Zehn Jahre nach der Finanzkrise:Als der amerikanische Traum starb

Zehn Jahre nach der Finanzkrise: Die Great Recession nach 2008 war wie ein Tsunami, der alles zertrümmert. Millionen US-Bürger verloren damals ihre Jobs, ihr Vermögen und ihre Altersvorsorge.

Die Great Recession nach 2008 war wie ein Tsunami, der alles zertrümmert. Millionen US-Bürger verloren damals ihre Jobs, ihr Vermögen und ihre Altersvorsorge.

(Foto: Michael Heuser/Unsplash)

Die Finanzkrise von 2008 hat die USA härter getroffen als die Anschläge vom 11. September 2001. Der Bruch der Bürger mit "dem Establishment" lässt sich so schnell nicht wieder kitten.

Kommentar von Hubert Wetzel, Washington

Vor zehn Jahren ging es los. Zunächst grollte der Donner nur. Amerikanische Banken mit seltsamen Namen wie Indymac gingen pleite. Ökonomen schauten besorgt auf Grafiken und sprachen davon, dass den USA eine Rezession drohe. Die Regierung in Washington schnürte erste Rettungspakete, zehn, zwanzig Milliarden - lächerlich im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte. Und dann knallte es. Am 15. September 2008 erklärte die altehrwürdige Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz. Und Amerika stürzte in die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression, die das Land in den Dreißigerjahren verheert hatte.

Wirtschaftlich gesehen, haben sich die USA von diesem Einbruch erholt. Politisch aber wirkt der Schock, den Amerika erlitten hat, immer noch nach - personifiziert in einem Mann, der, hätte es die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 und den Folgejahren nicht gegeben, vermutlich nie in das Amt gelangt wäre, das er nun innehat: Präsident Donald Trump.

Man vergisst leicht, mit welcher brutalen Wucht die Krise die Amerikaner getroffen hat. Die Great Recession war wie ein Tsunami, der alles zertrümmert, das Trauma, das sie verursachte, war weit größer als das der Terroranschläge vom 11. September 2001. Millionen Bürger verloren damals ihre Jobs und ihr Vermögen. Binnen weniger Monate verdoppelte sich die Arbeitslosenrate auf zehn Prozent. Die Aktienmärkte, an denen sehr viele Amerikaner ihre Altersversorgung erwirtschaften, brachen um die Hälfte ein. Millionen Häuser, einst gekauft, um später den Ruhestand zu finanzieren, wurden wertlos. Die Besitzer konnten die Kredite nicht mehr bezahlen, 2010 rollte eine Welle von Zwangsversteigerungen über das Land - eine Million Häuser allein im ersten Quartal.

Mit etwas Pathos könnte man es so sagen: 2008 war das Jahr, in dem der amerikanische Traum starb. Das Versprechen, dass harte Arbeit sich lohnt und die Kinder es besser haben werden als die Eltern, wurde zu einem zynischen Witz, als die Eltern ihre Arbeit verloren und der Sheriff mit dem Räumungsbefehl vorfuhr, um die Kinder aus dem Haus zu werfen.

Krisenzeiten sind Zeiten, in denen Populisten es leicht haben. Die Menschen sind wütend und verängstigt, und Wut und Angst bilden den Boden, auf dem Extremisten wachsen. Dass in den Jahren nach schweren Wirtschaftskrisen - vor allem nach Banken- und Finanzkrisen - Parteien am linken wie am rechten Rand Zulauf haben, ist ein gut belegtes Phänomen.

Den politischen Preis wird Amerika noch lange zahlen

Es ist daher kein Wunder, dass auch in Amerika die politische Radikalisierung in den Krisenjahren nach 2008 zunahm. Am linken Rand entstand die "Occupy Wall Street"-Bewegung, deren Erfolg eher mäßig war. Am rechten Rand sammelte sich die Tea Party, beinhart konservativ und von enormer Schlagkraft. So verschieden beide ideologisch waren, sie hatten doch eine gemeinsame Wurzel: die Wut vieler Bürger darüber, dass die Schuldigen an der Krise nicht bestraft, sondern auf Kosten der Allgemeinheit freigekauft wurden. Bail-out wurde zum toxischen Wort.

Und noch etwas starb 2008: das Vertrauen der Amerikaner in die Menschen, die das Land wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch anführen. "Das Establishment", "die Eliten" - für viele Bürger wurden das Synonyme für einen korrupten, unfähigen Klüngel aus Politikern, Konzernbossen und Medienschwätzern, die sich die eigenen Taschen füllen und dann die normalen Leute für ihre Fehler bezahlen lassen. Das mag, was die tatsächlichen ökonomischen Ursachen der Krise angeht, eine falsche Sichtweise sein. Aber für die politischen Folgen sind wirtschaftliche Fakten zweitrangig. In psychologischer Hinsicht war 2008 ein Bruch: "Die da oben" hatten "die da unten" erst verkauft und dann verraten.

Ohne diese Radikalisierung und ohne diesen Vertrauensverlust hätte Trump die Präsidentschaftswahl wohl nicht gewonnen. Vermutlich wäre er nicht einmal der republikanische Kandidat geworden. Das Parteiestablishment hätte genug Kraft gehabt, um ihn in den Vorwahlen zu stoppen, so wie das demokratische Parteiestablishment den überraschend beliebten Linksausleger Bernie Sanders stoppte.

Aber so, wie die Lage 2016 war, siegte bei den Republikanern der radikalste Kandidat, der das Establishment am härtesten attackierte: Donald Trump. Und dann fand dieser Kandidat gerade genügend Wähler, die die Politiker ohnehin seit Langem satthatten, die seit Jahren von der Globalisierung zerrieben wurden, ohne dass die Regierung ihnen half, die schon abgestiegen waren oder Angst vor dem Abstieg hatten. Wie schnell und erbarmungslos das gehen kann, hatten sie ja gerade erlebt. Und die lieber einen lügenden Scharlatan wählten, als noch einmal einem etablierten Politiker zu vertrauen.

Dieser fundamentale Bruch lässt sich nicht durch eine sinkende Arbeitslosenquote oder durch ein paar Quartale mit gutem Wachstum kitten. Den politischen Preis für die Finanzkrise wird Amerika noch lange bezahlen.

Zur SZ-Startseite

US-Politik
:Zehn Gründe, warum die US-Demokratie in größter Gefahr ist

Mit den Halbzeitwahlen vor der Tür zeigen sich die aberwitzigen Schwächen der amerikanischen Demokratie. Und das hat nicht nur etwas mit Präsident Trump zu tun.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: