Homöopathie:Placebos als bessere Medizin

UK Medical Journal Casts Doubt On Homeopathy

Homöopathie steht in der Kritik. Doch der Placebo-Effekt kann auch nützlich sein.

(Foto: Getty Images)

Die Wirkung von Scheinmedizin, Homöpathie oder Akupunktur wird in der modernen Medizin zu sehr vernachlässigt. Dabei kann sie in etlichen Fällen heilen. Und das mit weniger Nebenwirkungen.

Gastbeitrag von Winfried Rief

Medizinische Maßnahmen werden als wirkungsvoll eingeschätzt, wenn sie in Studien besser abschneiden als Placebo-Behandlungen, also als Behandlungen ohne Wirkstoff, zum Beispiel mit einfachen "Zuckerpillen". Dieser nachzuweisende Vorteil der Medikamentengruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe ist Grundlage der modernen, evidenzbasierten Medizin. Wenn für Medikamente oder andere medizinische Maßnahmen dieser Nachweis gelingt, werden sie aufgenommen in Behandlungsleitlinien. Wenn nicht, werden diese Behandlungen ausgegrenzt, wie zum Beispiel die Homöopathie oder zum Teil auch die Akupunktur. Obwohl viele Patienten Besserungen auch bei solchen Behandlungen beschreiben, gelten sie als unlauter und man versucht, sie aus dem Ärzte- und Apothekeralltag zu verdrängen.

Was aber, wenn dieses Argument des Zusatzeffekts der "wahren" Therapie über den Placebo-Effekt hinaus manchmal nicht zutrifft oder gar den Blick auf andere Wirkfaktoren verstellt? Dies ist ein bedrohlicher Gedanke, da er die Grundfesten der modernen, evidenzbasierten Medizin ins Wackeln bringt. Doch zeigt die Forschung, dass viele Vorstellungen über Placebo-Effekte und "wahre" medizinische Effekte überprüft werden müssen.

Zur Person

Winfried Rief, 59, ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Marburg. Er leitet eine überregionale Forschergruppe zu Placebo- und Nocebo-Effekten.

Placebo-Behandlungen können hoch effektiv und langfristig wirksam sein. Positive Erwartungen bei Patienten und Ärzten, aber auch positive und negative frühere Erfahrungen mit Behandlungen oder allein schon der ärztliche Kontakt tragen zum Behandlungsergebnis bei. Dies gilt zum einen für subjektive Erfolgsparameter wie Schmerzen oder depressive Stimmungen, aber zum Teil auch für biologische Parameter wie Immunaktivität, neuronale Übertragungsprozesse, Ausschüttung von Hormonen und mehr.

Nicht die Pille selbst ist das Wesentliche, sondern das, was sie beim Kranken auslöst

Der heutigen Medizin sind diese Effekte nichts wert - nur der vermeintlich ausschließlich auf das Medikament rückführbare Zusatzeffekt zählt. Damit missachtet die Medizin wissenschaftlich belegte Wirkfaktoren - schlimmer noch, diese Beiträge zum Behandlungserfolg werden Jahr für Jahr reduziert. Eine Medizin der Zukunft muss aber auf alle Wirkfaktoren setzen, nicht nur auf den oft nicht so großen Unterschied zwischen Placebo und echter Behandlung. Dass diese Unterschiede minimal sein können, zeigt eine jüngst veröffentlichte Meta-Analyse über Antidepressiva. Von der Fachwelt als finaler Beweis der Wirksamkeit dieser Medikamente gefeiert, war das wesentliche neue Resultat die statistisch signifikante, jedoch nur minimale Überlegenheit von Antidepressiva über Placebos. Vor dem Hintergrund oft auftretender Nebenwirkungen sowie unklarer Kenntnisse über Langzeiteffekte, fordert dies zu einer neuen Vor- und Nachteilsabwägung im Einzelfall heraus.

Placebos können wirken, selbst wenn der Patient weiß, dass die Pille nur ein Scheinmedikament ist. Dies bestätigt, dass nicht die Pille selbst das Wesentliche ist, sondern was sie beim Patienten auslöst. Gerade in Deutschland kann dieses Ergebnis nicht verwundern: Millionen Menschen nehmen homöopathische Globuli, ohne wirklich an homöopathische Theorien zu glauben, und viele beschreiben trotzdem Verbesserungen. Es ist nicht nur der Glaube, sondern ein komplexes biologisches und psychologisches Reaktionsmuster, das zu Placebo-Heilungen beiträgt.

Die Missachtung von Placebo-Wirkungen kann dazu beitragen, dass der Erfolg ausbleibt; und sie kann das Patientenwohl durch neue Nebenwirkungen schädigen, wenn Ärzte absichtlich oder unabsichtlich negative Erwartungen und Ängste bei Patienten auslösen (Nocebo-Effekte). Aber auch hier ist das Zusammenspiel komplex. Nebenwirkungen können auch positive Erwartungen bei Patienten auslösen: "Wenn einem von dem Medikament so schwummerig wird, muss es sehr wirksam sein." Dies bedeutet aber auch: Bei manchen regulären Medikamenten wissen wir nicht, ob sie wegen guter Wirkstoffe zugelassen wurden, oder nur weil sie Nebenwirkungen auslösen, die bei Patienten zu positiven Erwartungen führen.

Spezifische Vorerfahrungen tragen zu solchen Effekten bei. Wie Pawlow's Hund auf einen Gong mit Speichelfluss reagierte, lernt auch der menschliche Körper, auf wiederholte Einwirkungen systematisch zu reagieren. Wurden positive Erfahrungen mit Schmerzmedikamenten gemacht, reicht bereits der Akt der Einnahme, damit Sekunden später eine Schmerzreduktion erlebt wird - lange bevor das Medikament an den Synapsen wirkt. Hat sich der Körper das Reaktionsmuster angeeignet, kann bereits eine deutlich unterdosierte Medikamentengabe oder gar eine Placebo-Gabe Besserung auslösen.

"Placebo-nahe" Interventionen müssen in der Medizin integriert bleiben

Können solche Mechanismen systematisch in der Medizin genutzt werden? In einer eigenen Studie in Kooperation mit der Herzchirurgie der Uniklinik Marburg konnte gezeigt werden, dass die Optimierung von Patientenerwartungen vor einem massiv-invasiven herzchirurgischen Eingriff dazu führt, dass es diesen Patienten sechs Monate nach der OP deutlich besser geht. Dies zeigt: Richtigen Therapieerfolg hat man nur, wenn neben der klassisch-medizinischen Maßnahme die Wirkfaktoren eingesetzt werden, die zu einem positiven Placebo-Effekt beitragen. Die Medizin hat diesen Blick auf unterschiedliche Wirkfaktoren verloren und sie der Homöopathie und Alternativmedizin überlassen.

Die notwendige Wiedereingliederung solcher wissenschaftlich belegter, über "rein-biochemische" Medikamentenwirkung hinausgehender Effekte in die Medizin ist eine Herausforderung. Studienpläne müssen vielfältiger werden, um das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren zu untersuchen, statt am Modell eines einzelnen relevanten Wirkprozesses festzuhalten. "Placebo-nahe" Interventionen wie Homöopathie, Akupunktur und manche naturheilkundlichen Ansätze müssen in der Medizin und Pharmazie integriert bleiben, da nur so eine entsprechende Qualitätskontrolle möglich ist. Aber sie müssen erneut einer wissenschaftlichen Bewertung unterzogen werden.

Wenn Akupunktur bei vielen Patienten mit chronischen Schmerzen bessere Behandlungserfolge und weniger Nebenwirkungen erbringen sollte als gängige Schmerzmedikamente, wäre natürlich die Akupunktur-Behandlung der Schmerzmedikation vorzuziehen, selbst wenn die Akupunktur nicht besser abschneiden sollte als Placebo-Akupunktur. Durch die Wiedereingliederung von Placebo-Effekten in das medizinische Denken werden nicht nur Behandlungen im Sinne der Patienten erfolgreicher. Der in der Medizin oft als Störvariable betrachtete "Faktor Mensch" wird wieder ernst genommen.

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