1. FC Nürnberg:Exkurs auf den Friedhof

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Die Euphorie nutzen, solange es geht: Michael Köllner, Trainer des Rückkehrers 1. FC Nürnberg. (Foto: Patrick Seeger/dpa)

Aufsteiger (I): Viel Glaube, wenig Geld - die Franken stehen vor einer großen Herausforderung. Trainer Michael Köllner will die Euphorie nutzen, solange es geht.

Von Markus Schäflein, Nürnberg/München

Was in der zweiten Liga funktioniert, könnte auch in der ersten funktionieren - so sieht das jedenfalls Michael Köllner, und daher setzte der Übungsleiter des 1. FC Nürnberg im Trainingslager in Südtirol auch diesmal wieder auf Transzendentes. Köllner ist sehr gläubig, in den Sommerferien wandelte er im Israel-Urlaub "auf den Spuren Jesu", wie er sagte. Er wollte damit auch seine Dankbarkeit für den Aufstieg ausdrücken, erklärte er; Köllner glaubt offensichtlich daran, dass Gott auch ein Fußball-Gott ist.

Vor der Aufstiegssaison hatte er mit seinen Spielern das Kloster Neustift bei Brixen besucht, und er hatte ihnen die Aufgabe gegeben, das Buch "Der Alchemist" von Paulo Coelho zu lesen - darin geht es um einen Hirten, der in die Welt hinauszieht, um einen Schatz zu finden, ihn am Ende aber vor der eigenen Haustür entdeckt. Den großen Schatz für einen Fußballer, die Bundesliga, haben die Clubberer nun tatsächlich am Valznerweiher gefunden. Und in diesem Jahr, zur Vorbereitung auf die Mission Klassenerhalt, führte Köllner, 48, seine Mannschaft auf den Friedhof in Villanders, begleitet von einem Vortrag von Pfarrer Artur Schmitt. "Für uns ging es bei diesem Exkurs darum: Wo beginnt Überzeugung? Wo endet Überzeugung? Das war das Schlüsselelement", sagte Köllner. Viel Überzeugung werden die Nürnberger brauchen, als Außenseiter im Kampf um den Ligaverbleib.

Aber ein Friedhof steht ja immer auch für Endlichkeit, und welcher Fußballverein wüsste trefflicher über Endlichkeit zu erzählen als der 1. FC Nürnberg? Das Sonett "Es ist alles eitel" des Barockdichters Andreas Gryphius sollte Köllner seinen Spielern besser nicht zu lesen geben, anders ausgedrückt: Bei dem neunmaligen deutschen Meister handelte es sich in den vergangenen Jahrzehnten um eine so genannte Fahrstulldrubbe. Und ohne die geplante Ausgliederung des Profifußballs und einen finanzkräftigen Investor, hat Aufsichtsratschef Thomas Grethlein angekündigt, werde das auch so bleiben; da könne nur ein Platz unter den besten 25 Vereinen Deutschlands das Ziel sein. Mittlerweile ist der Club seit Gründung der Bundesliga insgesamt acht Mal auf- und acht Mal abgestiegen.

Vom Ziel Klassenverbleib will Köllner allerdings nicht wissen: "Wir definieren uns nicht über einen Tabellenplatz", sagte er der Deutschen Presse-Agentur: "Jeder Mensch kann für sich selbst Unermessliches erreichen, aber wenn er sich vorher schon reguliert, wird er es auch nicht schaffen." Ein Gedankengang, der gerade im fränkischen Umfeld des 1. FCN fast schon revolutionär ist, wo die Menschen - auch aus Erfahrung - eher Andreas Gryphius zugeneigt sind. Geschafft haben die Nürnberger immerhin schon mal den Einzug in die zweite DFB-Pokal-Runde - wenn auch mit Ach und Krach beim Fünftligisten SV Linx, 2:1 durch zwei Treffer des Torjägers Mikael Ishak. Irgendetwas aus dem Auftritt abzuleiten, gar eine schlechte Form vor dem Bundesliga-Auftakt bei Hertha BSC (Samstag, 15.30 Uhr), lag Köllner aber fern. In Berlin werde es "ein komplett anderes Spiel", sagte der Trainer: "Man muss sich keine Gedanken machen, dass wir nicht startklar sind." Gegen einen extrem defensiven Gegner das Spiel machen zu müssen, wird Nürnberg in der Liga eher selten passieren.

Falls doch, hat der Club noch einen Spielmacher dazu bekommen, der den Kaderplatz des abgewanderten Kevin Möhwald (Bremen) einnimmt: Der 24-jährige Japaner Yuya Kubo, der vom belgischen Erstligisten Gent mit Kaufoption ausgeliehen wurde, trainierte am Dienstag erstmals mit der Mannschaft und wurde am Valznerweiher gleich zum Publikumsliebling. Kubo ist in gutem Trainingszustand angereist, es ist also gut denkbar, dass er in Berlin gleich mitwirken darf.

Sicher dabei ist Fabian Bredlow; der letztjährige Stammtorhüter hat das Duell gegen Zugang Christian Mathenia (Hamburger SV) für sich entschieden. Ohnehin wird sich an der Stammformation der Aufstiegssaison nicht allzu viel ändern, große Transfers waren aufgrund der finanziellen Lage nie geplant: Noch immer drücken den Club knapp 21 Millionen Euro Schulden, für die Lizenzspielerabteilung liegt der Etat bei nur 28 Millionen Euro.

Sorgen machen sich die Nürnberger noch um Enrico Valentini, der sich in Linx eine Sehnenzerrung zuzog. In jedem Fall fehlt Ewerton (Syndesmoseteilriss) noch für mindestens vier Wochen. Für den Abwehrchef springt der 21 Jahre alte Kapitän der deutschen U20-Nationalmannschaft, Lukas Mühl, ein. Die Frage wird tatsächlich sein, wo Überzeugung beginnt und wo sie endet.

© SZ vom 22.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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