - auf Rang sieben ein deutsches Unternehmen. Volkswagen.

Apple folgt erst auf Rang elf, Amazon auf 18. Das muss einen nicht beruhigen, denn der Umsatz der Digitalkonzerne wächst sehr schnell, und ihr Gewinn auch. Aber man sollte dennoch nicht vergessen: Der Aktienkurs ist nicht alles; was daneben zählt, ist auch das harte Geschäft: Umsatz, Gewinn, Jobs, Marktanteile. Das gilt zumal in einem Land wie der Bundesrepublik, deren Wirtschaft geprägt ist von einem breiten Mittelstand.

Dieser Mittelstand lebt in der Regel recht gut abseits die Börse. Die heimlichen Weltmarktführer aus dem Maschinen- oder Anlagenbau, der Medizintechnik oder Sensorik, sind in Familienhand und werden es auch bleiben. Das hat für die Unternehmen manche Vorteile, weil sie keine feindlichen Übernahmen oder den Einstieg aggressiver Aktionäre fürchten müssen, die die Firma in ihre Einzelteile zerlegen wollen, um kurzfristig Gewinn zu machen. Andererseits vergeben sie damit aber auch die Chance, zusätzliches Kapital einzusammeln und schneller zu wachsen.

Wendet man sich, allen Unzulänglichkeiten zum Trotz, doch wieder dem Börsenwert als Kriterium zu, so sieht man: Auch hierzulande hinterlässt die Digitalisierung an der Börse deutliche Spuren. Das beste Beispiel dafür ist derzeit der digitale Zahlungsdienstleister Wirecard aus Aschheim bei München - ein Unternehmen, das die meisten Deutschen kaum kennen. Am 24. September wird Wirecard aller Voraussicht nach in den deutschen Aktienindex Dax aufsteigen. Schon jetzt ist die 19 Jahre alte Firma, deren Aktie seit Jahren rasant steigt, mehr als 22 Milliarden Euro wert - das bedeutet Platz 23 in Deutschland. Auch der Onlinehändler Zalando ist, wenn man allein den Börsenwert von derzeit gut elf Milliarden Euro zugrunde legt, nicht mehr allzuweit von den Top 30 der deutschen Aktienwerte entfernt - aktuell liegt Zalando auf Platz 35.

Wer wachsen will, muss Anteile und Kontrolle abgeben. Nicht alle Gründer wollen dies

Es ist also etwas in Bewegung geraten, aber - und das ist das Problem - eben noch viel zu wenig. Denn vor dem Gang an die Finanzmärkte scheuen eben nicht bloß Familienunternehmen zurück, die viele Jahrzehnte oder Jahrhunderte alt sind; sondern auch junge Tech-Firmen. Die Gründe dafür liegen zum einen in einer übergroßen Risikoscheu: Wer als Gründer irgendwann an die Börse gehen will, muss sein Unternehmen von Anfang an auf schnelles Wachstum trimmen und eine überzeugende Story vorweisen. Dazu aber muss man sich schon lange vor dem Börsengang erfahrene Partner an Bord holen, fremde Investoren, Risikokapitalgeber, die das Wachstum finanzieren. Wer das plant, muss bereit sein, schon früh viel von seiner Firma zu verkaufen und damit Kontrolle abzugeben; nicht alle Gründer wollen das. Andere, die aussteigen wollen, verkaufen lieber komplett an einen Konzern, statt einen Börsengang zu wagen.

Zudem wirkt - immer noch - die unglückselige Geschichte des Neuen Markts nacht, jenes Börsensegments für junge Firmen, das 1997 geschaffen und schon 2003, nach etlichen Finanzskandalen und spektakulären Pleiten, wieder geschlossen wurde. Der Neue Markt hatte viele Schwächen, er hat es nicht zuletzt Hasardeuren und Betrügern leicht gemacht. Aber er war trotz allem ein Versuch, jungen Tech-Firmen den Gang an die Börse zu erleichtern.

Die Deutsche Börse hat lange gezögert, erneut einen Markt für Jungfirmen zu schaffen, im vorigen Frühjahr startete sie dann das Börsensegment Scale mit teils rigiden - manche sagen: zu rigiden - Vorgaben für die Firmen. Scale dümpelt seither vor sich hin, die allerwenigsten Anleger kennen es, und spektakuläre Börsengänge, wie sie zuletzt von europäischen Tech-Firmen wie Spotify oder Adyen hingelegt wurden, gab es bisher keine. Wo es aber an positiven Beispiel fehlt, tun sich eben auch alle anderen schwer.

© SZ vom 22.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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